Wohnungsbau in Berlin: Kommunaler Rettungsanker

Rund 40 Prozent aller Berliner Neubauwohnungen wurden 2022 von Landeseigenen errichtet

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) muss sich auf weniger Richtfeste einstellen.
Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) muss sich auf weniger Richtfeste einstellen.

Die Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften werden zum immer dominanteren Neubaumotor. Zwei von fünf neuen Wohnungen in der Hauptstadt, also rund 6000, wurden 2022 unter ihrer Regie fertiggestellt. Der Anteil ist doppelt so hoch wie noch vor fünf Jahren. 2017 stammte mit nur knapp 19 Prozent nicht einmal jede fünfte Berliner Neubauwohnung von kommunalen Unternehmen.

Das ergibt sich aus den bereinigten Wohnungsbauzahlen, die das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg »nd« zur Verfügung gestellt hat. Denn in den vergangenen beiden Jahren haben offenbar die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen die zügige Meldung der Fertigstellungen erheblich verzögert. Die für 2022 in der offiziellen Statistik vermeldete Zahl von 17.310 neuen Wohnungen dürfte in Wahrheit deutlich darunter liegen. Gesichert wurden im Jahr 2022 nur 13.801 Wohneinheiten fertiggestellt, weitere 3509 waren bereits früher fertig. Denn die Nachmeldungen erreichten nach Angaben des Statistikamts einen Rekordwert von 20,3 Prozent.

Auf die Statistiktücke aufmerksam gemacht hatte kürzlich der Immobilenmarktexperte Reiner Braun. Er vermutete weiter, dass 2021 über 19.000 statt der gemeldeten Zahl von 15.870 Wohnungen fertig geworden seien. Doch die von Nachmeldungen bereinigte Zahl weicht praktisch nicht vom offiziellen Statistikwert ab. 2020 wurden wiederum tatsächlich über 17.700 Wohnungen fertig – fast 1400 mehr als damals ausgewiesen.

Wird kontinuierlich gebaut und gemeldet, bewegen sich die Abweichungen zwischen statistischen und realen Fertigstellungen im Bereich von einigen Hundert Wohneinheiten. Doch Pandemie und Baukrise führten zu deutlich abweichenden Zahlen. Die Meldungen erreichen das Landesamt für Statistik nach wie vor in Papierform.

Auch 2022 dürften tatsächlich mehr als 13.800 Wohnungen neu gebaut worden sein. Schlägt man als Basis das Mittel der prozentualen Werte der Nachmeldungen von 2016 bis 2022 auf, kann man für das vergangene Jahr von etwa 15.400 Wohneinheiten ausgehen – deutlich unter dem vom Senat politisch angesetzten Neubaubedarf von 20.000 Wohnungen jährlich. Mit den Abweichungen von Statistik und Realität wollte sich die Bauverwaltung auf nd-Anfrage zumindest nicht öffentlich auseinandersetzen. »Für uns ist die 17.310 die offizielle Zahl«, erklärte ihr Sprecher vor drei Wochen gegenüber »nd«.

Schöner als in Wirklichkeit stellt die Verwaltung von Bausenator Christian Gaebler (SPD) auch die Zahlen im sozialen Wohnungsbau dar. Sie teilte kürzlich mit, dass 1730 neue geförderte Wohnungen im Jahr 2022 entstanden seien. Tatsächlich waren es aber nur 1483. Beim Rest handele es sich um Nachmeldungen aus vergangenen Jahren, wie die Investitionsbank Berlin auf nd-Anfrage klarstellt. Das ist nicht einmal ein Drittel der seit Jahren angepeilten Zielzahl von 5000.

Die gesamten Wohnungsbauzahlen dürften in den nächsten Jahren weiter nach unten gehen. »Wir sehen schon jetzt am Rückgang der Baugenehmigungen, dass die Neubauzahlen künftig einbrechen werden. Auch die Banken melden, dass die Zahl der kreditfinanzierten Objekte deutlich zurückgegangen ist«, sagte Maren Kern, Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, kürzlich der »Berliner Morgenpost«. Sie prognostiziert einen Investitionsrückgang der Privaten im Wohnungsbau um 20 Prozent.

Auf Basis der geschätzten Realzahlen für 2022 und Kerns Erwartung würde es 2023 auf nur noch rund 13 200 Neubauwohnungen in Berlin hinauslaufen. Die Landeswohnungsunternehmen erwarten die Fertigstellung von 5677 Wohnungen – knapp sechs Prozent weniger als 2022. Damit läge ihr Anteil am Neubau trotzdem deutlich über 40 Prozent.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal