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Deutsche Wohnen & Co enteignen: Verfassungstreue-Check bestanden

Expertenkommission gibt grünes Licht für Vergesellschaftung

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Vergesellschaftung von großen privaten Wohnungsunternehmen ist möglich. Zu diesem Schluss kommt die vor über einem Jahr noch von Rot-Grün-Rot eingesetzte Expertenkommission in ihrem am Mittwoch vorgestellten und an den Senat offiziell übergebenen Abschlussbericht. Die zum Großteil mit Juristen besetzte 13-köpfige Kommission sieht keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Hindernisse. An der Wahlurne hatte 2021 eine Mehrheit für die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände von großen profitorientierten Unternehmen gestimmt.

Wie bereits im Zwischenbericht dokumentiert, hält die Mehrheit der Kommission eine Vergesellschaftung für verhältnismäßig. Außerdem könne die Entschädigung der Eigentümer unter dem Marktwert der Wohnungen erfolgen. Auch zu noch im Zwischenbericht sehr offen gehaltenen Fragen finden sich im 150-seitigen Abschlussdokument nun zum Teil sehr eindeutige Voten.

Die Kommission ist der Auffassung, dass die Grenze von 3000 Wohnungen, ab der Bestände nach Vorschlag der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen »vergesellschaftungsreif« werden würden, nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot verstößt. Die damit verbundene Ungleichbehandlung ließe sich »mit Blick auf die mit solchem Vorgehen gewonnene Effizienz in der Erschließung des erforderlichen Gesamtbestands« rechtfertigen. Zugleich sei die Mehrheit der Kommissionsmitglieder der Auffassung, dass die Vergesellschaftung auf »sämtliche Bestände« kapitalmarktorientierter Unternehmen angewendet werden könne.

Der Abschlussbericht enthält aber auch vier Sondervoten der als konservativ bekannten Kommissionsmitglieder. Diese betreffen beispielsweise die Frage der Gewichtung von Eigentumsrechten und des Ziels der Vergesellschaftung bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit.

»Es war nicht unsere Aufgabe, eine politische Bewertung vorzunehmen«, betonte die Kommissionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD). Es sei, so die ehemalige Bundesjustizministerin, lediglich um die Frage gegangen, ob Vergesellschaftung grundsätzlich rechtlich möglich sei. Gleichwohl stünden die Kommissionsmitglieder gern zur Verfügung, falls nun ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeitet werden soll.

Deutsche Wohnen & Co enteignen spricht von einem »historischen Tag«. Die Initiative fordert den Senat auf, nun ein konkretes Gesetz zur Vergesellschaftung zu erarbeiten. Seit einem Jahr verweist allen voran die SPD darauf, dass der Abschlussbericht der Kommission und damit die rechtliche Prüfung abzuwarten seien.

CDU und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag verabredet, ein »Vergesellschaftungsrahmengesetz« verabschieden zu wollen, das Kriterien für einen derartigen Eingriff in verschiedene Felder der Daseinsvorsorge bestimmt. Dieses soll zwei Jahre nach der Verabschiedung in Kraft treten, dies aber auch nur, sofern das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Genaueres ist unklar. Man wolle sich den Bericht jetzt erst mal gründlich anschauen, erklärte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Mittwoch. Er sei noch immer skeptisch. »Ich halte die Vergesellschaftung weiter für den falschen Weg.«

Bausenator Christian Gaebler (SPD) sieht in dem Bericht nicht für jede Frage eine Lösung. »Der Bericht gibt Hinweise, was bei einer Umsetzung zu beachten ist.« Er wiederholte das altbekannte Mantra: »Durch die Vergesellschaftung entsteht keine einzige neue Wohnung.«

Auch die Wohnungswirtschaft reagierte erwartbar. Die Kommission habe »nur akademisch über rechtstheoretische Fragen« diskutiert, hieß es etwa vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Der BBU bleibe dabei: »Eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen ist weder mit dem Grundgesetz noch der Berliner Landesverfassung vereinbar, noch wäre sie finanzierbar.«

Deutsche Wohnen & Co enteignen befürchtet, dass unter dem schwarz-roten Senat die Umsetzung weiter blockiert wird. Erst einmal wolle man Druck auf den Senat machen, teilte die Initiative mit. Schließlich sei er mit dem Volksentscheid ja dazu angehalten worden, tätig zu werden. Parallel dazu laufen aber Diskussionen über einen erneuten Volksentscheid.

Mit diesem würde der Senat nicht mehr nur aufgefordert werden, »alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum« erforderlich sind. Die Initiative würde stattdessen ein eigenes Gesetz zur Abstimmung stellen. Letztlich besteht bei den Aktivisten auch die Befürchtung, dass ein innerhalb der Senatsverwaltungen ausgearbeitetes Vergesellschaftungsgesetz derart ausgestaltet werden könnte, dass es vor dem Bundesverfassungsgericht nur scheitern könne.

Bereits die Einsetzung der Expertenkommission war aus Sicht der Aktivisten Teil einer Blockadestrategie. Bis heute kritisieren sie die Arbeitsweise der Kommission. Sitzungsprotokolle wurden nicht veröffentlicht. Die Kommission erhielt außerdem bis zuletzt keine Grundbuchdaten für ihre Arbeit. Aus dem Abschlussbericht lässt sich dann auch der Frust der Kommissionsmitglieder selbst herauslesen. Man habe »zum wiederholten Mal« das Problem erörtert, auch im März habe man das noch einmal »mit dem Berliner Senat thematisiert«.

Die Erklärungen des aktuellen Senats und seines rot-grün-roten Vorgängers, warum keine Daten herausgegeben werden können, habe die Kommission »ausführlich geprüft«. Man komme dabei zu einer »grundsätzlich« anderen Rechtsauffassung, die gegenüber dem Senat »wiederholt« deutlich gemacht worden sei, so die Rechtsprofessoren.

Angenommen, der Senat legt weiterhin alles andere als einen Vergesellschaftungseifer an den Tag, wird es noch lange dauern, bis es zu einer Umsetzung der Vergesellschaftung kommen könnte. Das unter anderem von der Linken ausgegebene Ziel von einem Jahr für die Erarbeitung eines konkreten Gesetzes ist mehr als sportlich. Wenn die Initiative dies selbst übernimmt, braucht es mindestens zwei zusätzliche Jahre, um die Ebenen der Volksgesetzgebung zu durchlaufen. Mit Verschleppungstaktiken seitens der Senatsverwaltung kennt sich die Initiative aus.

Hat die Initiative dafür überhaupt noch die Kraft? Die Mietenbewegung in Berlin hat alles andere als Hochkonjunktur. Das Gefühl, dass sich nichts zum Guten verändert, trotz Tausender Menschen, die einmal auf die Straßen gegangen sind, ob für Demonstrationen oder um Unterschriften zu sammeln, ist schwer von der Hand zu weisen.

Isabella Rogner, eine der Sprecherinnen der Initiative, ist dennoch zuversichtlich. Nein, Resignation gebe es nicht. Es kämen sogar immer wieder neue Gesichter zur Initiative. Und auch wenn man die lila-gelben Westen gerade nicht allerorts auf der Straße sieht, seien die Aktivisten nicht untätig. »Ich glaube, mit Corona hat sich auch in der Mieterbewegung etwas verändert. Statt Großdemonstrationen setzen wir nun verstärkt auf Organizing«, sagt sie.

Auslaufende Sozialbindungen oder Nebenkostenabrechnungen: Die für die Unterschriftensammlung entstandenen Kiezteams konzentrieren sich mittlerweile auf die Probleme in ihren Kiezen. Dass noch ein langer Weg vor ihnen liegt, schrecke sie nicht ab. »Die größte Durststrecke haben wir jetzt geschafft«, sagt Rogner.

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