Buch zum Fall Oury Jalloh: »Verbrannt in der Polizeizelle«

Ein neues Buch beschreibt, wie staatliche Stellen die Aufklärung zum Tod von Oury Jalloh verhinderten

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum 20. Todestag von Oury Jalloh warfen Demonstrierende wieder symbolisch Feuerzeuge vor das Gebäude der Dessauer Staatsanwaltschaft.
Zum 20. Todestag von Oury Jalloh warfen Demonstrierende wieder symbolisch Feuerzeuge vor das Gebäude der Dessauer Staatsanwaltschaft.

»Ich habe zu keinem Zeitpunkt seit dem Brandereignis als gesicherte Erkenntnis angesehen und sehe auch heute nicht als gesicherte Erkenntnis an, dass Oury Jalloh selbst das Feuer gelegt hat, wenngleich dies vom Landgericht Magdeburg, vom Bundesgerichtshof auch nicht gerügt, so festgestellt worden ist.« Diesen Satz schrieb der damalige Dessauer Oberstaatsanwalt Christian Preissner am 3. März 2015 in einem Aktenvermerk.

Zehn Jahre zuvor – am 7. Januar 2005 – war der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh an Händen und Füßen gefesselt in einer Zelle des Dessauer Polizeigewahrsams verbrannt. Zehn Jahre später hatte sich in großen Teilen der Medien die offizielle Version durchgesetzt: Jalloh habe das Feuer in der Zelle selbst gelegt.

Die kleine migrantische Gruppe von Freund*innen und Bekannten des Toten akzeptierte diese Erklärung jedoch nie. Sie organisierten Kundgebungen und Demonstrationen in Halle und anderen Städten, sammelten Geld für unabhängige Gutachten und sorgten so dafür, dass die offizielle Darstellung massiv ins Wanken geriet.

Seit 2005 gab es wenige Journalist*innen, die nicht einfach die Polizeiversion übernahmen. Dazu gehörte die Rundfunkjournalistin Margot Overath. Sie hörte von Anfang an den Freund*innen und Bekannten von Jalloh zu und studierte die Akten gründlich. Schon früh machte sie auf die zahlreichen Widersprüche in der offiziellen Erklärung aufmerksam – die sie nun in ihrem Buch umfassend und sachkundig darlegt.

So beginnt sie mit der Tatsache, dass Jallohs Inhaftierung rechtswidrig war. Sie geht auch erneut auf das angebliche Feuerzeug ein, mit dem der Brand gelegt worden sein soll – das jedoch nicht in der Zelle gefunden wurde. Overath referiert die Ergebnisse verschiedener Brandversuche, die von den Unterstützer*innen Jallohs auf eigene Kosten in Auftrag gegeben wurden. Zudem zeigt sie, dass selbst innerhalb der Justiz früh Zweifel an der Selbstentzündungsthese laut wurden.

Darüber hinaus geht Overath auch auf zwei weitere Menschen ein, die nach ihrer Einlieferung ins Dessauer Polizeirevier ihr Leben verloren: Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann. Beide starben mit schweren Verletzungen, für die bis heute niemand zur Verantwortung gezogen wurde. Über sie wurde erneut gesprochen, nachdem Staatsanwalt Folker Bittmann 2018 ein Szenario entwickelt hatte, wonach Einsatzkräfte im Dessauer Polizeirevier selbst das Feuer gelegt haben könnten – nicht nur um Misshandlungen zu vertuschen, sondern auch um die beiden anderen ungeklärten Todesfälle nicht erneut aufrollen zu müssen. Doch die Generalstaatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.

Der Rechtsweg in Deutschland ist damit ausgeschöpft. Die öffentliche Debatte jedoch geht weiter – auch dank engagierter Journalist*innen wie Margot Overath. Für ihre Features bei ARD und ZDF erhielt Overath zahlreiche Preise. 2021 wurde sie für ihre Serie »Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau« mit dem »Deutschen Podcastpreis« ausgezeichnet. Nun hat sie unter dem Titel »Verbrannt in der Polizeizelle« im Metropol-Verlag ein 281 Seiten starkes Buch vorgelegt, das mit zahlreichen Belegen dokumentiert, wie die Aufklärung von staatlicher Seite systematisch behindert wurde.

Doch Overaths Buch ist nicht nur akribische Recherche, sondern auch ein Dokument von Mut und Zivilcourage. Es war die kleine migrantische Gruppe in Dessau mit Bekannten und Freund*innen von Oury Jalloh, die seit dem 7. Januar 2005 unermüdlich für Aufklärung kämpfte.

Overath beschreibt, wie die Gruppe nicht nur von Neonazis und Teilen der Bevölkerung angefeindet, sondern auch von der Polizei kriminalisiert wurde – und sich dennoch nicht einschüchtern ließ. Eine zentrale Rolle spielte Jallohs Freund Mouctar Bah. Als unermüdlicher Organisator knüpfte er Kontakte zu politischen Gruppen und stand deshalb besonders im Visier der Polizei. Bei einer Demonstration für die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh wurde er von einem Polizisten verletzt und musste ins Krankenhaus.

In einem Nachwort schildert Bah, wie sich der Umgang mit ihm in Dessau in den vergangenen Jahren verändert hat: »Dieser unverhohlene Rassismus blieb bis etwa 2011. Seitdem hat sich vieles geändert.« Heutzutage werde er auch von Polizei und Behörden freundlich behandelt, wenn er Demonstrationen und Kundgebungen anmelde. Doch Bah schließt seinen Beitrag auch mit einer kämpferischen Ansage: »Die Familie braucht eine Entschuldigung. Und auch wir, die Freunde, brauchen Aufklärung. … Wir werden keine Ruhe geben, bis der Wunsch erfüllt ist.«

Margot Overath: Verbrannt in der Polizeizelle. Die verhinderte Aufklärung von Oury Jallohs Tod im Dessauer Polizeirevier, Metropol-Verlag, 281 S., 22 €.

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