Asylpolitik:»Die Polizei könnte jederzeit im Schlafzimmer stehen«

Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt am Donnerstag über Grundrechte in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Ba, einer der Kläger*innen vor der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Freiburg, Baden-Württemberg
Ba, einer der Kläger*innen vor der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Freiburg, Baden-Württemberg

Inwieweit gilt die Unverletzlichkeit der Wohnung auch in Sammelunterkünften für Geflüchtete? Mit dieser Frage befasst sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Donnerstag. Konkret werden zwei Fälle zusammengefasst behandelt, deren Kläger*innen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Pro Asyl unterstützt werden.

In einem Fall geht es um eine Erstaufnahmeeinrichtung in Freiburg, Baden-Württemberg, wo die Zimmer der Geflüchteten jederzeit, auch nachts, vom Sicherheitspersonal auf Hygiene und verbotene Gegenstände kontrolliert wurden. Als solche können etwa eine Packung Reis, ein Gebetsteppich oder ein Haarschneider gelten. In einem anderen Fall geht es um eine Erstaufnahmeeinrichtung in Erlangen. Dort holte die Polizei in den frühen Morgenstunden den Kläger aus seinem Schlafzimmer, um ihn abzuschieben. Ein Durchsuchungsbeschluss wurde vorher nicht eingeholt.

»Sie klopfen an die Tür, kommen rein und machen ihre Kontrolle. Egal, ob man schläft oder in Ruhe gelassen werden will. Wir werden hier kontrolliert, als seien wir Verbrecher oder Kleinkinder«, sagt Ba, einer der Kläger*innen aus Freiburg. Im Februar 2022 entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass die in der Hausordnung geregelten Befugnisse des Sicherheitsdienstes, die Zimmer der Geflüchteten jederzeit zu kontrollieren und zu betreten, unwirksam seien. Dafür fehle eine gesetzliche Grundlage. Die Schlafzimmer in den Unterkünften gelten als Wohnräume gemäß Artikel 13 Grundgesetz.

»Nun muss das Bundesverwaltungsgericht klären, wie weit dieser Schutz reicht«, sagt Sarah Lincoln, die das Verfahren für GFF koordiniert. Für sie ist klar: »Schlafzimmer in Sammelunterkünften sind Wohnräume, und für die müssen die gleichen Standards gelten wie für andere Wohnräume auch.« Es sei extrem belastend, wenn jederzeit der Sicherheitsdienst oder die Polizei im Schlafzimmer stehen könnte.

Im Fall der versuchten Abschiebung urteilte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass die Schlafzimmer der Geflüchteten zwar als Wohnung einzustufen seien. Die Polizei dürfe die Zimmer für eine Abschiebung aber trotzdem auch ohne Durchsuchungsbeschluss betreten. Als Grund dafür gab das Gericht an, dass die Zimmer so klein und übersichtlich seien, dass keine Suche erforderlich sei. Dagegen legte die GFF Berufung ein. Für ein Betreten der Zimmer ohne Durchsuchungsbeschluss brauche es eine dringende Gefahr, so Lincoln. Die sei bei einer versuchten Abschiebung nicht gegeben.

Asylsuchende in Deutschland können bis zu 18 Monate lang verpflichtet werden, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu leben. »Das Leben in der Unterkunft ist zermürbend: Die Menschen werden bei Betreten der Unterkunft kontrolliert wie am Flughafen, sie dürfen keinen Besuch empfangen, nicht kochen, nicht arbeiten«, sagt Ben Bubeck von der Aktion Bleiberecht Freiburg. Aus der Sicht von Pro Asyl ist das genau so gewollt. »Es hat zum Ziel, dass die Menschen sich kein Leben aufbauen können, weil das eine Abschiebung erschweren würde«, sagt die rechtspolitische Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Wiebke Judith.

Auch Journalist*innen und unabhängige Beratungsstellen bekommen meist keinen Zugang zu den Einrichtungen. Besuchsanträge würden nach Gutdünken der Einrichtung entschieden. »Es ist bedenklich, dass in diesen Unterkünften gefängnisähnliche Strukturen etabliert werden«, sagt Lincoln. Auch die Klageerhebung sei aufgrund der nicht öffentlichen Hausordnung nicht einfach gewesen. »Die Landesregierung entzieht sich jeglicher journalistischer und rechtlicher Aufarbeitung«, kritisiert die Juristin.

Beide Unterkünfte liegen im schwarz-grün regierten Baden-Württemberg. Aber: »Die Entscheidung wird Signalwirkung und rechtliche Konsequenzen für ganz Deutschland haben«, sagt Judith. Das Gericht müsse klarstellen, dass es keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse geben dürfe. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Asylrechtsverschärfungen auf EU-Ebene wichtig.

Am Donnerstag um 12 Uhr findet vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Kundgebung unter dem Motto »No more camps, we want homes« (Keine Lager mehr, wir wollen ein Zuhause) statt.

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