Kann Künstliche Intelligenz die Inflation ausbremsen?

Studie erwartet Produktivitätssteigerungen durch KI, warnt aber vor Übertreibungen. Es gibt gegenläufige Entwicklungen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Schriftsteller liebt Bruno Le Maire die knackige These: »Die Künstliche Intelligenz wird es uns zum ersten Mal seit Generationen ermöglichen, wieder produktiver zu werden und effizienter zu arbeiten«, sagte Frankreichs Wirtschaftsminister am Wochenende beim diesjährigen Treffen des Ökonomenrates in Aix-en-Provence. Ein wenig geschichtsvergessen wirkte das aber auch.

Künstliche Intelligenz (KI) ist zwar menschengemacht und insofern künstlich, wirklich intelligent ist sie indes nicht. »Was sie gut kann: wie Politiker flott druckreife Plattitüden ohne allzu viel neuen Tiefgang liefern«, scherzt der deutsche KI-Pionier Jürgen Schmidhuber. Künstliche Intelligenz ist auch nicht neu, aber die mediale Aufregung um die Textverarbeitung Chat GPT hat sie populär gemacht. Und wie bei den Leistungen von Computerchips hat sich das Tempo der Entwicklung rasant beschleunigt.

Daher ist es naheliegend, dass auch Profi-Anleger und Investoren von den Möglichkeiten der KI begeistert sind. Für die westlichen Volkswirtschaften als Ganzes bietet sie große Chancen, insbesondere weil sie die Produktivität in der industriellen Fertigung erhöhen könnte.

Allerdings sollte man die Entwicklung in einzelnen Bereichen nicht schematisch auf eine ganze Volkswirtschaft übertragen. So wirkte sich die Entwicklung der ersten PCs Anfang der 80er Jahre sehr zögerlich auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität aus; sie zog in den USA erst ab Mitte der 90er Jahre an. In der Spitze verstärkte sich das Produktivitätswachstum um rund 1,5 Prozentpunkte, um dann ab 2005 wieder abzuebben.

Ein langer Zeitverzug ließ sich in der Vergangenheit bei allen neuen Basistechnologien beobachten, von der Dampfmaschine bis zur Digitalisierung. Ein Grund dafür ist die nur schrittweise Einführung. Diese setzt teure Investitionen voraus, Gebäude müssen umgebaut und komplizierte Arbeitsabläufe umorganisiert werden.

Der KI-Einsatz erfordert ebenfalls tiefgreifende Veränderungen für Unternehmen, die Zeit brauchen werden, heißt es in einer gerade erschienenen Studie der Commerzbank. Außerdem dürfte die Produktivität in der Gesamtwirtschaft bei Weitem nicht so stark steigen wie in einzelnen Tech-Unternehmen, weil KI längst nicht alle Aufgaben in Betrieben übernehmen kann. Und auch dieser Produktivitätsboom dürfte nach Erreichen eines Höhepunkts wieder abebben. Der Grund: In einem Sektor mit stark steigender Produktivität werden permanent Arbeitskräfte freigesetzt und in Sektoren ohne Produktivitätsfortschritt verschoben, etwa in Dienstleistungen. Eine Beobachtung, die der US-Ökonom William Baumol schon in den 60er Jahren machte.

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»Alles in allem spricht einiges dafür, dass die Produktivität dank KI in einigen Jahren beginnt, wieder stärker zuzulegen«, schreibt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, in einer neuen Skizze. Und das dürfte den Preisanstieg dämpfen, denn eine höhere Produktivität steigert das gesamtwirtschaftliche Angebot an Gütern und Dienstleistungen. Doch dies ist alles andere als ein Allheilmittel: »Es gibt auch Faktoren, die bereits jetzt die Inflation für sich genommen erhöhen«, so Krämer.

Ähnlich argumentieren linke Ökonomen, Volkswirte in den Zentralbanken und auch der Internationale Währungsfonds. So lässt die Demographie den Anteil der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter in Nordamerika, Europa und weiten Teilen Asiens sinken, was Arbeit verknappt und tendenziell für höhere Lohnkosten sorgt. Ein Effekt, der beispielsweise in China gut beobachtet werden kann. Außerdem geht die Dekarbonisierung mit einer Bepreisung der bislang weitgehend kostenlosen CO2-Emissionen einher, und auch die dafür notwendigen Investitionen müssen bezahlt werden. Schließlich dürfte die Deglobalisierung die Inflation erhöhen, so wie die Globalisierung sie lange gesenkt hat.

»Alles in allem stellen die drei großen D – Demographie, Dekarbonisierung, Deglobalisierung – für die Zentralbanken bis auf weiteres Gegenwind bei der Inflationsbekämpfung dar«, schreibt Krämer. In der Folge könnten diese langfristig an höheren Leitzinsen festhalten, um die Geldwertstabilität zu sichern. Aber KI macht dem Volkswirt Hoffnung, dass die Zentralbanken irgendwann wieder mit Rückenwind arbeiten können.

Auf diesem Weg möchte sich Politiker Le Maire zunächst daranmachen, ein »europäisches Open AI« zu schaffen. Also ein Gegenstück zum US-Unternehmen, dass Chat GPT entwickelt hat.

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