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U21-EM in Georgien: DFB-Fußballer scheitern in Boom-City Batumi

BallHausOst: Ein wunderbar anderes Gastgeberland und die gesamteuropäische Verheißung

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Adjarabet-Arena – mitten im schnell wachsenden Batumi
Die Adjarabet-Arena – mitten im schnell wachsenden Batumi

Ein paar hundert Meter vom Schwarzen Meer entfernt schmiegt sich die supermoderne Adjarabet-Arena wie eine leuchtende Artischocke in ein rasant in die Höhe schießendes Wolkenkratzergebiet. Batumi, die Perle am Meer, ist die Boom-City in Georgien, an jeder Ecke wird gebaut. Und die Stadt ist voller Russen. Kriegsdienstverweigerer, geflüchtete Oppositionelle und Russen mit viel Geld, die am Bauboom mitverdienen wollen beziehungsweise sich längst eine Eigentumswohnung zugelegt haben.

In der Adjarabet-Arena wird am 8. Juli das Endspiel der U21-EM angepfiffen, die deutschen Fußballer spielen dort zwei ihrer Gruppenspiele. Am Sonntagabend ging es gegen Tschechien für die Jungkicker bereits um fast alles, weil es im ersten Gruppenspiel gegen Israel auch wegen zweier nicht verwandelter Elfmeter nur zu 1:1 gereicht hatte.

Im georgischen Ligabetrieb spielt Dinamo Batumi in der Arena. Das Blau-Weiß des Vereins ist die vorherrschende Farbkombination, die geschwungene Tribünenkonstruktion wirkt wie eine aufbrausende Schwarzmeerwelle, und das Ganze mal vier. 20 000 Menschen passen hinein. Beim Spiel der DFB-Elf gegen die Tschechen ist die Arena nur zu einem Viertel gefüllt, trotz günstiger Eintrittspreise. 400 Tschechen, 600 Deutsche, der Rest Einheimische. Viele bezaubernde Kinder stromern im Stadion herum und geben der Partie mit ihrem Freudengeschrei eine schrille Aura. Beide Fangruppen sind im weiten Rund verteilt, ab und an erklingen Fangesänge wie »super, Deutschland«, »olé, Deutschland« – was der gemeine Deutschland-Fan so tiriliert. Insgesamt ein fantechnischer Totentanz, das muss ich leider verkünden. Was auffällt: allein vier Hansa-Rostock-, eine Magdeburg- und drei BFC-Dynamo-Fahnen schmücken die Arena. Überhaupt entsteht der Eindruck, als wären zumeist Ostdeutsche nach Batumi gereist.

In der ersten Halbzeit taumeln die Deutschen übers Feld. Spielen sie in Knobelbechern und Bleiwesten? Die jungen Tschechen haben den Fußball auch nicht erfunden, aber Fortuna auf ihrer Seite: Sie gewinnen das Match mit 2:1. Glück spielt eben im Fußball eine nicht unerhebliche Rolle. Der 18-jährige Dortmunder Stürmer Youssoufa Moukoko, der nach dem Spiel gegen Israel in den sozialen Medien massiv beleidigt wurde, spielt leider nicht mit. Grund: muskuläre Probleme. Gewiss sind die rassistischen Beleidigungen nicht ohne Folgen für die Psyche des jungen Menschen geblieben. Jessic Ngankam, der ebenfalls angefeindet wurde, ist gegen Tschechien nur ein Schatten seiner selbst und wird in der Halbzeit ausgewechselt. Unfassbar traurig für beide.

Trainer Antonio Di Salvo herzte seine Spieler nach der Niederlage und verkündete: »Das kleine Fünkchen Hoffnung wollen wir nutzen mit einem Sieg – und dann schauen wir mal, was auf dem Nebenplatz passiert.« Was soll er auch anderes sagen, ein Spiel steht noch aus, ausgerechnet gegen England, das beide Gruppenspiele souverän gewonnen hat. Zugleich muss das DFB-Team auf Schützenhilfe der Israelis im Spiel gegen Tschechien hoffen.

Die mehr als dreistündige Taxifahrt vom Flughafen Kutaissi nach Batumi ist das eigentliche Highlight. Obgleich die Entfernung nur 140 Kilometer beträgt, sorgt der allgemeine Straßenzustand für einen Ausdauerritt. Selbst auf kurzen autobahnähnlichen Teilstücken kann man höchstens 70 Stundenkilometer fahren, weil die Strecke unter den Reifen fröhlich vor sich hin bröselt. Hin und wieder ragen romantische Hochstraßen aus grauen Betonbauteilen für ein paar Meter ins grüne Land. Umrahmt von schicken Bergen schlängelt sich die Piste durch Georgien. Alle paar Meter bieten Händlerinnen Nahrung und Getränke feil. Es ist eine Lust, diese kleinen Büdchen zu besuchen und mit dem Volk über das Leben zu palavern. Aber halt, meine Mission heißt U21-Europameisterschaft – und weiter geht’s.

Die Georgier sind große Tierfreunde, das kommt besonders hübsch im Fernverkehr zur Geltung. Die Straße befindet sich zumeist auf einer Art Damm. Rechts und links sind sumpfige Wiesen und waldige Flecken, auf denen sich Pferde und Kühe verlustieren. Nein, es sind ganze Herden, die hin und wieder von Ziegen, Schafen und frei umherschweifenden Schweinen aller Größe garniert werden. Das Besondere an diesem Nutztierfreigehege: Es gibt keine Zäune. Somit kommen Fahrzeuge in engen Kontakt mit der Tierwelt: hier mal eine Schweinefamilie, dort drei Kühe auf der Straße. Wie schön – Freundinnen der Tierbeobachtung wähnen sich auf Safari.

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Nicht unterschlagen möchte ich die frei marodierenden Hundegruppen, die sich an jeder von Menschen bewohnten Ansiedlung niedergelassen haben und um Nahrung und Zuneigung betteln. Für westliche Augen leicht befremdlich, aber wie sagte schon Meister Nadelöhr (oder war es Pippi Langstrumpf?): andere Länder, andere Sitten. Georgien ist ein fantastisches Land mit gastfreundlichen Menschen, die besonders westeuropäische Reisende sehr herzlich aufnehmen, weil wir für sie die Boten einer gesamteuropäischen Verheißung sind, die EU heißt. Good Morning, Georgien!

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