Her mit dem Sommerwein: Wen wollen wir trinken?

Heute beginnt der Sommer. Und das nd-Feuilleton hat den Sommerwein 2023 gesucht und gefunden

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 6 Min.
Frische verzweifelt gesucht - das Sommerweinproblem Nummer 1
Frische verzweifelt gesucht - das Sommerweinproblem Nummer 1

Frische, verzweifelt gesucht: Was soll man sonst tun, in der heute beginnenden Sommerzeit? Wer nicht gerade in den Bergen wohnt, kann nur auf das Schwimmbad hoffen oder auf ein überzeugendes Kaltgetränk. Besonders beim frühabendlichen Sommerwein sind die Frischeerwartungen enorm: Er soll anregen und beduseln zugleich, für die innere Kühlung sorgen und dabei nicht zu matt, aber auch nicht zu streng schmecken. Er soll freundlich im Umgang, aber klar in der Sache sein, kein Poser oder Reklametrick.

Und welchen soll man jetzt trinken? Um besser durch den Sommer zu kommen, prüfte das nd-Feuilleton eine kleine Vorauswahl, vom Winzer und nicht aus dem Supermarkt. Neben der Frischevermutung war die Maßgabe: Flaschenpreis um die zehn Euro und aus verschiedenen deutschen Weinregionen. Und so saß das fast komplette nd-Feuilleton Anfang Juni in einem Kleingarten in Berlin-Wilmersdorf und trank sich in zwei Runden durch sieben Weine.

Aus Gründen der abendlichen Anregung wurde mit Rosé als Schaum- und Perlwein begonnen. Denn kein anderer Wein schafft es, in einem einzigen Schluck für Kräftigung und Entspannung zugleich zu sorgen, wie der Rosé – und dabei auch noch nach etwas zu schmecken, anders als die meist nur indifferent bitzelnde Weinschorle. Das gilt ganz besonders für seine schäumende Version.

Und so rief die Reportageredakteurin beim ersten Schluck: »Ich trinke Schaum!« Das war aber dem Einschenken geschuldet. Es handelte sich um einen Muskat-Trollinger-Rosé-Sekt namens »Luxus« aus Württemberg, vom Weingut Häußer aus Winnenden. Der Theaterredakteur bemerkte, dieser »Luxus« habe weniger »Wumms« – bezogen auf den Alkohol- und nicht den Kohlensäureanteil. Vom Etikett her fühlte er sich an den Kindersekt, den es für ihn früher an Weihnachten gegeben hatte, erinnert, während der Literaturredakteur damit »Nachtleben« assoziierte. Für die Reportageredakteurin duselte er »gleich rein«, der Kunstredakteurin sagte er nicht zu und die Filmredakteurin bemerkte eine nussige Note, oder war sie »scheinfruchtig und eher bitter«, wie der Literaturredakteur glaubte? Die Kunstredakteurin fühlte sich dagegen eher an Rhabarber erinnert.

»Das Schlimmste ist es, wenn Sekte süß schmecken«, dekretierte der Theaterredakteur abschließend, als die zweite Flasche geöffnet wurde: ein Rosé Secco vom Mittelrhein, vom Weingut Volk aus Spay. Dieser Perlwein kam sehr gut an, nicht nur seine orangene Farbe, die nur der Kunstredakteurin nicht gefiel: »Einen Rosé stelle ich mir rosa vor.« Für die Reportageredakteurin roch der Wein nach Käsekuchen, für den Theaterredakteur war er »auf keinen Fall scheinfruchtig, sondern wirklich fruchtig«. Er schmecke mit seinen nur elf Prozent »fast wie alkoholfrei«, also »sehr leicht«, urteilte die Filmredakteurin. Geschmacklich gehe er »weg vom Wein ins Saftige«, meinte der Literaturredakteur, ja in Richtung »Campino«-Bonbon, ergänzte die Reportageredakteurin. Da dieser Perlwein weniger Kohlensäure enthalte, habe man das Gefühl, man trinke ihn nicht, sondern bekomme ihn gleichsam in den Mund gesprüht, jubelte der Literaturredakteur und die Kolleg*innen stimmten zu. »Als würde man einen Cocktail trinken!«, rief die Filmredakteurin.

Danach kam ein Spätburgunder Rosé aus der Pfalz dran, vom Weingut Heußler aus Rhodt unter Rietburg. Gleich wurde bemerkt, dass seine Farbe eher »golden« sei und sein Geschmack eher »weißweinmäßig«, wie die Filmredakteurin meinte. Und wie roch der einzige Rosé, der ein Einhorn auf dem Etikett und einen Sektkorkenverschluss hatte? »Nach Meer«, meinte der Literaturredakteur, oder »wie wenn man in einen Raum kommt und da wurden gerade 100 Gläser mit Sekt eingeschenkt und es sind noch keine Besucher da«, befand der Theaterredakteur und fügte an: »Ich finde, der prickelt am meisten und das finde ich auch schon ganz geil.« Zusatzanmerkung: Nach dem dritten Rosé hole der erste auf. Und noch eine Zusatzanmerkung: Trinke man den »Luxus« von Häußer zu schwarzen, salzigen Oliven, die plötzlich auf dem Tisch standen, dann schmecke er noch besser.

Für die allgemeine Rosé-Bewertung aktualisierte die Kunstredakteurin eine Musikanalyse des Komponisten Carl Stone. Für den gibt es 1. Musik, die er respektiert und die er liebt; 2. Musik, die er liebt und die er nicht respektiert; 3. Musik, die er nicht liebt und respektiert; 4. Musik, die er nicht liebt und nicht respektiert. Auf die getrunkenen Rosés angewendet hieße das: »Den ›Luxus‹ von Häußer respektiere ich, der ist sophisticated, aber ich mag den von Volk eigentlich lieber, obwohl er so lieblich ist und den von Heußler liebe ich nicht.« Dem schloss sich die Feuilleton-Tischgruppe an.

Und dann kam der Weißwein – als Essensbegleiter zu einem typischen Sommerurlaubsgericht: Pizza. Das nd-Feuilleton hatte sich vom nahen Imbisslokal drei Pizzasorten in den Kleingarten geholt: Margherita mit zusätzlichen Kapern, Pizza mit Artischocken, Knoblauch und Sardellen und »Diavolo« (mit scharfer Salami, Zwiebeln, Oliven und Chili). Der erste dazu geöffnete Weißwein wollte nicht nur Begleiter sein, sondern gleich ein »Gefährte«. So stand es auf dem Etikett des halbtrockenen Rieslings von der Mosel, vom Weingut Ulrike Thul aus Leiwen. Der Theaterredakteur meinte: »Klingt ein bisschen wie eine Kontaktanzeige in ›Schrot und Korn‹: ›suche unterhaltsamen Gefährten‹«. Und der Literaturredakteur: »Das klingt ein bisschen lasch, wie nachgeholter Popjournalismus im Glas.« Das sei mehr ein Herbst- als ein Sommerwein, ergänzte der Theaterredakteur, und passe gut zum Kürbisflammkuchen, aber nicht zur klassischen Pizza. Oder »so, wie wenn du in der Badewanne liegst und das Wasser abläuft«, glaubte der Literaturredakteur.

Gehts auch weniger blumig? Ja: »Dieser Wein ist nicht so feinherb, wie ich dachte, eher säuerlich«, sagte die Filmredakteurin. Aber dennoch »schluffig«, zumindest für den Theaterredakteur. Die aufkommende Frage, was denn ein Schluffi sei, beantwortete die Reportageredakteurin: »Einer in der WG, der immer im Zimmer bleibt und dann behauptet, er müsse nichts putzen, weil er ja nie irgendwas benutzt.«

Der zweite Riesling, ein Hochgewächs vom Bopparder Hamm, wiederum vom Weingut Volk vom Mittelrhein, roch nach Zitrone, für den Literaturredakteur sogar nach Saunaaufguss. »Ist das gut oder schlecht?«, wollte die Kunstredakteurin wissen. Eher gut, war die Meinung am Tisch, ja, das sei schon recht frisch, bloß: Mehr als zwei Gläser könne man davon nicht trinken, dafür sei der Wein zu selbstbewusst. »Du trinkst zwei zitronige Gläser, danach ist es Überwindungsarbeit. Das ist ja oft beim Alkohol das Thema, aber keine Empfehlung«, philosophierte der Theaterredakteur.

Dagegen wurde der dritte Weißwein, eine Scheurebe aus Baden vom Weingut Hiss aus Eichstetten am Kaiserstuhl, als zu wenig frisch empfunden, wenn auch als leicht und zugewandt. »Den Alkohol merkt man erst im Abgang«, sagte die Kunstredakteurin.

Doch dann sagte ein Wein einfach »Hey«: ein Weißburgunder aus Saale-Unstrut vom Weingut Hey aus Naumburg. Er schmeckte wie die perfekte Mischung aus den beiden Rieslingen, oder wie der Theaterredakteur bilanzierte: »Wem der Volk zu hart ist, der kann zum Hey greifen.« Der komme geschmacklich nicht so wuchtig, sondern »ruhig angeplätschert«, befand der Literaturredakteur. Als wenn man am Strand säße, ergänzte die Reportageredakteurin, »und die Welle kommt im Ausklang«. Auch ihr gefalle der Hey am besten von den Weinen, gerade »weil er nicht soviel Beigeschmack hat – der schmeckt einfach nach Weißwein«. Ja, so kann man es sagen. Das ist der nd-Sommerwein 2023.

Baden: www.weingut-hiss.de; Mittelrhein: www.weingutvolk.de; Mosel: https://weingut-ulrike-thul.de, Pfalz: www.weingut-heussler.de, Saale-Unstrut: www.weinguthey.de, Württemberg: www.weingut-haeusser.de

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