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Wer hat das größte Beiboot?
Voller Verachtung hat der Soziologe Gregory Salle die Welt der Superyachten untersucht
Inseln sind knapp. Und mit der Besiedlung des Weltalls geht es auch nicht so recht voran. Wenn sich die Milliardäre also noch nicht auf Raumschiffe verkrümeln können, bleiben ihnen vorerst nur geräumige Boote. Und die sind ein gigantischer Wachstumsmarkt, wie der französische Soziologe Gregory Salle zu Beginn seines Buches mit dem Titel »Superyachten« erklärt.
Dieses Wachstum ist sowohl auf ihre steigende Zahl als auch auf die zunehmende Größe zurückzuführen. Als Superyacht gelten Freizeitboote, die mindestens 30 Meter lang sind. Aber wer in der Welt der Schönen und Reichen heutzutage nicht den Eindruck erwecken will, mit einer Nussschale unterwegs zu sein, ist erst ab 100 Metern auf der sicheren Seite. Dann dürfen zwar die schicksten Häfen gar nicht mehr angelaufen werden, aber das stellt ja kein wirkliches Problem dar. Motto: Wer hat das größte Beiboot?
Wobei es nicht immer Protzerei sein muss, wenn die Luxuspötte zunehmend riesiger werden. Ein gewisser Auftrieb ist einfach erforderlich, wenn der Kahn nicht jedes Mal absaufen soll, sobald der Hubschrauber landet, um ein paar Kisten Schampus nachzuliefern. Denn nicht auf jeder Yacht sprudelt das gute Gesöff aus den Duschköpfen. Doch auch das gibt es!
Wobei wir beim Grundton des Buches wären. Ohne auch nur in einer einzigen Zeile polemisch zu sein, ist es ein Werk ungeschminkter Verachtung; obwohl es sich für einen Soziologen eigentlich nicht gehört, eine komplette gesellschaftliche Schicht, und sei sie noch so hauchdünn, zum Teufel zu wünschen. Ein Soziologe hat Fragebögen zu verschicken und auf einen hohen Rücklauf zu hoffen. Genau hier liegt im Fall der Luxusboote jedoch das Problem.
Ein Team der London School of Economics wollte innerhalb einer Studie etwas über die Arbeiterschaft der Superyacht-Branche in fünf europäischen Ländern erfahren (Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland, Niederlande). Ihre Zahl wurde damals, 2013, auf rund 30 000 Beschäftigte geschätzt. Das Ergebnis fasst Gregory Salle wie folgt zusammen: »Von 96 Unternehmen, denen ein Fragebogen zugeschickt wurde, bestätigten nur 13 den Eingang und nur 6 oder 7 beantworteten ihn tatsächlich, während die übrigen sich hinter der Vertraulichkeit verschanzten.«
Es ist an die Branche also kein Herankommen. Und an die Bootsbesitzer schon gar nicht. Nicht einmal an die Pächter. Und auch das garantiert nicht üppig entlohnte Personal wagt es höchst selten, irgendetwas nach außen dringen zu lassen. Dennoch hat der Leser am Ende der sehr unterhaltsamen Lektüre das Gefühl, nicht nur selbst auf einem rauschenden Törn gewesen zu sein, sondern auch alles über die Ultrareichen und ihre Megayachten zu wissen.
Dies bewerkstelligt der Autor in zwei Schritten. Zunächst skizziert er die politischen Rahmenbedingungen, die dafür gesorgt haben, dass gewisse Menschen Boote fahren können, bei denen einmal Volltanken ein paar Millionen Euro kostet. Salle: »Man muss schon sagen, dass es dadurch nicht gerade leichter geworden ist, die Leute davon zu überzeugen, dass Emmanuel Macron kein Handlanger der Macht des Kapitals ist.«
Im zweiten, wesentlich umfangreicheren Schritt zeigt der Autor unter anderem die wirklich gravierenden Umweltschäden auf, die von den Superreichen auf ihren Booten mit ätzender Selbstgefälligkeit angerichtet werden. Und Autor Salle beschreibt auch sehr anschaulich und mit viel Sympathie die unentwegten Bemühungen, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Und er nennt auch die Gründe für deren unentwegtes Scheitern.
Was also tun, wenn wildes Camping erfolgreich bekämpft wird, wildes Ankern aber nicht, nur weil die Reichen die teuren Restaurants bevölkern? Es fällt nicht schwer zu behaupten, dass Gregory Salle in diesem Punkt aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Seinen aufschlussreichen Text beendet er mit dem Zitat eines Milliardärs: »Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.«
Aber Hand aufs Herz! Davon träumen wir doch alle: Ein weißes Boot, freundliches Personal, Wellen, die sacht gegen die Bordwand klatschen, und ein glutroter Sonnenuntergang.
Gregory Salle: Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän. A.d.Franz. v. Ulrike Bischoff. Suhrkamp, 170 S., br., 16 €.
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