Pflegereform: Am Problem vorbei

Bundestag beschließt Pflegereform

Mit der Pflegereform sollen Besserungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige kommen. Doch statt der erhofften Entlastung für Betroffene ist der am Freitag im Bundestag beschlossene Kompromiss für viele eine Enttäuschung.

SPD, FDP und Grüne hatten sich kurz vor der Abstimmung im Bundestag auf ein Entlastungsbudget für pflegende Angehörige verständigt. Mit diesem sollen Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege kombiniert werden können. So soll pflegenden Angehörigen eine Auszeit ermöglicht werden, in der die Pflege der Angehörigen sichergestellt ist. Ab 1. Juli 2025 sollen bis zu 3539 Euro pro Jahr flexibel verwendbar sein. Zuvor war das Vorhaben aus dem Gesetzesentwurf wieder gestrichen worden. Als Gegenfinanzierung soll es nun dafür statt der ursprünglich vorgesehenen Erhöhung von fünf Prozent der Leistungen für die ambulante Pflege lediglich eine Erhöhung von 4,5 Prozent geben.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

So richtig zufrieden scheint bei der Bundestagsdebatte am Freitag vor der Abstimmung des Gesetzes trotzdem niemand zu sein. Das wurde nicht nur seitens der Oppositionsparteien, sondern auch durch die Redebeiträge von Politikern aus den Ampel-Parteien deutlich. Viele betonten, wie schwer die Verhandlungen gewesen seien. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte die Pflegereform jedoch, obwohl »es kein perfektes Gesetz« sei.

In namentlicher Abstimmung stimmten 377 Abgeordnete für das Gesetz, 275 dagegen und zwei enthielten sich. Das Gesetz sieht außer dem Entlastungsbudget vor, den Eigenanteil für die Pflege im Heim zu reduzieren. Die zum Jahresbeginn 2022 eingeführten Entlastungszuschläge sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. Der Eigenanteil für die reine Pflege, also ohne etwa die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung, soll dadurch je nach Anzahl der verbrachten Jahre im Pflegeheim zwischen fünf und zehn Prozent reduziert werden.

Das Pflegegeld soll zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, ebenso die Beträge für Sachleistungen. Das Geld können Pflegebedürftige nutzen, die zu Hause gepflegt werden. Je nach Pflegegrad sind das monatlich zwischen 316 und 901 Euro. Dies sei auf Grund der hohen Inflation real eine Kürzung und keine Erhöhung, rechnete der Linke-Politiker Ates Gürpinat in der Bundestagsdebatte vor. Zuletzt wurde das Pflegegeld im Jahr 2017 angehoben. »Sie belasten, Sie entlasten nicht«, schlussfolgert Gürpinat.

Die Pflegereform beinhaltet außerdem eine Anhebung des Pflegebeitrags. Aktuell liegt dieser bei 3,05 Prozent des Bruttolohns für Menschen mit Kindern. Für Kinderlose bei 3,4 Prozent. Zum 1. Juli wird er für Kinderlose auf vier Prozent angehoben, für Beitragszahler mit Kind auf 3,4 Prozent. Der darin enthaltene Arbeitgeberanteil soll von 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent heraufgesetzt werden. Für Familien mit mehr Kindern soll der Beitrag zudem reduziert werden.

Die Linksfraktion forderte in einem abgelehnte Antrag, Pflegegeld, ambulante Sachleistungen, Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege sowie Zuschläge für langfristige stationäre Leistungen um 20 Prozent anzuheben. Zur Finanzierung müssten die Beiträge der Pflichtversicherten auf alle Einkommensarten, also auch auf Mieteinnahmen und auf Kapitaleinkommen, ausgeweitet werden. Zudem sollten die privat Pflegeversicherten vollständig in das System der sozialen Pflegeversicherung einbezogen werden.

Kritik an der Pflegereform kam auch von Politikern der AfD und CDU/CSU. Die Koalition bleibe mit ihrer Reform weit hinter den Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag zurück, kritisierte etwa Diana Stöcker (CDU).

»Für alle pflegenden Angehörigen, die Tag für Tag ihre Gesundheit aufs Spiel setzen und viele Einbußen in Kauf nehmen, ist diese Pflegereform eine große Enttäuschung und reine Augenwischerei«, erklärte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK am Freitag nach der Bundestagsabstimmung. Auch für Maria Loheide ist die Reform eine Enttäuschung. »Die Kostensteigerungen der letzten Jahre werden bei weitem nicht von der Pflegeversicherung ausgeglichen«, so die Sozialvorständin der Diakonie. »Wir brauchen eine grundlegende Pflegereform – und zwar bald. Sonst riskieren wir, dass Pflegebedürftige nicht mehr professionell versorgt werden können und pflegende Angehörige erschöpft aufgeben müssen. Das wäre eine Katastrophe!«, so Loheide.

Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, bemängelte die Reform ebenfalls: »Wir hätten uns gewünscht, dass die Gesundheitsversorgung endlich insgesamt angefasst wird.« Die Pflegereform sei nur eine kurzfristige, notdürftige Rettung des Systems, um dieses am Laufen zu halten. »Das wenig nachhaltige Handeln von heute holt uns spätestens in fünf Jahren ein. Dann ist der Kipppunkt erreicht«, warnt Vogler.

Auch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen kam enttäuschung über die Pflegereform. Das Entlastungsbudget sei »zumindest eine kleine Verbesserung«, so Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbands. »Der Preis ist allerdings hoch, denn im Gegenzug hat die Regierung die Anhebung der Leistungsbeträge in der ambulanten Pflege gekürzt.«

Das Entlastungsbudget reicht vorne und hinten nicht aus, sind sich die Verbände durchweg einig. Schließlich ist es nicht selten so, dass pflegende Angehörige ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren müssen. Auch wird es auf Grund der steigenden Nachfrage und zunehmenden Personalmangel immer schwerer, überhaupt eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege zu bekommen. Auch Plätze in Pflegeheimen sind nicht leicht zu bekommen. »Es fehlt an allen Ecken und Enden an Tagespflegeplätzen, und ein Online-Portal, das bundesweit freie Plätze anzeigen sollte, ist wieder aus dem Gesetzentwurf verschwunden«, fasst Bentele die Situation zusammen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal