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Weichen auf Kompromiss gestellt

Der Tarifkonflikt zwischen EVG und Deutscher Bahn könnte ohne weitere Streiks beendet werden

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein zustimmungsfähiger Tarifvertrag oder Streiks für bessere Bedingungen: Die Weichen werden in der Schlichtung gestellt.
Ein zustimmungsfähiger Tarifvertrag oder Streiks für bessere Bedingungen: Die Weichen werden in der Schlichtung gestellt.

Am Montag beginnt das Schlichtungsverfahren im Tarifkonflikt zwischen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Deutschen Bahn. Als Schlichter bestimmt wurden der frühere Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) die Juristin Heide Pfarr (SPD), die unter anderem als Arbeits- und Sozialministerin in Hessen amtierte. Für die Schlichtung ist ein Zeitraum von zwei Wochen vorgesehen. Am Ende dieses Verfahrens steht in der Regel ein einvernehmlicher Vorschlag der beiden Schlichter, über dessen Annahme die Tarifparteien dann jeweils entscheiden. Während des Schlichtungsverfahrens herrscht Friedenspflicht, es kann also nicht gestreikt werden. Für die Verhandlungen gilt strikte Vertraulichkeit, es wird also im Verlauf keinerlei »Wasserstandsmeldungen« geben.

Damit deutet sich die Beilegung eines zähen Tarifkonfliktes an, der sich vor wenigen Wochen deutlich zuzuspitzen schien. Denn am 22. Juni hatte die EVG die Verhandlungen endgültig für gescheitert erklärt und die Einleitung einer Urabstimmung über unbefristete Streiks verkündet, die auch den Reiseverkehr in den Sommerferien beeinträchtigen könnten. Doch davon war schon wenig später keine Rede mehr. Bereits eine Woche später nahm die Gewerkschaft Gespräche mit dem Unternehmen über ein Schlichtungsverfahren auf, am 6. Juli wurde eine entsprechende Einigung erzielt. Die Urabstimmung wurde bis zum Ende des Schlichtungsverfahrens ausgesetzt. Anschließend sollen die Mitglieder dann auch nicht mehr über Arbeitskämpfe für die ursprünglichen Forderungen der EVG abstimmen, sondern über Annahme oder Ablehnung des Schlichterspruchs. Das Ergebnis soll Ende August vorliegen. Falls mindestens 25 Prozent der Abstimmungsteilnehmer den Schlichterspruch akzeptieren, ist der Tarifkonflikt beendet.

Knackpunkte der gescheiterten Tarifverhandlungen waren die Höhe der linearen Lohnerhöhung und die Laufzeit des neuen Tarifvertrages. Während die EVG eine Erhöhung um mindestens 650 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten forderte, bot die Bahn lediglich prozentuale Erhöhungen an, die für die unteren und mittleren Einkommensgruppen deutlich geringere Zuwächse bedeutet hätten.

Für die jetzt anstehende Schlichtung deutet sich auf Seiten der EVG eine Art »rote Linie« an. Denn bei den parallel verlaufenden Tarifverhandlungen mit rund 50 privaten Schienenverkehrsunternehmen wurden nach Angaben der Gewerkschaft bislang rund 20 Abschlüsse erzielt, die eine pauschale Erhöhung um 420 Euro in zwei Stufen bei einer Laufzeit von 21 bis 24 Monaten beinhalten. Ein Ergebnis, das hinter diese Marke zurückfällt, wäre den Mitgliedern wohl kaum zu vermitteln.

Außerdem sitzt bei den Schlichtungen ein unsichtbarer Elefant im Raum. Denn die EVG befindet sich in erbitterter Konkurrenz mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), deren Tarifverhandlungen mit der Bahn im Herbst beginnen. Die GDL verlangt eine Erhöhung aller Tabellenentgelte um 555 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für alle Beschäftigen im Netzbetrieb (zum Beispiel Fahrdienstleiter), in der Netzinstandhaltung, in der Fahrzeuginstandhaltung und beim Zugpersonal (Lokführer, Zugbegleiter und Bordgastronomen). Ferner fordert die GDL einen steuerfreien Inflationsausgleich von 3000 Euro. Zudem soll die Referenzwochenarbeitszeit für Beschäftigte im Schichtdienst auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich gesenkt werden.

Natürlich wird auch die GDL im Laufe der Tarifrunde Abstriche bei ihren Ausgangsforderungen akzeptieren müssen. Allerdings hat diese Gewerkschaft in den vergangenen Jahren hinlänglich unter Beweis gestellt, dass sie bereit und in der Lage ist, ihren Forderungen mit massiven Streiks Nachdruck zu verleihen. Zwar ist die Tarifmacht der GDL bei der Bahn AG durch das Tarifeinheitsgesetz stark eingeschränkt, doch dem will die Gewerkschaft mit der von ihr im Juni gegründeten genossenschaftlichen Leiharbeitsfirma »FairTrain« entgegenwirken.

Dort sollen zunächst nur Lokführer zu Tarifbedingungen der GDL eingestellt und dann der Bahn »überlassen« werden. Angesichts des dramatischen Lokführermangels bei der DB und darüber hinaus auf dem gesamten deutschen Arbeitsmarkt dürfte dieses Vorhaben beim Management, aber auch bei der konkurrierenden EVG für einiges Kopfzerbrechen sorgen.

Die jetzt beginnende Schlichtung wird aller Voraussicht nach relativ reibungslos verlaufen. Weder die Bahn noch die EVG haben ein Interesse an weiteren Arbeitskämpfen, und den ausgebufften Polit-Profis Thomas de Maizière und Heide Pfarr obliegt es nun, einen für beide Seiten einigermaßen gesichtswahrenden Kompromissvorschlag vorzulegen. Erschwerend hinzu kommt, dass die EVG-Führung mit dem jetzt gewählten Verfahren die zuvor mit markigen Worten befeuerte Kampfbereitschaft vieler Mitglieder regelrecht abgewürgt hat.

Für die Reisenden bedeutet dies zumindestens eine Atempause und streikfreie Sommerferien. Streikfrei ja, aber stressfrei mit Sicherheit nicht, denn das marode, vom Management und der Verkehrspolitik über Jahrzehnte systematisch heruntergewirtschaftete Unternehmen wartet derzeit mit immer neuen Rekorden bei Verspätungen und Zugausfällen auf.

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