Katargate: Korruption trotzt dem Lobbyregister

Ein halbes Jahr nach »Katargate« wird in der EU noch über die Schlussfolgerungen gestritten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor genau einem halben Jahr kam die »Katargate«-Affäre ins Rollen: Eva Kaili, zunächst eine bekannte Nachrichtensprecherin in ihrer griechischen Heimat, später Hoffnungsträgerin der sozialdemokratischen Partei Pasok und schließlich Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, wurde am 9. Dezember 2022 völlig überraschend in Brüssel festgenommen. Schon einen Tag später verlor sie ihre Befugnisse als Parlamentsvizechefin und landete in Untersuchungshaft. Der Verdacht: Kaili soll für Schmiergelder aus Marokko und Katar in Höhe von 1,5 Millionen Euro Einfluss auf politische Entscheidungen genommen haben.

Am selben Tag – dem Welt-Anti-Korruptions-Tag – war bereits Kailis Lebensgefährte, ein Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, verhaftet worden. Dieser war Assistent des früheren sozialdemokratischen Europaabgeordneten Pier Antonio Panzeri aus Italien gewesen. Die Vorwürfe gegen die drei Politiker lauten: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Korruption und Geldwäsche. Während die 44-jährige Kaili alles abstreitet, legte ihr Freund im Verhör laut Medienberichten ein Teilgeständnis ab. Er habe Gelder aus Katar und Marokko verwaltet und an Abgeordnete verteilt, Kopf der Bande sei Panzeri gewesen.

Dieser hat sich mittlerweile der Staatsanwaltschaft strafmindernd als Kronzeuge angedient und wurde im April aus der Untersuchungshaft entlassen. Er habe Gelder an Parlamentarier verteilen lassen, die dafür als Gegenleistung »gewisse Positionen« vertreten haben. So verteidigten frühere Kritiker im EU-Parlament plötzlich die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) beklagte eine »Kultur der Straflosigkeit« im Europaparlament; es handele sich bei der Affäre »nicht um einen Einzelfall«, sondern es mangele an unabhängiger Kontrolle.

Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) reagierte seinerzeit schnell und legte einen 14-Punkte-Plan vor. Dieser sei eine Zusammenstellung von bestehenden Regeln und solchen, »die wir einführen könnten«, sagte sie. Dabei gehe es weniger um vom Gastland bezahlte Reisen, Geschenke und andere Annehmlichkeiten: »Wir sprechen hier über kriminelle Korruption, die von einem ausländischen Akteur betrieben wird, um die Prozesse zu untergraben, auf die wir so stolz sind.« Gemeint war vor allem Katar. Das Scheichtum versucht – wie andere Golfstaaten auch – sich aus dem Schatten der westlichen Partner zu lösen und eine eigenständige Rolle in Weltwirtschaft und -politik zu spielen.

Die EU ihrerseits setzt den verbindlichen Rahmen für die 27 Mitgliedstaaten. Im Durchschnitt gehen 57 Prozent aller für die Wirtschaft bedeutsamen Gesetze in Deutschland auf europäische Rechtsvorschriften zurück, wie eine etwas ältere Studie der Fernuniversität Hagen zeigt, auf die die Bundesregierung verweist. Coronakrise, Energiewende und Ukraine-Krieg hätten den EU-Einfluss seither noch verstärkt.

Bis »Katargate« hatte sich das Europäische Parlament durchaus seiner Transparenzregeln gerühmt, die seit 2021 auch für die EU-Kommission Ursula von der Leyens und für den Ministerrat gelten, also für alle drei gesetzgebenden Institutionen. Die 25 000 Lobbyisten, die Kontakte mit den drei Institutionen pflegen, müssen angeben, zu welchen konkreten Themen sie arbeiten, in wessen Auftrag sie genau tätig sind und wer sie finanziert.

Das reicht Kritikern nicht. »Die großen Ankündigungen von Parlament und Kommission für bessere Verhaltensregeln, stärkere Kontrollen und mehr Transparenz wurden bisher gar nicht oder nur sehr unzureichend in die Tat umgesetzt«, kritisierten die Nichtregierungsorganisationen TI, Corporate Europe Observatory und Lobby Control bei einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz am Donnerstag. Reformen drohten in langwierigen Hinterzimmer-Verhandlungen deutlich abgeschwächt zu werden, sagte Nina Katzemich von Lobby Control. Nötig seien jetzt ein rechtlich verbindliches und kontrolliertes Lobbyregister, bessere Regeln gegen Interessenkonflikte für Abgeordnete und eine mit ausreichenden Ressourcen und Kompetenzen ausgestattete Behörde. Diese solle über die Einhaltung und Durchsetzung der Regeln wachen. Das von der EU-Kommission ebenfalls am Donnerstag vorgeschlagene Ethikgremium sei dafür »unzureichend«.

Ob es wirklich einer neuen Behörde bedarf, um die »Behörde EU« – 705 Parlamentarier, EU-Kommission und über 20 000 Beamte – zu kontrollieren, ist unter Organisationsökonomen umstritten und gilt Kritikern als Orwell’sche Lösung. Verwiesen wird auch auf einen fast paradoxen Effekt, den NGOs eher nicht im Blick haben: Zu viel Transparenz kann eine neue Unübersichtlichkeit und damit neue Intransparenz schaffen. Praktikabler erscheint es, Abgeordnete zu zwingen, Vermögen offenzulegen, wie es für EU-Kommissare Pflicht ist. Verschärfte Regeln und Kontrollen für Beamte wären ebenfalls geboten. Und zweifelhafte Drehtüreffekte, bei denen Ex-Politiker in die Wirtschaft wechseln, sollten gestoppt werden. Kriminelle Korruption aber, da muss man Parlamentspräsidentin Metsola wohl zustimmen, »lässt sich niemals absolut verhindern«.

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