Klimaproteste: Nach der Blockade in den Ruin

DHL klagt auf Schadenersatz nach Klimaprotesten am Flughafen Leipzig

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Teilnehmer einer nächtlichen Protestaktion am Flughafen Leipzig werden von DHL auf Schadenersatz verklagt.
Teilnehmer einer nächtlichen Protestaktion am Flughafen Leipzig werden von DHL auf Schadenersatz verklagt.

Die Aufforderung zu dem Prozess, der an diesem Freitag am Landgericht in Halle (Saale) stattfindet, kam gewissermaßen aus der Politik. Er »glaube, die Mehrzahl der Menschen in Sachsen würde sagen: Recht wäre, wenn die Blockierer den Millionenschaden bezahlen«, sagte Michael Kretschmer, der sächsische CDU-Ministerpräsident, nach einer spektakulären nächtlichen Protestaktion im Juli 2021 am Flughafen Leipzig-Halle. Gut 50 Aktivisten der Initiative »CancelLEJ« hatten dort an einem Wochenende kurzzeitig eine Zufahrt für Lastwagen blockiert, die deshalb zu einem anderen Tor umgeleitet werden mussten. Die Protestierenden fordern einen Ausbaustopp des Frachtflughafens, ein Nachtflugverbot und eine Verkehrswende.

Nachts erfolgte die Aktion, weil auf dem Flughafen Leipzig dann besonders viel los ist. Er wird vorwiegend als Drehkreuz für Luftfracht genutzt, unter anderem vom Logistikkonzern DHL, der hier seinen europaweit größten Cargo-Knoten betreibt. Nacht für Nacht sorgt das für rund 170 Flugbewegungen, die Anwohner um den Schlaf bringen und erhebliche Emissionen an Treibhausgasen verursachen. Bürgerinitiativen, die zumindest ein zeitweiliges Nachtflugverbot fordern, protestierten seit Jahrzehnten und klagten bis zum Europäischen Gerichtshof, aber ohne Erfolg.

Im Sommer 2021 griffen Kritiker des Flughafens dann erstmals zu Mitteln des zivilen Ungehorsams. Es sei einerseits um »friedlichen und gewaltfreien Protest« gegangen, sagte eine Sprecherin damals. Gleichzeitig sei die Eskalation aber unumgänglich. Der Flughafen sei nicht nur eine nächtliche Lärmquelle, die Gesundheitsschäden verursache. Flugverkehr sei auch wichtiger Treiber der globalen Klimakrise, die sich rasant verschärfe. Zudem gehöre gerade der Leipziger Flughafen zur Infrastruktur eines »wachstumsbasierten globalen Kapitalismus«, dessen negative Folgen immer deutlicher zutage träten.

DHL hatte unmittelbar nach der Aktion den Schaden durch Verspätungen auf 1,5 Millionen Euro beziffert. Zudem hieß es, Lkw mit Corona-Impfstoff seien blockiert worden. Das stellte sich später als falsch heraus. Auch war nur noch von »Verzögerungen im Betriebsablauf mit lokal überschaubaren Folgen« die Rede. Die Polizei übernahm indes die Aussage vom Millionenschaden und nahm Dutzende Aktivisten über viele Stunden in Gewahrsam. Diese berichteten von unwürdigen Zuständen: Mangel an Essen und Getränken, verwehrten Telefonaten, Diffamierungen. Auch sei unter Zwang Blut abgenommen und mit U-Haft gedroht worden. Kritiker sprachen von einer »entsetzlichen Kriminalisierung« des Protestes. Die Polizei argumentierte, man habe die Identität der Aktivisten feststellen müssen: zur »Wahrung zivilrechtlicher Ansprüche«.

Diese macht DHL jetzt in entsprechenden Verfahren geltend. Zunächst seien in jeweils getrennten Prozessen sechs Teilnehmer der Proteste betroffen, erklärte die Unterstützerinitiative »Repression nicht zustellbar«. Allerdings seien im Fall eines DHL-Erfolgs aufgrund von Besonderheiten des Zivilrechts alle 54 namentlich bekannten Aktivisten betroffen. Auf diese kämen hohe Zahlungen zu. Zwar betrage der Streitwert zunächst jeweils nur 84 000 Euro. Damit sollten aber lediglich die Gerichtskosten niedrig gehalten werden. In der Klageschrift sei von deutlich höheren Beträgen die Rede – Medienberichten zufolge von einer halben Million Euro. Das würde die Betroffenen womöglich in die Privatinsolvenz treiben, sagt Luka Scott, Sprecherin der Initiative: »Diese Menschen sind ja allesamt keine DHL-Manager.«

Der Konzern äußerte sich auf Anfrage des »nd« nicht zur Höhe der jeweiligen Schadenersatzforderungen und zur Frage, wie sich diese errechnen. Man bitte »um Verständnis, dass wir uns zum Verfahren nicht äußern«, sagte Sprecher Matthias Persson. Er fügte hinzu, der Klimaschutz liege dem Unternehmen »sehr am Herzen«, wie Investitionen zum Beispiel in nachhaltigen Treibstoff für die Luftfahrt unterstrichen. Man sei zudem der Auffassung, dass »auch Meinungen und Positionen rechtskonform artikuliert« werden sollten. »Rechtswidrige Blockaden unserer Betriebsstätten« könne man nicht tolerieren. Bei der Aktion hatte es sich allerdings um eine Versammlung gehandelt. Als solche war die Blockade vom Landtagsabgeordneten Marco Böhme (Linke) angemeldet und von der Polizei auch ohne weitere Auflagen gestattet worden.

Die erste Verhandlung gegen einen Protestteilnehmer will die Unterstützerinitiative mit einer Demonstration begleiten, sagte Sprecherin Luka Scott. Zudem würden Spenden gesammelt, um die höchst ungleiche juristische Auseinandersetzung finanzieren zu können. Anfang Mai waren Unterstützer bereits auf der Hauptversammlung von DHL aufgetreten und hatten den Konzern vor dessen Aktionären in einem Gegenantrag und einer Rede für das juristische Vorgehen gegenüber Klimaaktivisten kritisiert. Auch die weiteren Prozesse sollten begleitet werden, sagte Scott. Eine nächste Verhandlung soll nach Angaben der Initiative Mitte Juli in Leipzig stattfinden.

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