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Rote Linie am Wörthersee

Heute beginnt in Klagenfurt das Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Wie fühlt sich dabei der Bürgermeister?

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Place to be für das Who is Who des Literaturbetriebs: das »Maria Loretto«
Der Place to be für das Who is Who des Literaturbetriebs: das »Maria Loretto«

Das Klagenfurter Restaurant »Maria Loretto«, am Westufer des Wörthersees gelegen, ist mit seinem Garten wohl einer der schönsten Orte Österreichs. Wolfgang Hörner, Chef des Galiani-Verlages, sagt, er empfinde jedes Mal eine etwas »idiosynkratische Freude«, wenn die untergehende Sonne ihre Strahlen just in dem Moment durch die sehr weit abstehenden Ohren des kroatischen Kellners wirft, in dem dieser sich zum Aufnehmen der Bestellung vor einem hinabbeuge »und die Ohren einen Lidschlag lang in warmem Glutorange aufleuchten«.

Am Abend des ersten Lesetages des an diesem Mittwoch in Klagenfurt beginnenden Bachmann-Wettbewerbs ist das »Maria Loretto« für den Literaturbetrieb der Place to be. Der alljährliche Bürgermeisterempfang gehört zur Tradition der Tage der deutschsprachigen Literatur. Der eloquente Christian Scheider steht für ein gemeinsames Foto gern zur Verfügung. Nirgendwo sonst kann man sich so ungezwungen über Literatur austauschen wie hier, um ein Wort des Bürgermeisters zu verwenden, »am Fuße des Wörthersees«: wer mit wem gerade ein Buch herausbringt, welcher Verlag das Zeitliche segnet und selbstredend auch, wem beim diesjährigen Wettlesen die besten Chancen eingeräumt werden. Von wegen Nachwuchswettbewerb!

In diesem Jahr gehen einige literarische Schwergewichte an den Start. Allen voran der in Berlin lebende Deniz Utlu. Das Manuskript seines im August erscheinenden Romans »Vaters Meer« (Suhrkamp) wurde vor zwei Jahren bereits mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Seine Lesung (hoffentlich aus diesem Roman) wird mit großer Spannung erwartet. Ebenso der Vortrag von Yevgeniy Breyger, einem in Frankfurt am Main lebenden und auf Deutsch schreibendem Ukrainer mit jüdischem Hintergrund.

Auf dem Feld der Lyrik hat Breyger im deutschen Sprachraum schon alles abgeräumt, unter anderem 2019 den Leonce-und-Lena-Preis und 2021 den Lyrikpreis München. Jetzt versucht er es mit Prosa. Im Feuilleton ist Breyger unlängst aufgefallen, als er dem Lyriker und Publizisten Max Czollek vorwarf, den Holocaust zur Selbstdarstellung zu missbrauchen. Seine Lesung lässt also einiges erwarten.

Konkurrenz kommt von Valeria Gordeev, einer Autorin mit russischem Migrationshintergrund. Vor zwei Jahren war sie bereits für den Alfred-Döblin-Preis nominiert, der dann aber Deniz Utlu zugesprochen wurde. Vielleicht gelingt ihr in diesem Jahr die Revanche?

Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gehe es in erster Linie um Literaturkritik, sagt Doris Moser, führende Literaturwissenschaftlerin an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt. Die wichtigsten Aufgaben der Literaturkritik – Orientierung geben, Selektion betreiben und einen angemessenen Umgang mit der Literatur vorexerzieren – erfülle der Wettbewerb allemal. »Und dabei kann man den Gatekeepern des Literaturbetriebs aufs Maul schauen, das ist mitunter amüsant, lehrreich, ernüchternd oder langweilig. Nicht mehr, nicht weniger.«

Worauf man in diesem Jahr aber tatsächlich gespannt sein darf, ist der Einbruch der Wirklichkeit in die Literatur. Während viele Jahre der Bachmann-Wettbewerb durch eine grundsätzlich unpolitische Haltung glänzte, was ihm in Jörg Haiders Kärnten eine gewisse Unversehrtheit sicherte, wird heuer bei der Eröffnung zumindest Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zur Sprache kommen. Die »Rede zur Literatur« hält in diesem Jahr Tanja Maljartschuk. Die 1983 in Iwano-Frankiwsk (Ukraine) geborene Schriftstellerin gewann 2018 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Titel ihrer Rede lautet: »Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf«.

Und wer immer noch nicht weiß, was am Bachmann-Wettbewerb das Wunderbare ist, sollte sich das poetische Vorstellungsvideo von Jayrome C. Robinet anschauen, das man auf der offiziellen Internetseite des Wettbewerbs findet. Derzeit promoviert er an der an der Universität der Künste Berlin über die Ästhetik und Politik von Performance Poetry. Seit 23 Jahren lebt Robinet in Deutschland, seit 13 Jahren als Mann.

Der Publikumspreis, der nach einer Internetabstimmung vergeben wird, geht dieses Jahr hoffentlich wieder nach Berlin: Jacinta Nandi, in Großbritannien geboren, mit einem indischen Vater, gehört zum festen Stamm verschiedener Lesebühnen. Als Autorin von Büchern wie »Die schlechteste Hausfrau der Welt« und »50 Ways to Leave Your Ehemann« (beide Nautilus) wird sie mit ihrer live auf 3Sat übertragenen Lesung ganz sicher eigene Akzente setzen.

Langweilig wird’s also nicht. Der, wie es Peter Handke einmal bemerkte, »finsterlich-grausig-legale Akt der Kulturabtreibung« war nie so bunt und so divers wie in diesem Jahr. Wohl selten hat man unter den Nominierten so viele überaus interessante Menschen erleben – und kennenlernen – können. So auch im »Maria Loretto«, beim besagten Bürgermeisterempfang. Für manche der anwesenden Lektoren wird der Abend weniger der Entspannung dienen denn der Lobbyarbeit für ihre Autoren. Gilt es doch, mit den Jurymitgliedern ins Gespräch zu kommen und selbstredend auch mit den akkreditierten Journalisten, die über ihre Schützlinge schreiben.

Wer sich dieses Jahr aber garantiert nicht wohlfühlt beim Bürgermeisterempfang, ist der Bürgermeister selbst, was der Anwesenheit so vieler Medienleute geschuldet ist. Christian Scheider, früher einmal Tennislehrer des 2008 verunglückten Jörg Haider und über viele Jahre Landesparteisekretär von dessen FPÖ in Kärnten, hat ein schwieriges Verhältnis zur Presse. Journalisten, die er mag, verleiht er schon mal die Ehrenurkunde der Stadt Klagenfurt. So geschehen Ende letzten Jahres beim Kärtner Lyrikpreis, den Scheider mit einem Grußwort beehren sollte. Er nutzte die Gelegenheit, den Moderator, den ehemaligen Redakteur der »Kärntner Tageszeitung« Harald Raffer, in Verlegenheit zu bringen.

Wenn aber ein Journalist wirklich mal seinen Job erledigt, wie in der letzten Woche Franz Miklautz, der auf seiner Internetseite über Korruption im Rathaus berichtet hat, wird er in Christian Scheiders Klagenfurt von der Staatsanwaltschaft als Krimineller verfolgt. So geschehen ebenfalls in der vergangenen Woche. Miklautz bekam Besuch von der Polizei, die seinen Laptop und seine Handys einkassierte. Die Stadt Klagenfurt hatte ihn angezeigt. Miklautz habe dazu beigetragen, das Amtsgeheimnis zu verletzen, hieß es zur Begründung.

Gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit haben drei Tage lang Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und die Journalistengewerkschaft sowie Kollegen aus dem In- und Ausland protestiert – bis die Oberstaatsanwaltschaft Graz und Justizministerin Alma Zadić endlich das Verfahren per Weisung einstellten. Im Klagenfurter Gemeinderat steht der direkt gewählte Bürgermeister jetzt ohne Mehrheit dar. Die SPÖ hat die Koalition mit ihm und seinem »Team Kärnten« aufgekündigt. Scheider habe mit der Anzeige gegen Miklautz »endgültig eine rote Linie überschritten«.

Der alljährliche Bürgermeisterempfang zum Bachmann-Wettbewerb, um den Scheider schwer herumkommen dürfte, wird für ihn ganz sicher kein Vergnügen. Ein Gastgeber, der die Pressefreiheit mit Füßen getreten hat, wird sich Dutzenden Journalisten gegenübersehen. Bei dem Fototermin und einem kurzen Grußwort seinerseits wird es wohl nicht bleiben. In diesem Jahr werden es am Wörthersee also ganz besondere Tage der deutschsprachigen Literatur.

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