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Opfer von Streubomben aus Asien appellieren an die USA

Regierungen von Kambodscha und Laos warnen vor Lieferung von Streumunition an die Ukraine – sie wissen, wovon sie reden

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Kambodschas Langzeit-Premier Hun Sen, mit einer winzigen Unterbrechung seit 1985 im Amt, ist eigentlich gerade ganz auf innenpolitische Themen mit den Parlamentswahlen am 23. Juli konzentriert. Doch eine Nachricht auf internationaler Ebene hat den Veteran aufmerken und ein besorgtes Statement abgeben lassen. Denn die Ankündigung der US-Regierung von Präsident Joseph Biden, der bedrängten Ukraine neben anderen Waffen nun auch Streumunition liefern zu wollen, lässt bei ihm und anderen die Alarmglocken schrillen. In einem Twitter-Post erinnerte Hun Sen an die »schmerzvollen Erfahrungen«, die sein Land mit diesem international geächteten Waffentyp sammeln musste. »Ich appelliere an den US-Präsidenten als Lieferanten und den ukrainischen Präsidenten als Empfänger, keine Streumunition in diesem Krieg einzusetzen, weil die wahren Opfer die Ukrainer sein würden«, so Hun Sen. Kambodscha habe es nach einem halben Jahrhundert noch immer nicht geschafft, diese Hinterlassenschaften seiner eigenen gewaltvollen Geschichte vollends zu beseitigen.

Er ist nicht der Einzige in Südostasien, der vehement vor der Lieferung und dem Einsatz von Streumunition warnt. Auch das Außenministerium im benachbarten Laos hat eine im Kern weitgehend identische Erklärung herausgegeben. »Als das weltweit größte Opferland und Unterzeichner der Konvention zu Streumunition drückt die Laotische Demokratische Volksrepublik ihre tiefempfundene Besorgnis über den möglichen Einsatz von Streubomben aus«, heißt es darin. Noch immer leide das laotische Volk 50 Jahre später unter den nicht explodierten Relikten des Streubombeneinsatzes im Zuge des Vietnamkriegs.

Tödliche Hinterlassenschaft im Boden

Tatsächlich haben bisher vor allem Kambodscha und Laos unter der Erfindung dieses in seiner nicht unbedingt beabsichtigten Langzeitwirkung besonders heimtückischen Waffentyps zu leiden gehabt. Von den zwischen den 1960er Jahren und 2022 weltweit erfassten nachweislich mindestens 23 768 zivilen Opfern entfällt ein übergroßer Anteil auf diese beiden Länder, die während des Vietnamkriegs von den US-Streitkräften mit einem regelrechten Bombenteppich, darunter auch Streumunition, überzogen wurden.

Kambodscha weist seinerseits insgesamt rund 20 000 Opfer durch Landminen und Streubomben aus, die es seit dem Ende der 1970er Jahre gegeben habe, ähnliche Zahlenangaben gibt es aus Laos. Die Nichtregierungsorganisation Handicap International, die sich dem Kampf gegen diesen Waffentyp verschrieben hat und penible Statistiken zum Thema führt, erklärt aber auch, dass die weltweiten Opfer nur eine offiziell verifizierte Mindestangabe seien. In der Dunkelziffer, die dahinter stehe, müsse in den 56 betroffenen Ländern und drei abhängigen Gebieten, in denen Streumunition zum Einsatz kam, eher von einer Zahl zwischen 56 500 bis 100 000 ausgegangen werden. Auch im jüngsten Berichtsjahr 2021 handelte es sich bei nahezu allen der 59 Getöteten und 90 Verletzten um Zivilisten. Ein großer Teil davon waren Kinder. Dies deckt sich, auch wenn die Fallzahlen rückläufig sind, mit den Einordnungen früherer Jahre.

Der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Konvention über Streumunition (CCM) gehören inzwischen 110 Länder an, die letzten drei traten 2020 bei. Auch die Bundesrepublik hat sich schon länger für die Ächtung dieser Waffen eingesetzt. Für Bestürzung sorgte daher jüngst das Statement von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der nun im Fall der US-Lieferung an die Ukraine um Verständnis für eine Ausnahme warb. Schließlich hatte der SPD-Mann doch als Außenminister noch eine klare Verbotshaltung vertreten.

Russland setzt schon länger Streumunition ein

Allein in Laos sollen damals etwa 250 Millionen Streubomben niedergegangen sein, etwa 30 Prozent explodierten zunächst nicht. Die Sprengkapseln lagern weiterhin im Boden oder lauern in den Wäldern im Gebüsch – eine latente Gefahr vor allem für Kinder beim Spiel oder für Bauern. Die Teams der Mines Advisory Group (MAG) haben allein bis September 2021 in Laos 300 000 solcher tödlichen Relikte entfernt. In Kambodscha hofft man sogar, bis 2025 die meisten dieser hochgefährlichen Hinterlassenschaften berräumt zu haben, deren Vorhandensein bis heute ganze Dorfgemeinschaften tief besorgt. Kambodscha hatte mit seiner Expertise auch schon im Januar begonnen, ukrainische Teams beim Aufspüren und der Entschärfung von Streubomben zu schulen. Denn Russland, das ebenso wie die USA bisher keine Vertragspartei der CCM ist, setzt im Angriffskrieg gegen die Ukraine schon länger Streumunition ein.

Derzeit ist das geschundene Kriegsgebiet im Osten Europas laut Handicap International das einzige Land weltweit, in dem noch aktiv neue Streumunition zum Einsatz kommt, der Rest sind »Altlasten«. 34 Staaten haben diesen Waffentyp hergestellt, knapp die Hälfte davon sogar noch in den Jahren 2021 und 2022, so die NGO. Dass die ukrainische Regierung angekündigt hat, die Einsatzstellen von Streumunition »genau zu dokumentieren«, kann die Mahner und Kritiker keineswegs beruhigen.

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