Märzrevolution in Potsdam: »Dortu« oder »Dortü«

Bei dem Stadtrundgang »Potsdam zwischen Revolution und Reaktion« begeben sich Teilnehmer auf die Spuren der Revolution von 1848

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Startpunkt des Streifzugs: Das Potsdamer Triumphtor würdigt den Sieg Preußens gegen Baden und die Pfalz.
Startpunkt des Streifzugs: Das Potsdamer Triumphtor würdigt den Sieg Preußens gegen Baden und die Pfalz.

»Es ist eine weite Strecke«, warnt Christina Häberle gleich zu Beginn – und das soll nicht nur in einer Hinsicht gelten. Am Sonntag führt die Historikerin vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung durch ein »Potsdam zwischen Revolution und Reaktion«. Die Führung ist Teil des Programms des »Friedhof der Märzgefallen« anllässlich des diesjährigen Jubiläums der Märzrevolution. Vor 175 Jahren gärte es in der treu-monarchistischen Königsstadt, zahlreiche Spuren der Ereignisse führten beim Rundgang durch die Potsdamer Altstadt und den Park Babelsberg.

Was den Inhalt ihrer Führung betrifft, hebt sich die Historikerin deutlich von der allgemeinen Preußen-Seligkeit ab, mit der Potsdam sein bürgerliches Publikum heutzutage empfängt. Der Rundgang startet am Triumphtor vor dem Park Sanssouci, von dem die wenigsten wissen, dass es zum Gedenken an die Niederschlagung der Republiken in Baden und der Pfalz 1849 durch die preußische Armee errichtet wurde.

Dieser Umstand wird mit seiner Inschrift auch freimütig bekundet: Es handelt sich um ein edel gestaltetes Dokument konterrevolutionärer und antidemokratischer Triumphe. Häberle macht darauf aufmerksam, dass in der Tor-Inschrift von »Aufruhr« in der Pfalz und in Baden die Rede ist und nicht von Krieg. Andernfalls hätte das eine Anerkennung und Aufwertung der demokratischen Bestrebungen bedeutet, woran der preußischen Herrscherfamilie nicht gelegen war. 

Gefangen genommen und standrechtlich erschossen wurde nach dem Sieg der Preußen in Süddeutschland ein bekannter Potsdamer: Max Dortu. Nach ihm sind heute eine bedeutende Innenstadtstraße und eine Schule benannt. Auch an diesen Stationen machte der Rundgang halt. Unter den Zuhörern wird diskutiert, ob der Name nun »Dortu« oder »Dortü« ausgesprochen werden müsse, da es sich bei diesem Potsdamer schließlich um den Sprössling einer Hugenottenfamilie handelt.

Max Dortu hatte in mehreren Reden bürgerliche Rechte eingefordert und zu einem Zeitpunkt, als sich die revolutionären Ereignisse in Berlin zuspitzten, gemeinsam mit Potsdamer Eisenbahnern den Schienentransport von Truppen, Munition und Proviant mittels Zerstörung von Gleis- und Signalanlagen unterbunden. Das wurde ihm als Hochverrat angelastet. Die Namensgebung für Straße fand 1948 statt, also in der Zeit der sowjetischen Besatzungszone und unter noch halbwegs demokratischen Zuständen im Stadtparlament, wie Häberle hinzufügt: Immerhin habe es noch eine oppositionelle CDU-Fraktion im Stadtparlament gegeben.

Bei der entscheidenden Abstimmung habe diese jedoch gegen die Dortu-Namensgebung gestimmt, merkt indessen Lutz Boede an. Der Lokalpolitiker der linksalternativen Wählergruppe Die Andere, der ebenfalls an dem Rundgang teilnimmt, sorgt damit für Irritationen. Dass die späteren politischen »Träger der DDR-Diktatur« die Ehrung des aufrechten, mutigen 48er-Demokraten Max Dortu durchgesetzt hatten und bis 1990 beibehielten, passt bis heute offenbar nicht ins Weltbild des einen oder anderen Zeitgenossen.

Plötzlich einsetzender Regen zwingt die Gruppe unter den Schutz des Fortunaportals am neu errichteten Landtagsschloss, des einstigen Potsdamer Stadtschlosses, gegenüber dem Potsdam-Museum. Häberle informiert, dass dieses Museum seinerzeit der Tagungsort der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung war. Dort habe auch der Vater von Max Dortu einen Sitz innegehabt, den er nach der Hinrichtung seines Sohnes »aus Solidarität« aufgegeben habe. Die Familie wanderte daraufhin nach Frankreich aus. Laut Häberle wurden die revolutionären Ereignisse 1848 auch dadurch angetrieben, dass drei Missernten die Lebensmittel verknappten und verteuerten. Die Potsdamer Stadtarmut habe einmal aus Protest dagegen den Sitz der Stadtverordneten gestürmt und besetzt, sei aber von obrigkeitstreuen Einheiten niedergeknüppelt worden.

Während des Rundgangs kommt das Gespräch auch auf den »Kartätschenprinz«, den späteren Wilhelm I., der nach den Berliner Gewaltexzessen Preußen zeitweilig verlassen musste und nach England ging. In seinen Lebenserinnerungen bedauerte Otto von Bismarck, dass diese Bezeichnung eine unverdiente gewesen sei. Bismarck saß in jenen Tagen auf seinem Gut in Schönhausen, das heute in Sachsen-Anhalt liegt. Dort hatte er »seine« Bauern bewaffnet zu dem Zweck, mit ihnen in Berlin einzumarschieren und die Revolution niederzuschlagen. Dazu kam es nicht, weil es eine entsprechende Erlaubnis des Königs nicht gegeben habe, informiert Häberle. Der politische Stern Bismarcks war erst später aufgegangen. »Nur zu gebrauchen, wenn das Bajonett schrankenlos waltet«, hatte der König während der Revolution auf der Bismarck-Personalakte vermerkt.

Die Historikerin macht auch auf die Unterschiede im Selbstverständnis der Preußen-Könige aufmerksam: Während Friedrich II. sich als Philosoph und Schöngeist auf dem Thron sah, als Aufklärer und Freigeist (»Was immer darunter zu verstehen ist«), hatte sein Nachfolger Friedrich Wilhelm der IV. Mitte des 19. Jahrhunderts andere Vorstellungen von ihrer Rolle. Das leichtlebig-beschwingte »sans souci« (Deutsch: »ohne Sorge«) gefiel ihnen nicht besonders.

Friedrich Wilhelm IV. auf dem Thron »verortete sein Königtum im Mittelalter«, wie Häberle erklärt. Also noch vor der Reformation Luthers, der Brandenburg-Preußen ja seinen Protestantismus als Staatsreligion verdankte. Er sah sich von Gott mit dieser Rolle beauftragt und gestand dem Volk nicht einmal zu, ihm die Kaiserkrone anzubieten. Städtebaulich findet das laut der Historikerin seinen Ausdruck in der Potsdamer Friedenskirche, einer weiteren Rundgangs-Station. Ihr romanisches Äußeres, ihre Weihung am Ende der Revolutionszeit, legten eher den Namen »Befriedungskirche« nahe, so Häberle – Befriedung natürlich im Sinne der damaligen Adelsoligarchie. Damit wirklich gemeint sei die restlose Niederschlagung der bürgerlichen Revolution und die danach einsetzende Friedhofsruhe.

Deutschland modernisierte sich Mitte des 19. Jahrhunderts rasant auf kapitalistischer Grundlage. Das preußische Herrscherhaus orientierte sich indessen mit dem Äußeren seiner Bauten immer weiter rückwärts: Dem Schloss Babelsberg, dem einstigen Kronprinzenpalais, gab sie das Äußere einer frühmittelalterlichen Burg. Hier sollte auch der Streifzug sein Ende finden, denn als Sinnbild ist das Babelsberger Schloss unbezahlbar: Als wollte Preußens Herrscherfamilie mit solchen Bauten auch äußerlich in aller Form festlegen, wie sehr die Art ihrer Machtausübung schon während der Errichtung des Schlosses aus der Zeit gefallen war.

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