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Der vergessene Dandy

Museyroom (Teil 7): Das Museum Hermann Harry Schmitz ist zu klein für den drittgrößten Mann des letzten Jahrhunderts

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Gedenkstein für Hermann Harry Schmiz vor dem Uhrenturm, GrafenbergerAllee 300, Düsseldorf.
Gedenkstein für Hermann Harry Schmiz vor dem Uhrenturm, GrafenbergerAllee 300, Düsseldorf.

»Der Vater will nach Cottbus. Er hat die Fahrkarte Berlin-Cottbus. Die Fahrkarte nützt dem Vater nichts. Der Vater ist ratlos. Die Fahrkarte gilt für den Eilzug. Der Eilzug ist schon fort. Der Vater will in den Schnellzug steigen. Der Vater darf es nicht. Der Vater weint. Ein Schnellzug ist kein Eilzug. Wenn man schnell ist, eilt man nicht. Wer eilt, ist nicht schnell. Die Eile ist langsam. Der Vater hat Eile, will mit dem Schnellzug fahren. Das darf er nicht. Der Vater reißt sich ein Büschel Haare aus. Die Fahrkarte des Vaters hat keinen Längsstrich. Hätte sie einen Längsstrich, so könnte er mit dem Schnellzug fahren. Der Längsstrich ist rot. Der Vater braucht Zuschlagskarten. Es gibt Zuschlagskarten mit breiten Längsstreifen. Der Streifen ist gelb. Der Streifen ist manchmal grün. Der Streifen kann auch braun sein. Der Vater geht an den Schalter. Der Vater kauft eine Zuschlagskarte. Der Vater hat einen braunen Streifen. Der braune Streifen nützt dem Vater nichts. Der braune Streifen gilt bis Lübben. Der Vater will nach Cottbus. Der Vater hat in Lübben nichts zu tun. Die Sache geht nicht. Der Vater rennt mit dem Kopf gegen die Wand. Der Vater muß eine andere Zuschlagskarte haben. Er braucht einen grünen Streifen. Der Vater will eine Zuschlagskarte bis Cottbus. Eine Zuschlagskarte bis Cottbus gibt es nicht. Der Vater muß eine Zusatzkarte bis Schleife kaufen. Der Vater will nicht nach Schleife. Der Vater hätte eine Sammelkarte nehmen müssen. Der Vater hat das nicht gewußt. Der Vater wird tobsüchtig. Man bringt den Vater in die Irrenanstalt. Der Vater wird von den Wärtern totgeprügelt. Der Vater kommt in den Himmel. Die Strecke nach dem Himmel ist über 150 Kilometer. Der Vater braucht hierzu keinen roten Längsstrich und keinen bunten Streifen und keine Sammelkarte. Der Vater frohlockt über diese Vereinfachung.«

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

Dieser Text, überschrieben »Vereinfachung im Eisenbahn-Verkehr – Eine Katastrophe«, der einen an die Unwägbarkeiten der Deutschen Bahn der Gegenwart denken lässt, wurde 1921 in der im Verlag der Galerie Flechtheim Berlin-Düsseldorf erscheinenden Zeitschrift »Der Querschnitt« veröffentlicht. Sein Autor, Hermann Harry Schmitz, war bei dessen Erscheinen bereits acht Jahr tot. Der im Juli 1880 in Düsseldorf Geborene hatte sich wegen eines Lungenleidens am 8. August 1913 in Bad Münster am Stein mit einer Browning-Pistole erschossen. Schmitz‘ Vater war Fabrikdirektor der Piedboeuf‘schen Röhrenwerke im Düsseldorfer Stadtteil Eller. Hermann Harry verließ das Realgymnasium ohne Abschluss, um 1896/97 seine Tuberkulose auf Korsika auszukurieren. Auf Druck des Vaters begann er ab 1899 eine kaufmännische Laufbahn. Auftragsbücher und Bilanzen waren jedoch seine Sache nicht. Um von den Stückzahlenlisten wegzukommen, las er Werke von Huysmans, Poe, Baudelaire und Oscar Wilde. Seit 1906 veröffentlichte er radikal-surreale Grotesken und subtile Alltagsgeschichten im »Simplizissimus«, seit 1907 im »Düsseldorfer General-Anzeiger«, dem Blatt für die Haute Volee der Stadt. In diesem erschien am 23. März 1913 auch seine letzte Satire, die in der gesetzten Bürgerlichkeit von Stumpfsinnshausen spielt – »Die feine Gesellschaft«. Außerdem verfasste er zeitkritische Einakter für den Akademischen Verein »Laetitia«, eine Verbindung aus Studierenden und Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie, oder trat als dandyesker »Konferenzier und Arrangeur kurzer Parodien« auf, wobei er seinen Vortrag etwa mit einem Satz wie »Mir träumte verwichene Nacht, ich sei eine Hängematte …« begann.

Seine erste Buchveröffentlichung trug den Titel »Der Säugling und andere Tragikomödien« (Ernst Rowohlt, Leipzig, 1911). Darin findet sich auch der Erlebnisbericht »Als ich nach Italien fuhr«. Der Ich-Erzähler entdeckt im Zug ein Emaille-Schild, mit dem gebeten wurde, nicht auszuspucken: »Es klang aber doch einfach grandios, in seiner Phonetik geradezu überwältigend: ›Si prega di non sputare nella carrozza!‹ Ich hätte die weiteren zwei Flaschen Rüdesheimer nicht trinken sollen, es wäre besser gewesen. Auch die sieben Kognak waren nicht nötig.« Schmitz durfte sich einen hinter die Binde kippen, denn die Veröffentlichung wurde ein reichsweiter Erfolg, und er entschloss sich, als freier Schriftsteller tätig zu werden. Ein von ihm überliefertes recht unbescheidenes Bonmot lautet: »Der größte Mann des Jahrhunderts ist Zeppelin und ich bin der drittgrößte. Ich habe das mündlich.«

Im Lokalmagazin »The Düsseldorfer« wurde Schmitz mit den folgenden Worten gewürdigt: »Kaum ein Neu-Düsseldorfer ahnt, in welch hohem Maße dieser Mann, den sie gern ›Dandy‹ nennen, typisch düsseldorferisch war. Schmitz zeigte sich gern ein bisschen snobby, war kreativ und bekloppt sowie ein Melancholiker mit tragischem Ende. Das alles ist weit entfernt von dem, was Auswärtige für rheinische Fröhlichkeit halten, aber nah dran an Kunstakademie und Mode und der typisch bergischen Grantelei, denn die schönste Stadt am Rhein ist eben nicht nur rheinisch, sondern enthält eine große Portion Bergisches und den Niederrhein und die Eifel als Spurenelemente.«

Das Museum Hermann Harry Schmitz ist das wohl dürftigste in deutschen Landen. Die Hermann-Harry-Schmitz-Societät hatte sich ab 1990 seiner angenommen und 2007 in dem Uhrenturm vor dem Eingang zum Jobcenter ein Museum eingerichtet. Nach der Auflösung der Societät ist Schmitz dort nun nur noch ein knapp 10m2 großer Raum zugedacht, der die Bezeichnung »Museum« nicht verdient. Zu sehen sind ein paar seiner Bücher, die 2013 zu seinem 100. Todestag erschienene 53 Cent-Sonderbriefmarke sowie ein Foto aus dem Jahre 1989 von der Aufführung der Schmitz‘schen Attacke auf die tragenden Werte des deutschen Kaiserreichs, des Einakters »Nr. 42, ein Albdruck«. Auf dem Boden ruhen Exponate, die mit dem Autor rein gar nichts zu tun haben. Im März 1912 hatte Schmitz in einem Brief vom »Düsseldorfer Mummenschanz« gesprochen. Warum sollte das kulturoffizielle Düsseldorf einen Hermann Harry Schmitz gebührend würdigen, wenn doch schon der weitaus berühmtere Künstler Joseph Beuys in der Rheinmetropole fortgesetzte Vernachlässigung erfährt? Anderswo wird die Erinnerung an Schmitz allerdings wachgehalten: 2021 wurde in dem südwestirischen Landstädtchen Kenmare (irisch: An Neidín – das Nestchen) im Treppenhaus eines Reihenhäuschen ein Hermann-Harry-Schmitz-Museum eröffnet.

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