Abdel Fattah Al-Sisi – der Wachhund an Europas Außengrenzen

Deutschland pumpt Millionen in den ägyptischen Sicherheitsapparat, um Menschen von der Flucht abzuhalten

»Regierungen in der EU haben eine unglaubliche Angst um die europäischen Außengrenzen. Wenn du einen Wachhund an deiner Hintertür hast, der dein Haus bewacht, dann gibst du ihn nicht auf.« So beendete der ägyptische Migrationsexperte und Aktivist Muhammad Al-Kashef dieser Tage seinen Beitrag auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum zehnten Jahrestag der Sisi-Machtübernahme in Ägypten.

Das Haus, um das es sich handelt, ist Europa, der Wachhund ist der ägyptische Präsident Al-Sisi und die Hintertür sind die EU-Außengrenzen am Mittelmeer. Wer in dem Bild die Einbrecher*innen sein könnten, nennt Al-Kashef zwar nicht; gemeint sind aber diejenigen, die in Hoffnung auf ein sicheres und besseres Leben den riskanten Weg nach Europa und Deutschland auf sich nehmen: Migrant*innen aus Nordafrika, dem Sudan und afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Deutschland und die EU wollen sie draußen halten – scheinbar um fast jeden Preis.

Der eindringliche und zugleich frustrierte Ton, in dem Al-Kashef sprach, machte deutlich: Seit Jahren schon erzählt er in etwa das Gleiche, wenn er Menschen auf die Sicherheitskooperation zwischen seinem Geburtsland und Deutschland beziehungsweise der EU aufmerksam macht. Eine Zusammenarbeit, die einem Pakt mit dem Teufel ähnlich scheint; oder besser einem Pakt zwischen Teufeln.

Nachdem Al-Sisi 2013 durch einen Putsch an die Macht gekommen war, intensivierte sich die gemeinsame Arbeit mit EU-Staaten zur Kontrolle der Migrationsströme, vor allem mit Deutschland. Die Anfänge der Partnerschaft gehen aber bis in die ersten Jahre der EU zurück. 2007 unterzeichnete Italien als erstes europäisches Land ein bilaterales Abkommen mit Ägypten, seit 2008 arbeiteten die beiden Regierungen gemeinsam gegen irreguläre Migration. Als dann 2015 der Druck auf EU-Staaten stieg, mit der erhöhten irregulären Migration aus Syrien und Nordafrika umzugehen, ergriff Al-Sisi seine Chance und sagte: »Ich habe das Militär hinter mir, ich kann euch Sicherheit bieten und den europäischen Albtraum namens Ägypten geschlossen halten, wenn ihr mir Geld und Ressourcen gebt«, so Al-Kashef.

2017 manifestierte sich die europäische Angst vor der Migration auf der EU-Ebene: Ein sogenannter Migrationsdialog wurde gestartet und ein Projekt auf den Weg gebracht, mit dem »Fluchtursachen« bekämpft werden sollten. Die für das Projekt eingeplanten 60 Millionen Euro stammen aus dem EU-Nothilfefond für Afrika, einem 2015 eingerichteten EU-Instrument, dessen Maßnahmen vor allem Migrant*innen auf dem afrikanischen Kontinent von der Flucht nach Europa abhalten sollten.

Im selben Jahr unterzeichnete auch Deutschland ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit Ägypten. »Deutschland sendete Ägypten damals Hightech-Geräte, zum Beispiel Scanner für Fingerabdrücke und Reisepässe, um sicherzustellen, dass keine irregulären Migrant*innen durch die Flughäfen kommen«, erklärte Al-Kashef. Ebenfalls Teil des Abkommens war die Ausbildung von »Sicherheitskräften« an der Polizeiakademie in Kairo. 2018 begannen Deutschland und Italien, dort Menschen mit 31 verschiedenen Nationalitäten auszubilden, um Migration nach Europa vorzubeugen. Das wurde zu einem Skandal, erinnert Al-Kashef: »Wie könnt ihr europäische Länder uns etwas von Menschenrechten oder den Prinzipien der modernen Gesellschaft erzählen, wenn ihr mit Mördern kollaboriert?«

Inzwischen prahlt Präsident Al-Sisi regelmäßig damit, dass keine Boote mit Flüchtenden mehr von den ägyptischen Küsten abfahren – tatsächlich ist die Zahl massiv gesunken. Dafür nehmen viele jetzt die noch gefährlichere Route über das Nachbarland Libyen. Regelmäßig verschwinden Flüchtende, werden zum Beispiel von Schleppern in der Wüste ausgesetzt; oft der sichere Tod. Auch unter denen, die es an die libysche Küste und dann etwa nach Italien schaffen, stammt ein Großteil aus Ägypten.

»Jetzt versucht Al-Sisi natürlich, auch den Zustrom von Sudanes*innen, die vor dem Krieg flüchten, zu nutzen. Auch hier hält er wieder die Hand in Richtung Europa auf«, betonte Al-Kashef. Seit Kriegsbeginn im April haben es circa 200 000 Menschen aus dem Sudan nach Ägypten geschafft. Noch ein Grund mehr für die EU, mit »Mördern zu kooperieren«. Zum Ende der Veranstaltung fragte eine Frau, was wir Europäer gegen das Unrecht tun könnten. Die über Jahre eingeübte Antwort: »Ihr lebt in einer Demokratie. Ohne die Regierungen, die ihr wählt, könnte das Sisi-Regime nicht bestehen. Das ist auch eure Verantwortung!«

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