Ballroom-Doku »Family of Choice«: Ich kam. Ich sah. Ich eroberte

Die Dokuserie »Family of Choice« ermöglicht tiefe Einblicke in den diversen Kosmos der Ballroom-Szene

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Model und Künstlerin Black Pearl während eines Trainings im Park
Model und Künstlerin Black Pearl während eines Trainings im Park

»Strike a pose!« Voguing ist der wohl bekannteste Tanzstil der Ballroom-Szene. Die Doku »Family of Choice« zeigt: Ballroom ist eine ganz eigene, diverse Kultur, wo Freiheit, Selbstermächtigung und Akzeptanz gelebt und zelebriert werden.

Im Ballroom treten People of Color (PoC), trans und queere Menschen als »House«, eine Art Sportteam, gegeneinander an. Die Outfits sind schrill, sexy, kreativ. Die Kategorien sind vielfältig. In der Kategorie Fashion präsentieren die Teilnehmenden Mode auf dem Catwalk, das kann je nach Unterordnung bizarr, teuer oder einfach chic sein. In den Realness-Kategorien geht es darum, authentisch eine heteronormative Rolle zu verkörpern, um im Alltag nicht aufzufallen und nicht belästigt zu werden. In den Face- und Body-Kategorien liegt der Fokus klar auf der Präsentation des Körpers.

Voguing ist inspiriert von Posen auf Magazincovern (wie der »Vogue«), charakteristisch sind kantige Arm- und Beinbewegungen. Dass hinter den Wettbewerben eine ganze Philosophie steckt, wird man im Laufe der Doku lernen.

Ihren Ursprung hat die Ballroom-Szene in der afroamerikanischen, genderneutralen Latinx-, queeren und trans Szene. 1972 gründete Dragqueen und Transfrau Crystal LaBeija gemeinsam mit Lottie LaBeija das erste Ballroom-Haus als Protest gegen Schönheitswettbewerbe, die alle nach einer weißen Norm ausgerichtet waren. Pepper LaBeija, die letzte Queen der Harlem Dragballs, beschrieb die Magie eines Balls wie folgt: »Du kannst alles werden und alles tun. Genau hier und jetzt. Ich kam. Ich sah. Ich eroberte. Das ist ein Ball.« Dabei gilt eine Regel: Wer auf die Bühne geht, wird von der Community angefeuert.

Georgina Philps rief 2012 mit »House of Melody« (heute: Saint Laurent) Deutschlands erste Ballroom-Familie ins Leben. Seitdem ist sie nach amerikanischem Vorbild die »Mother«, die ihre Community in einem »House« zusammenhält. Sie hat für alle ein offenes Ohr. Gemeinsam tanzen, feiern und kochen sie. In der Doku gesteht sie, dass sie für ihre Rolle an ihre Grenzen geht. Vielleicht auch, weil sie nicht queer ist, sondern »nur« PoC. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens organisierte sie ein mehrtägiges Jubiläumsfestival in der Berliner Volksbühne. Sie kümmert sich auch um das Daily Business: die Teilnahme am nächsten Ball.

Als sie eine falsche Entscheidung trifft und mit ihrer Crew an einem Festival teilnimmt, das die Ballroom-Philosophie nicht teilt, versteht man, wie verletzlich die Community außerhalb der Szene ist. Ohne geschützten Raum ist das »House of Saint Laurent« mit den exzentrischen Outfits eine exotische Attraktion, die Kraft des Ballrooms geht verloren.

Die 21 bunt zusammengewürfelten Saint-Laurent-Mitglieder werden sich in wechselnden Konstellationen darüber unterhalten, wie sie durch die Ballroom-Szene ihre Persönlichkeit und Schönheit entdeckten. In der Kategorie »European Runway« kann der Verwaltungsangestellte Maksym seine sexy Seite ausleben. Antony, der sich in seiner Jugend als »der kleine schwarze Fleck auf dem weißen Blatt Papier« fühlte, wird in seiner Kategorie »Sex Siren« als queerer schwarzer Mann gefeiert. Auch Valeria, alias Ria Saint Laurent, ist eines von Georginas Kindern.

Offen spricht Ria über schmerzhafte Begegnungen als trans Frau. Damit die Krankenkasse eine geschlechtsangleichende Operation bezahlt, richten andere Menschen über ihren Körper: »Das Gutachten entscheidet, ob ich eine Brust haben darf.« Dank privater Spenden aus der Community kann sie den Schönheitschirurgen nun bezahlen. Während Ria ihrem Ideal immer näher kommt, ist sie bei Ballroom-Wettbewerben in der performenden Kategorie »Vogue Fem« eine starke Frau.

»Ballroom ist wie die heruntergekochte Essenz von Menschsein«, erklärt »Yukiko Saint Laurent«. Auf dem Christopher Street Day hält sie eine flammende Rede über ihre Erfahrungen als schwarze queere Frau in der LGBTQ+-Szene. »Wir verdienen einen Platz in der Gesellschaft!«, bestärkt sie ihre Mitstreitenden. Und darum geht es im Ballroom.

Ballroom ist Empowerment. Oder, um es mit den Worten von Georgina zu sagen: »Ballroom ist viel mehr, als sich oberflächlich zeigt. Ballroom ist magisch. Ballroom ist herausfordernd. Ballroom ist Exzellenz. Ballroom ist so real wie das echte Leben auch, mit seinen Höhen und Tiefen.«

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