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Wie Edin Terzić Borussia Dortmund zum Titel-Kandidaten formte
Der BVB kann zum ersten Mal seit dem Weggang von Jürgen Klopp wieder Meister werden – der Trainer spielt dabei eine Hauptrolle
Mit ein paar typischen Edin-Terzić-Gedanken verabschiedet sich der Trainer von Borussia Dortmund am Donnerstagmittag von der Öffentlichkeit, um sich in den Tunnel zu begeben, der seinen Klub und ihn selbst ins große Glück führen soll.
»Das Schöne ist, dass das Spielfeld genauso groß ist wie letzte Woche, dass der Ball genauso rund ist, wir starten mit elf Spielern, die alle Bock darauf haben, dieses Spiel zu gewinnen«, sagt er vor der Partie gegen Mainz 05. So erzeugt er den Anschein von Normalität in einer Woche, in der eigentlich nichts normal ist. Borussia Dortmund würde mit einem Sieg erstmals nach elf Jahren Münchner Dauerherrschaft den Bundesligatitel gewinnen, und der 40 Jahre alte Edin Terzić wäre ein sehr besonderer Dortmunder Meistertrainer. Der erste nach der Ära des Jürgen Klopp, diesem Vergleich muss er im Moment oft standhalten. Obwohl die beiden sehr unterschiedliche Charaktere sind.
Der ewige Dortmunder Sehnsuchtstrainer Klopp riss seine Spieler und den gesamten Klub mit wuchtigen Begriffen wie »Gier«, »Vollgas« und »Adrenalin« mit; Terzić ist nicht dieser Menschenfängertyp, dessen Worte sofort Herz und Bauch aktivieren. Seine Methoden sind subtiler, feinsinniger. Aber auch dieser Sohn einer vor dem Krieg in Jugoslawien geflohenen Gastarbeiterfamilie aus Bosnien beherrscht die ganz hohe Trainerkunst, Menschen mit Worten irgendwo in ihrem Inneren zu berühren. Das ist ein prägendes Motiv dieser Dortmunder Erfolgssaison.
Als die Meisterschaft nach einem 1:1 in Bochum verloren zu gehen drohte, weil der Spielleiter ein klares Elfmeterfoul nicht einmal am Bildschirm überprüfte, erzählte Terzić von einem Besuch in der Schiedsrichterkabine, wo er gesagt habe: »Ich entschuldige mich für meinen Ton, ich entschuldige mich für meine Emotionen, aber (…) es ist für uns eine einmalige Chance, es ist vielleicht für mich eine einmalige Chance in meinem Leben, so nah an die Meisterschaft zu kommen.« Das war keine bloße Schelte, sondern die dringende Bitte, verantwortungsvoll mit einem Menschen umzugehen, der träumt und hofft, was weit über die Schiedsrichterkabine hinauswirkte.
Nach dem Sieg in Augsburg am vergangenen Sonntag, mit dem die Dortmunder die Tür zur Meisterschaft ganz weit aufstießen, appellierte er an seine Spieler, diese seltene Chance auf eine Meisterschaft unbedingt mit der angemessenen Wertschätzung zu würdigen: »In sieben Tagen ist die Saison vorbei und die Jungs verdienen alle gutes Geld, dann können sie sich wieder kaufen, was sie wollen, das nächste Auto, das nächste Haus, den nächsten Urlaub«, sagte er. »Aber diesen Moment, den kann man nicht kaufen, den haben wir uns hart erarbeitet, dafür haben wir sehr gelitten, dafür haben wir sehr viel Schweiß liegen lassen, nicht nur in dieser Saison.«
Es gibt viele solcher Terzić-Momente, in denen er jenseits seiner überzeugenden Facharbeit mit einfachen Worten und Gedanken, die hängen bleiben, eine tiefere Ebene erreicht. Dass ihm dieses Kunststück ganz ohne Theatralik und Geltungsbedürfnis gelingt, ist ein seltenes Meisterwerk. Dieser Trainer ist keine Rampensau, die in der Kabine das Testosteron in Wallung bringt und der Zuhörer an den Lippen hängen. Er ist auch kein Fanatiker wie Thomas Tuchel, der Fragen so gründlich beantwortet, dass Interessierte selbst in kurzen TV-Interviews meist etwas Überraschendes zu hören bekommen.
Dafür bringt er eine oftmals unterschätzte Fähigkeit mit, die auch zu den Erfolgsgeheimnissen von Klopp zählt. Terzić lässt andere Menschen neben sich strahlen, auch öffentlich: den zum Ersatzspieler umfunktionierten Kapitän Marco Reus, den Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, den in der Hinrunde mit einer Krebserkrankung kämpfenden Torjäger Sébastien Haller und viele mehr.
Diese Hinterlassenschaft Klopps war für Tuchel, Peter Bosz, Lucien Favre und Marco Rose eine Bürde. Vielleicht ist Terzić der erste, der versteht, dass für besondere Erfolge in Dortmund nicht nur eine gute Facharbeit und eine gute Mannschaftsführung nötig sind, sondern auch positive Impulse nach innen in den Klub hinein.
Dieser Trainer sei ein Mann, »der die Seele von Borussia Dortmund kennt«, hatte Geschäftsführer Watzke zu Beginn der Saison gesagt und wies später immer wieder auf die Empathiefähigkeit dieses Fußball-Lehrers hin, während Sportdirektor Sebastian Kehl sagte: »Er ist authentisch, das ist das Entscheidende. Die Menschen nehmen ihm die Verbundenheit mit dem BVB ab.«
Als Kind reiste er mit dem Vater aus Menden, dem sauerländischen Wohnort der Familie, immer wieder zu Bundesligaspielen verschiedener Klubs im Ruhrgebiet; nach einer Partie des BVB gegen den MSV Duisburg war klar, dass sein Herz fortan Borussia Dortmund gehören würde. Dass er jetzt Cheftrainer bei diesem Klub ist, hat Terzić immer wieder als kaum fassbares Glück beschrieben, »aber«, sagt er am Donnerstag: »Jetzt ist es so, dass es null Komma null darum geht, was ich gerade fühle, sondern darum, was ich der Mannschaft geben kann.« Auch das ist eine typische Edin-Terzić-Überlegung. Ganz unabhängig vom Ausgang des Bundesligafinales ist klar: Dieser Trainer hat dem Klub sehr viel gegeben.
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