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Neuer Kiezblock für Pankower Komponistenviertel: Bitte kein Block

Der erste Pankower Kiezblock schränkt nicht nur den Durchgangsverkehr ein, Anwohnende ärgern sich über neue Umwege

Das Team des Planungsbüros Stadtraum erklärt den Kiezblock.
Das Team des Planungsbüros Stadtraum erklärt den Kiezblock.

Schon am frühen Nachmittag herrscht dicke Luft am Solonplatz. Die Straße im Pankower Komponistenviertel ist für ein Straßenfest abgesperrt. Gerade bauen Anwohner*innen ein Riesentrampolin auf, zwei Kinder spielen auf den Pflastersteinen Federball, als eine Passantin laut schimpfend vorbeiläuft. »Wo soll man denn hier noch durchfahren«, beschwert sie sich. »Das Trampolin könnt ihr doch in den Park stellen.«

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Die Nachbarschaft fürchtet um ihre Autos, oder besser gesagt: um ihre Freiheit, überall schnell und direkt mit dem Auto hinzukommen. Denn das Komponistenviertel ist seit fast zwei Wochen ein Kiezblock. Um den Verkehr in dem Wohnviertel zwischen der Berliner Allee und der Indira-Ghandi-Straße zu beruhigen, wurden insgesamt acht Straßen zu Einbahnstraßen umgewandelt, zusätzlich ist die Bizetstraße nun eine Fahrradstraße.

Der erste Pankower Kiezblock soll eigentlich dem Wohl der Anwohner*innen dienen. Denn bisher verstopften Autofahrer*innen, die die zwei Hauptverkehrsstraßen verließen und eine Abkürzung über die kleinen Straßen nahmen, das Viertel. Doch die verkehrsberuhigenden Maßnahmen schränken nicht nur den ortsfremden Verkehr ein, sondern bedeuten auch Umwege für die heimischen Autofahrer*innen.

Lisa Buchmann arbeitet an der Technischen Universität am Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung und gehört zu dem wissenschaftlichen Team, das die Umsetzung und Wirkung des Kiezblocks im Komponistenviertel evaluiert. Für einen Vorher-Nachher-Vergleich wurde Verkehrszählungen durchgeführt. Zu Hauptverkehrszeiten hätte es sich in einigen Straßen bei über 50 Prozent um Durchgangsverkehr gehandelt, so Buchmann zu »nd«. »Das Wohnviertel ist nicht für diesen Verkehr gemacht.« Kopfsteinpflaster, enge Straßen – »vor allem morgens kam es zu gefährlichen Situationen mit Kindern auf ihrem Schulweg.« So argumentiert auch der Bezirksstadtrat Cornelius Bechter (Grüne). Am Freitagnachmittag stellt er auf dem Straßenfest am Solonplatz das laufende Kiezblock-Konzept vor. »Die Schulen haben uns immer wieder deutlich darauf hingewiesen. Wir mussten wirklich etwas tun.«

Nach ihm erklärt das Team des Planungsbüros Stadtraum die Gedanken hinter der Umsetzung. Verlangsamende Maßnahmen wie Schwellen würden erfahrungsgemäß nicht ausreichen, bauliche Absperrungen wie Poller dürften aus verkehrsrechtlichen Gründen nur als zweiter Schritt kommen. »Man muss mit den Beschilderungsmaßnahmen anfangen und dann schauen, was passiert«, begründet Christina Leber das Einbahnstraßensystem.

Ihr Kollege Winfried Müller-Brandes weist auf die besondere Lage des Viertels hin: Es liegt nur an zwei Seiten neben Hauptverkehrsstraßen – die anderen Seiten werden von einem Wohnblock ohne Autodurchfahrt und dem Jüdischen Friedhof begrenzt. Zudem lässt sich die Berliner Allee wegen der Straßenbahntrasse nur an wenigen Stellen überqueren. Deshalb müssten die Anwohnenden nun natürlich Umwege fahren. Aber das sei kein neu geschaffenes Problem: »Die Zu- und Ausfahrten des Kiezes haben wir im Grunde kaum verändert.« Aus dem Publikum ertönt an dieser Stelle Gelächter.

Nach den Vorträgen steht die Anwohnerin Katrin E. an einem der Informationsstände und regt sich auf. »Das ist absolut absurd«, sagt sie zu den Planer*innen und deutet auf den Stadtplan. Denn wegen der neuen Einbahnstraßen könne sie nun nicht mehr wie gewohnt von der Berliner Allee in das Viertel einbiegen und dann direkt nach Hause fahren. Stattdessen müsse sie sich durch den Stau kämpfen, um dann bei der nächsten Kreuzung zu wenden und aus der anderen Richtung kommend in die richtige Straße einzubiegen. »Das bedeutet 20 Minuten Verzögerung. Und mein Mann ist Handwerker, der muss jeden Tag Auto fahren.« Auch andere Anwesende ärgern sich über lange Umwege. Bestimmt ein Drittel der Besucher*innen ist gekommen, um Dampf abzulassen.

Doch es gibt auch zufriedene Stimmen. Eine Nachbarin bestätigt zwar, dass es schwieriger geworden sei, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. »Aber es ist so schön ruhig, und die Kinder fahren wieder Fahrrad auf der Straße.« Auch Buchmann von der TU bemerkt bereits erste positive Veränderungen. »Aber auch Anwohner*innen brauchen einen Moment, um die Vorteile zu sehen. Und es braucht Zeit, um Mobilitätsroutinen zu ändern.« Das hohe Verkehrsaufkommen auf den zwei Hauptverkehrsstraßen, das aktuell die Umwege zusätzlich verlangsamt, könnte sich langfristig ändern. »Das klingt vielleicht komisch, aber der Verkehr kann verpuffen. Wenn die Belastung zu hoch ist, fangen Menschen an, entweder ganz andere Wege zu fahren oder tatsächlich auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.« Damit hätte der Kiezblock am Ende eine verkehrsberuhigende Wirkung über die Straßen im Komponistenviertel hinaus.

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