Flüchtlingsgipfel ohne Flüchtlinge

Weniger Ankünfte in Brandenburg und trotzdem Kurs auf Abschiebung

Nur Krankheit galt als Entschuldigung. »Es waren alle da«, sagt anschließend Siegurd Heinze, Landrat von Oberspreewald-Lausitz und Vorsitzender des brandenburgischen Landkreistags. Damit meint er Minister, Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister. Er meint nicht die Geflüchteten, über deren Köpfe hinweg sich die Politiker verständigen, wer nach seiner Ankunft in Brandenburg wohin darf und wer doch noch eine Perspektive in der Bundesrepublik bekommt und wer nicht.

Am Donnerstagvormittag verständigt sich ein Flüchtlingsgipfel in der Potsdamer Staatskanzlei auf ein Arbeitspapier zur Unterbringung von Flüchtlingen im Bundesland. Eine Einigung ist damit noch nicht erzielt. Aber das Papier könnte Grundlage für eine spätere Vereinbarung sein, sagt Landrat Heinze.

Zusammen 5452 Geflüchtete haben die 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte bis Ende Mai aufgenommen. Das waren deutlich weniger als gedacht, denn prognostiziert sind für das gesamte Jahr 26 000 Personen gewesen – und diese Zahl wird wohl nicht einmal annäherungsweise erreicht.

Dennoch sei es »eine hohe Belastung«, erkennt Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) an. Dies vor allem, nachdem im vergangenen Jahr fast 39 000 Flüchtlinge aufgenommen worden sind. Damals kamen vor allem Ukrainer, von denen jetzt kaum noch welche eintreffen. Die vorhandenen Kapazitäten sind langsam erschöpft. Vor allem fehlt Platz in Kitas und Schulen. Allein 6000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen in Brandenburg die Schule und 1400 ukrainische Kinder gehen hier in den Kindergarten oder in die Krippe. Dass die soziale Infrastruktur an Grenzen stößt, liege aber nicht allein an den Flüchtlingen, betont die Sozialministerin. Brandenburg habe eine erfreuliche Entwicklung genommen und das sind die Folgen.

Gemeint ist ein ungeahnter wirtschaftlicher Aufschwung, der die negative Bevölkerungsentwicklung umkehrte. Ein Beispiel: Der Landkreis Märkisch-Oderland rechnete damit, auf nur noch 160 000 Einwohner abzurutschen. Tatsächlich leben dort nun 200 000 Einwohner. Damit hatte vor zehn Jahren niemand gerechnet.

Um die Landkreise, Städte und Gemeinden zu entlasten, will Innenminister Michael Stübgen (CDU) ab 1. Juli monatlich 450 Geflüchtete ohne Bleibeperspektive in der Erstaufnahme des Landes zurückhalten und nicht mehr auf die Kommunen verteilen. Bis einschließlich 2024 sollen so 4000 Personen nicht mehr weitergeleitet werden.

Unter Umständen dürfen diese Menschen trotzdem hoffen, sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Ihnen soll mit Sprachkursen und Ausbildung ein Spurwechsel vom Flüchtling zum Einwanderer ermöglicht werden, wenn sie sich gut anstellen und in einem Mangelberuf qualifizieren. Denn Brandenburg durfte sich zuletzt über mehrere Investoren freuen. Doch als größtes Hindernis für weitere Ansiedlungen gilt der Fachkräftemangel.

Das weiß Ministerin Nonnemacher. Der parteilose Landrat Heinze scheint es vergessen zu haben. Er wünscht: »Die Zuwanderung nach Deutschland muss minimiert werden.« Brandenburg hat aber kein Außenministerium und keine Bundespolizei. Das zumindest ist dem Landrat bewusst. Nun soll also der Bund für verstärkte Kontrollen an der polnischen Grenze und für beschleunigte Asylverfahren für Georgier und Moldauer sorgen. Die Geflüchteten sollen gleichmäßiger auf die Staaten Europas aufgeteilt werden und teils gleich an den Außengrenzen der Europäischen Union abgewiesen werden. So steht es im Arbeitspapier oder kommt aus dem Munde von Landrat Heinze und Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Von konsequenter Rückführung, also Abschiebung in die Herkunftsländer, ist ebenfalls die Rede.

»Im Großen und Ganzen sind wir erst einmal grundzufrieden«, versichert Landrat Heinze. »Wir haben uns nicht ums Geld gestritten«, verrät er. Zwar hätte es Wittenberges parteiloser Bürgermeister Oliver Hermann als Präsident des Städte- und Gemeindebundes gern gesehen, wenn das Land mit der Gießkanne Geld verteilt hätte. Doch Finanzministerin Katrin Lange (SPD) sieht die finanziellen Möglichkeiten so ziemlich erschöpft. Darum soll genau hingeschaut werden, »wo es drückt«, wie Oliver Hermann sagt. Das Land hat bereits 170 Millionen Euro zusätzlich springen lassen. Der Bund gibt 30 Millionen Euro nach Brandenburg. Das kann nach Ansicht von Ministerpräsident Woidke nur ein erster Schritt sein.

Der Geldhahn des Landes sei zu, die Hoffnungen richten sich an den Bund, kommentiert Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter. »Verbindlich beschlossen wurde heute nichts. Angesichts der vielen Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen, bei fehlenden Plätzen in Kitas und Schulen, ist das aber schnell nötig«, meint Walter. Während die Kommunen seit Monaten am Limit seien, habe sich Woidke viel Zeit gelassen. »Wir hätten schon viel weiter sein können und müssen.« Die Linke fordert 500 Millionen Euro für den Bau von Wohnungen, Schulen und Kitas.

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