Prenzlauer Berg: Widerstand gegen Abriss in der DDR

DDR-Bürger wehrten sich gegen den Abriss ihrer Altbauten. Das Museum Pankow zeigt ihren Widerstand

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Rykestraße 1988: Um den Abriss zu verhindern, wurden extra leerstehende Wohnungen bezogen.
Die Rykestraße 1988: Um den Abriss zu verhindern, wurden extra leerstehende Wohnungen bezogen.

Die Geschichte der Altbauten in Prenzlauer Berg erzählt sich meist so: Mit dem Fall der Mauer entstand der Wille zu schützen, was zuvor dem Verfall preisgegeben wurde. Aus dem größten zusammenhängenden Sanierungsgebiet machten Millionen von Fördergeldern das größte intakte Gründerzeitviertel Deutschlands. Es war ein Sanierungsprogramm, das den Grundstein dafür legte, dass später einmal Witze über Prenzlauer Berg und seine neuen Bewohner gemacht werden konnten. Doch Wohnraum, der zuvor abgerissen werden sollte, blieb erhalten.

Was dabei vergessen wurde, sind die alten Bewohner in Prenzlauer Bergs. Denn die Geschichte des Schutzes des Altbauviertels beginnt lange vor 1990. Die DDR-Führung lässt die Häuser hier verfallen. Die Sanierung der Altstadtviertel gehörte nicht zum politischen Programm. Allein die in Plattenbauweise errichteten Neubauviertel an den Stadträndern sollten die »Lösung der Wohnungsfrage« bringen. Die Bewohner in Prenzlauer Bergs sahen das anders.

Mehr Verfall als Neubau

Gabi Pfeil war zu DDR-Zeiten in der Stadtplanung für Prenzlauer Berg und Pankow tätig. Mit ihren Kollegen hat sie 1980 systematisch den Zustand der Häuser im Bezirk dokumentiert. Bei einer Veranstaltung im Rahmen der im Museum Pankow letztmalig gezeigten Wanderausstellung »Bürgergruppen gegen den Altstadtverfall in der DDR« erzählt sie von ihren Erfahrungen. »Was mich heute erstaunt: Alle haben damals die Tür aufgemacht.«

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Sie besichtigen die Wohnungen, notieren die Größe, den Zustand der Wohnungen und auch, ob diese mit Außenklo ausgestattet sind – was auf die meisten zutraf. Diese Erfassung des Bestandes brachte vor allem eine Erkenntnis: »Man konnte gar nicht so viel neu bauen, wie gleichzeitig verfiel«, sagt Pfeil. Eine Wohnungspolitik, die nur auf Neubau setzte, konnte nicht funktionieren.

Die DDR-Baupolitik sah eigentlich den Kahlschlag vor. Analog zu West-Berlin: Von der Oderberger Straße aus konnte man sehen, wie auf der anderen Seite der Mauer im Brunnenviertel in den 1960er Jahren abgerissen und neu gebaut wurde. Die DDR wollte das auch vor allem im südlichen Teil des Prenzlauer Bergs, um dort Plattenbauten neu zu errichten.

Pläne hatte die DDR mehr als alles andere. Ein Beispiel dafür, wie absurd diese sein konnten, ist der Helmholtzplatz. Hier sollten zwei Tiefgaragen mit insgesamt 250 Stellplätzen laut Planzeichnung entstehen. »Es wurde unheimlich viel geplant, aber im Missverhältnis zu dem, was realisiert werden konnte«, sagt Pfeil.

Gastarbeiter aus Halle

Der Plan, flächendeckend abzureißen und Plattenbau neu zu errichten, musste in den 1970ern fallen gelassen werden angesichts des Wohnungsmangels und des Blicks auf die eigenen Kapazitäten. Im Rahmen eines Pilotprojekts am Arnimplatz riss man zwar Quergebäude ab, sanierte die weiter bestehenden Gebäude aber grundlegend und schuf Spielplätze auf den neu entstandenen Freiflächen.

Zwar nicht so aufwendig, doch auch andernorts in Prenzlauer Berg wurde begonnen zu sanieren. Gerade im Vorfeld der 750-Jahr-Feier in Berlin 1987 sollte investiert werden. Mehrere Kreisbaubetriebe aus der Republik wurden zum Dienst in die Hauptstadt geschickt. »Es wurde da um das Ehrenbanner gekämpft«, erinnert sich Ulrich Birke von der Wohnungsbau Halle. 250 Wohnungen hätten sie im Jahr saniert. »So aufwendig wie damals habe ich das nach 1990 nicht mehr gemacht«, erzählt er.

Für die Kreisbaubetriebe war das damals ein großer Aufwand, man verbrachte viel Zeit weg von zu Hause. Das Material, das für das Aufhübschen des Prenzlauer Bergs verwendet wurde, fehlte auf den Baustellen in Halle. Manche Bauarbeiter hatten Familien in Berlin sowie in Halle, man war Stammgast in den Kneipen der Hauptstadt und zu Weihnachten fuhr man mit vollgepackten Autos wieder nach Hause, erinnert sich Birke.

Die DDR hatte auch etwas Gutes: Private Eigentumsrechte standen der Instandsetzung von Gebäuden nicht im Weg. Wo Häuser in Privatbesitz verfielen, konnten diese mittels der Erklärung zum Aufbaugebiet entzogen werden. Eigentümern wurden die Kosten der Sanierung in Rechnung gestellt, was diese zur Abgabe der Häuser zwang. Ohnehin: Geld wurde damals noch nicht mit Wohnraum in Prenzlauer Berg verdient.

Widerstand gegen Abriss

Trotz der Sanierungsarbeiten mancher Häuser sollten andere Straßenzüge weiterhin abgerissen werden. Der Streit darüber entzündete sich 1989 in der Rykestraße. Als die Bewohner in Prenzlauer Berg von den Plänen Wind bekamen, zogen sie aus anderen Straßen in die maroden Wohnungen der Rykestraße, um diese vor dem Abriss zu schützen.

Das Bauhaus Dessau hatte damals einen Bebauungsplan für die Rykestraße entworfen, der vor allem im mittleren Bereich Abriss und Neubau vorsah. Die Bewohner stellten einen alternativen Plan auf. Hitzige Diskussionen folgten damals im Prater-Biergarten, auch weil viele befürchteten, dass nach der Rykestraße auch die Oderberger Straße an der Reihe sein würde.

Die Anwohner hatten Erfolg: Das staatliche Büro für Städtebau und die Bürgerinitiative sollten – für die DDR ein Novum – einen gemeinsamen Plan für die Rykestraße erarbeiten. Der Abriss war vom Tisch. Doch umgesetzt wurde das alternative Konzept nicht mehr. Denn im wiedervereinigten Deutschland stellte sich im Zuge der Restitution auf einmal eine ganz neue Frage: die der Eigentumsverhältnisse.

Stadtwende, Bürgergruppen gegen den Altstadtverfall in der DDR, Museum Pankow, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, noch bis zum 23. August, Eintritt frei

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