Lausitz: Kohleausstieg ist kein Jobkiller

Brandenburgs Landtag debattiert über den Strukturwandel in der Lausitz und die dazu erforderliche Willkommenskultur

Mit dem Spruch »Die Lausitz. Krasse Gegend« werben das Land Brandenburg, die Stadt Cottbus und die vier Landkreise der Niederlausitz seit Januar für die Wirtschaftsregion. Es ist eine Image- und Standortkampagne. Sie soll die vielen ehemaligen Einwohner ansprechen, die seit 1990 auf der Suche nach Arbeitsplätzen wegzogen, weil Arbeit hier damals nur noch sehr schwer zu finden war. Wer wolle, solle gern zurückkehren, weil es wieder Perspektiven gebe. Auch sonst sei jeder willkommen, die Lausitz zu seiner Wahlheimat zu machen.

Spätestens im Jahr 2038 soll das letzte Braunkohlekraftwerk in der Lausitz abgeschaltet sein. Damit werden zwar nicht alle der im Moment 7500 Jobs bei der Lausitzer Energie AG (Leag) wegfallen, aber doch so einige. Trotzdem droht nicht etwa Arbeitslosigkeit, sondern Fachkräftemangel. Denn es gibt auf der einen Seite durchaus einige Ansiedlungserfolge. Unter anderem entsteht in Cottbus ein neues Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn mit 1200 Jobs. Auf der anderen Seite bringt es die Altersstruktur der Leag-Belegschaft mit sich, dass etliche der zurzeit dort Beschäftigten gar keine berufliche Alternative mehr benötigen, weil sie bis 2038 in Rente gehen. Dies eingerechnet, benötigt die Lausitz daher Zuwanderer aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem Ausland.

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»Wir brauchen Zuzug statt Wegzug«, bestätigt die Landtagsabgeordnete Isabell Hiekel (Grüne) am Freitag in einer Parlamentsdebatte zum Strukturwandel. Denn der Fachkräftemangel könnte zu einem Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz werden. Verhältnisse wie die an der Grund- und Oberschule von Burg im Spreewald sind da fatal. Ende April hatten zwei Lehrkräfte öffentlich gemacht, zu welch schockierenden Vorfällen es dort immer wieder gekommen war. Berichtet wurde, dass ein Schüler einem Sportlehrer den Hitlergruß gezeigt habe, im Winter Hakenkreuze in den Schnee gezeichnet worden seien, bei einer U18-Wahl an der Schule die rechte AfD und die neofaschistische NPD die meisten Stimmen erhalten hätten und Mitschüler mit Migrationshintergrund bedroht worden seien. Hernach meldeten sich Lehrer anderer Schulen mit ähnlichen Schilderungen.

»Da nützen alle Imagekampagnen nichts«, weiß die Abgeordnete Hiekel. Wolfgang Roick vom Koalitionspartner SPD betont, wenn Menschen in die Lausitz zögen, müssten sie dort herzlich empfangen werden. »Es werden nicht nur Deutsche kommen«, sagt Roick. »Die Leute sehen sich mittlerweile die Wahlergebnisse an und entscheiden dann, ob sie kommen.« Auf wen das gemünzt ist, muss Roick im Landtag niemandem erklären. Es ist die AfD, die wieder einmal fleißig dazwischenruft und Stimmung macht. Die Partei erzielte bei der Landtagswahl 2019 landesweit 23,5 Prozent und in den Lausitzer Wahlkreisen durchweg noch mehr, in der Spitze bis zu 36 Prozent.

»Es ist nicht alles paletti«, schimpft die AfD-Abgeordnete Marianne Spring-Räumschüssel nach den zugegebenermaßen etwas zu rosigen Schilderungen Rocks darüber, wie beispielhaft der Strukturwandel angelaufen sei. Selbst wenn Roick über Schwierigkeiten spricht, klingt es wie eine Lobeshymne: »Wir sind in der Lausitz derzeit Opfer des Erfolgs.« Durch die Ansiedlung von Firmen und Behörden wechselten Mitarbeiter von kommunalen Verwaltungen dorthin. Kleine Gemeinden haben Schwierigkeiten, Personal zu finden.

Spring-Räumschüssel beschwert sich über einen Sanierungsstau im Umfang von 140 Millionen Euro allein bei den Kitas in Cottbus und von weiteren 140 bis 180 Millionen Euro bei den Schulen der Stadt. Die AfD-Fraktion beantragt, bei den 10,3 Milliarden Euro Fördermitteln, die im Zuge des Kohleausstiegs für Brandenburg zur Verfügung stehen, »weiche Standortfaktoren« zu berücksichtigen, wie es Kitas und Schulen sind. Bisher sei keine einzige mit Geld bedacht worden.

Möglich wäre es, aber nach der bisherigen Verfahrensweise nur, wenn sich aus einer konkreten Ansiedlung mit 1000 oder 1500 Arbeitsplätzen ein erhöhter Bedarf ergibt. So erläutert es Brandenburgs Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD). Sie plädiert dafür, es dabei zu belassen. Dabei erkennt sie die Bedeutung weicher Standortfaktoren für die Fachkräftegewinnung durchaus an. Auf das Fachkräfteproblem könne man sich künftig konzentrieren. Denn das anfänglich vermutete Hauptproblem scheint gar keines zu sein. »Werden wir es schaffen, Industriearbeitsplätze zu schaffen in der erforderlichen Größenordnung? Die Begleitforschung sagt: Ja!« Was die AfD »Luftschlösser« nenne, könne man anfassen, erinnert Schneider. Gewerbegebiete werden ihrer Darstellung nach nicht wie in den 90er Jahren erschlossen nach dem Motto: »Mal gucken, wer kommt!« Damals blieben viele dieser Flächen ungenutzt. Heutzutage seien sie gefragt, versichert die Staatskanzleichefin.

Die Abgeordnete Anke Schwarzenberg (Linke) beschreibt den Strukturwandel als großes Puzzle, bei dem das Bild nur stimmt, wenn alle Teile richtig zusammengefügt sind. Auf die Fachkräfte bezogen heiße das: »Gut bezahlter Job auch für die Frau, gute verkehrliche Anbindung, eine schöne bezahlbare Wohnung, Kita und Schule, eine gute gesundheitliche Versorgung, Kultur, Begegnungsräume und so weiter.«

Ein von der Koalition aus SPD, CDU und Grünen eingebrachter Antrag zur gezielten Unterstützung der Kommunen beim Strukturwandel bietet fast nichts Neues. Da er aber auch nicht schade, wie Schwarzenberg sagt, stimmt die oppositionelle Linke zu. Ihr eigener Antrag, bei der Fördermittelvergabe weiche Standortfaktoren wie bezahlbaren Wohnraum zu berücksichtigen und für eine Willkommenskultur zu sorgen, findet keine Mehrheit. Auch der AfD-Antrag, endlich Strukturmittel in Kitas und Schulen zu stecken, wird abgelehnt.

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