»Punk statt Putin«: Jenseits der Eindeutigkeiten

Gegen russischen Krieg, Kitsch und Wahn hat Norma Schneider ein Buch geschrieben

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 4 Min.
AFBM48 St Petersburg punks at the Kazan cathedral
AFBM48 St Petersburg punks at the Kazan cathedral

Punk – das war zu Zeiten seiner Entstehung Ende der 70er Jahre das wirksamste und zugleich attraktivste Mittel, sich elitären Herrschafts- und Machtstrukturen zu entziehen. Die »Eiserne Lady« Margaret Thatcher, Nato, Staatssozialismus, Nazi-Eltern – gegen all das und noch viel mehr richtete sich Punk in Ost und West. Heutzutage, in einer zunehmend undurchsichtiger und komplexer werdenden Welt, sehnt man sich mancherorts gelegentlich in eine Welt zurück, in der der – politische, soziale oder kulturelle – Gegner noch klar definiert und in der Punk noch mit subversiver Haltung verbunden und damit kein reines Zitat einer längst vergangenen Epoche war.

Doch man muss den Blick dafür nicht zwangsläufig in die Vergangenheit richten, denn man kann ihn (jenseits der weiterhin kritikwürdigen Gegenwart in den hiesigen Breitengraden) auch gen Osten lenken – zum Beispiel nach Russland: Dort existiert jenseits der nationalistisch polierten Oberflächen der staatlichen Propagandaapparate eine durchaus virulente Gegenkultur. Doch agiert sie nahezu ausschließlich im Verborgenen, weil ihren Protagonist*innen – anders als in den repressiv-toleranten Demokratien der westlichen Welt – Verfolgung, Gefängnis und Arbeitslager drohen.

All das und noch vieles mehr beschreibt die Journalistin und nd-Autorin Norma Schneider in ihrem neuen Buch »Punk statt Putin«, das kürzlich im Mainzer Ventil-Verlag veröffentlicht wurde. Im Zuge der Recherche reiste sie mehrmals nach Russland, um mit Protagonist*innen der russischen Gegen- und Subkulturen ins Gespräch zu kommen.

Doch was bedeutet das eigentlich: Gegenkultur? Schneider zeigt auf, dass diese immer auf einen – zumeist staatlich geförderten und gelenkten – kulturellen Mainstream verweist, dem man sich ästhetisch und nicht selten auch politisch widersetzt. Im Falle Russlands bedeutet es, sich der kitschigen, nationalistisch-chauvinistischen Staatsdoktrin des Putin-Regimes zu entziehen, das seinerseits versucht, die staatlich gewünschten kulturindustriellen Artefakte mittels üppiger Kulturfonds künstlich aufzublähen und damit zu popularisieren.

Im Gegenzug werden unliebsame Künstler*innen und Acts teils massiv kriminalisiert und verfolgt: Besonders große Bestürzung löste Anfang der 2010er Jahre etwa das Beispiel des russischen Punk- und Performance-Kollektivs Pussy Riot aus, das mit mehreren provokativen und öffentlichkeitswirksamen Auftritten die misogyne und queerfeindliche Grundstimmung der russischen Gesellschaft geißelte, was schließlich in der Verurteilung dreier Mitglieder aufgrund »grober Verletzung der öffentlichen Ordnung« gipfelte. Auch die überaus populäre Band Pornofilmy geriet nach wiederholten regierungskritischen Statements und Songs ins Visier der staatlichen Behörden und musste schließlich fliehen.

Doch längst nicht alle Kunst- und Kulturschaffenden, die den Zorn des Herrschaftsapparats auf sich ziehen, positionieren sich derart eindeutig wie die beiden genannten Acts. Denn nichts, so Schneider, fürchten der russische Despot und sein Herrschaftsapparat mehr als Uneindeutigkeiten, Ambivalenzen, Ironie und unklare Positionierungen. Werden etwa die sogenannten »traditionellen Werte« – beispielsweise der russische Nationalismus oder die heterosexuelle Kleinfamilie – nicht explizit unterstützt, kann einem dies bereits zum Verhängnis werden.

Eine Verortung jenseits der Politik erscheint in diesem autoritären gesellschaftlichen Gefüge daher zunehmend unmöglich. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns: Dieses wahlweise der Bibel, dem elitären Machtzirkel der SED oder dem ehemaligen US-Präsidenten Bush entliehene Zitat kommt daher zugleich einer adäquaten Umschreibung des gegenwärtigen russischen Herrschaftsapparates und seiner ausführenden Gewalt gleich.

Und doch finden sich weiterhin kleine Nischen, in denen autonom gedacht und gehandelt wird. Die Möglichkeiten der Gegenkultur in Russland mögen derzeit begrenzt sein. Doch schaut man genauer hin, wird man fündig. Norma Schneider hat das in »Punk statt Putin« auf überzeugende Weise gemacht und bietet damit eine gelungene und kompakte Einstiegslektüre für all jene, denen der russische Underground bisher noch weitgehend unerschlossen geblieben ist.

Norma Schneider: Punk statt Putin: Gegenkultur in Russland. Ventil-Verlag, 192 S., br., 16 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal