Nato-Streitkräfte in Deutschland: Teure Gäste

Sechs westliche Staaten haben dauerhaft Soldaten in der Bundesrepublik stationiert

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Es wirkt wie ein unfreundliches Desinteresse, wenn ein Gastgeber nicht mal weiß, wen er eingeladen hat und beherbergt. Als die Linksfraktion im Bundestag dieser Tage wissen wollte, wie viele Nato-Soldatinnen und -Soldaten auf Grundlage eines am 23. Oktober 1954 geschlossenen Vertrages in den Jahren 2021 und 2022 in Deutschland stationiert waren, musste die Bundesregierung erst einmal bei den Botschaften der jeweiligen Nationen nachfragen. Das Ergebnis: 2021 waren es 37 547, ein Jahr darauf 38 000 Militärangehörige aus sechs Staaten.

Besonders viele kamen aus den USA. In Bayern waren 2021 und 2022 rund 12 500, in Rheinland-Pfalz 19 000 und in Hessen etwa 3000 US-Militärangehörige stationiert. An zweiter Stelle stehen Truppen aus den Niederlanden, mit denen Einheiten der Bundeswehr auch strukturell eng verbunden sind. Auch Frankreich, Großbritannien, Kanada und Belgien haben Militärs in Deutschland stationiert. Aus diesen Nato-Ländern kamen 2021 und 2022 rund 1700 Uniformierte. Die Angaben erfolgen ohne Gewähr, denn überprüfen könne man sie nicht, erklärt die Bundesregierung.

Grundlage für die Stationierung ausländischer Truppen war nach der Zerschlagung des Naziregimes zunächst das Besatzungsrecht. Fünf Jahre nach Gründung der Bundesrepublik folgte der sogenannte Aufenthaltsvertrag, der mit acht Partnern geschlossen wurde. Im Zuge der deutschen Vereinigung wurde das Abkommen fortgeschrieben. Die Rechte und Pflichten der in Deutschland stationierten Soldaten, zu denen unter anderem zahlreiche Privilegien und Immunitäten zählen, ergeben sich aus dem Nato-Truppenstatut von 1959.

Die Vereinbarungen brauchen dringend ein Update, denn: Begehen Bedienstete der US-Streitkräfte oder ihres zivilen Gefolges beispielsweise bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit nach deutschem Recht eine Straftat, kann die nicht von deutschen Strafverfolgungsbehörden ermittelt und zur Anklage gebracht werden – es sei denn, die US-Behörden stimmen dem zu. Obwohl Vergleiche hinken – in derartigen Fragen sind bundesdeutsche Behörden ebenso »souverän«, wie es die der DDR gegenüber den im deutschen Osten stationierten sowjetischen Truppen war.

Aktuell werden im vereinigten Deutschland zehn Übungsplätze von US-Truppen genutzt, je einer von Großbritannien und Frankreich. Insgesamt, so schreibt die Bundesregierung, habe man den ausländischen Streitkräften 819 Liegenschaften mit einer Fläche von 59 700 Hektar überlassen. 47 000 Hektar nutzen die US-Streitkräfte, Großbritannien kommt mit 12 630 Hektar aus. Man zählt 30 »ausländische« Kasernen, 60 Depots und zahlreiche andere Flächen, darunter Flugplätze, die von fremden Truppen benutzt werden. Die üben auch fleißig. 2021 wurden 114 und ein Jahr darauf 128 Übungen angemeldet. Sie dauerten zum Teil mehrere Wochen. Auch Wohnraum wird für ausländische Soldaten und Soldatinnen samt Familien benötigt. »Mit Stand vom 1. Januar 2023 waren den Vertragspartnernationen insgesamt 14 886 Wohnungen völkerrechtlich zur ausschließlichen Nutzung überlassen.« Zu der entsprechenden Wohnfläche kann die Bundesregierung »keine belastbaren Daten« bieten.

Die Linksfraktion wollte sich auch über Kosten informieren, die Deutschland tragen muss, denn die gastgebende Nation ist verpflichtet, bestimmte »Verteidigungsfolgekosten« zu tragen. Von der Regierung benannt wurden zunächst die »tatsächlichen Ist-Ausgaben im Rahmen der Erstattung von Baunebenkosten an die Gaststreitkräfte«. 2020 standen da 72 198 681,31 Euro in den Büchern. Aufgelistet sind ebenso »Kosten zur Durchführung von Baumaßnahmen« in den betreffenden zwei Jahren. Sie betrugen 194 237 422,53 Euro. Rund 187,4 Millionen Euro sind für die US-Streitkräfte verbucht, die britischen Truppen begnügten sich mit knapp 2,4 Millionen Euro.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!

Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen. Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Im Juni 2020 wollte der damalige Präsident Donald Trump einen Gutteil der US-Truppen aus Deutschland abziehen. Die Truppenstärke sollte um etwa ein Drittel auf 24 000 Soldatinnen und Soldaten reduziert werden. Über die Hälfte der abzuziehenden Soldaten sollte in die USA zurückkehren, die anderen nach Osteuropa, Italien und Belgien verlegt werden. Deutschland sollte so wegen der nach Ansicht des damaligen US-Präsidenten zu geringen Ausgaben für das Militär bestraft werden. Betroffen hätte der Aderlass vor allem die Standtorte Vilseck, Grafenwöhr, Stuttgart und Spangdahlem. Auch die Kommandozentrale für Europa sollte von Stuttgart ins belgische Mons umziehen.

Finanziell wäre das womöglich eine Entlastung für die deutschen Steuerzahler geworden. Doch das hatte die damals regierende Große Koalition nicht im Kalkül. Sie reagierte aufgeregt, sah das traditionell gute transatlantische Bündnis auf der Kippe und die Sicherheit Deutschlands gefährdet – obgleich der damalige Oberkommandierende der US-Truppen in Europa, General Ben Hodges, erklärt hatte: »Der Grund, aus dem wir US-Truppen in Deutschland stationiert haben, ist nicht der Schutz der Deutschen – alles, was wir haben, ist zu unserem Nutzen.« Man brauche die deutschen Basen, um rasch Truppen und Material verlegen zu können.

Auch der einstige Nato-Befehlshaber und Bundeswehr-Chefinspekteur Harald Kujat riet zur Besonnenheit: »Die Amerikaner sind nicht hier, um uns einen Gefallen zu tun, sondern weil sie strategische Interessen haben.« Beide Militärexperten verwiesen mehrfach auf den US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, der damals vor allem ein Dreh- und Angelpunkt für Militäroperationen in Afrika und dem Nahen Osten war. Inzwischen hat Russlands Überfall auf die Ukraine die Richtung der Aktivitäten geändert und alle wie auch immer motivierten Rückzugsideen gegenstandslos werden lassen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal