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  • Protest gegen Frankreichs Justiz

Frankreich: Beistand für Polizeigewalt

Ordnungskräfte in Frankreich lassen sich aus »Solidarität« krankschreiben

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit einer guten Woche bleiben in Frankreich Tausende Polizisten dem Dienst fern. Am vergangenen Wochenende hatte die Aktion bereits landesweit ein Zehntel des Personalbestandes erfasst. Da Polizisten kein Streikrecht haben, lassen sie sich krankschreiben. Die Aktion begann damit, dass Polizisten in Marseille dagegen protestiert haben, dass einer von ihnen in Untersuchungshaft genommen wurde, weil er bei den jüngsten Unruhen einen Jugendlichen zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt haben soll. Zu diesem Fall wird auch gegen drei weitere Polizisten ermittelt, die aber vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass ein Polizist in Untersuchungshaft sitzt. Die zumeist stark rechts ausgerichteten Polizeigewerkschaften wollen darin das Ergebnis einer von links geschürten Hetze gegen die Polizei sehen, der zu Unrecht pauschal Gewaltbereitschaft und Rassismus unterstellt werde. Als Beispiel verweisen sie auf die Losung der Bewegung La France insoumise »Die Polizei tötet«.

Eine brisante politische Dimension bekam die Protestaktion durch eine Bemerkung des im Innenministerium für die nationalen Polizeikräfte zuständigen Generaldirektors Frédéric Veaux, der in einem Zeitungsinterview erklärte, dass »vor einem eventuellen Prozess ein Polizist nicht ins Gefängnis gehört, auch wenn er im Rahmen seiner Arbeit möglicherweise schwere Fehler oder Irrtümer begangen hat«.

Die Richtergewerkschaft hat umgehend scharf dagegen protestiert, dass ein hoher Beamter eine Entscheidung der Justiz infrage stellt und damit deren Unabhängigkeit von der Exekutive angreift. Präsident Emmanuel Macron als Garant der Institutionen der Republik wurde aufgefordert, für die Respektierung der Gewaltenteilung zu sorgen. Der Präsident hielt sich zu diesem Zeitpunkt zu einem Besuch von französischen Überseegebieten im Pazifikraum auf. In einem Fernsehinterview stimmte er erst nach mehrfachem Nachfragen der Journalisten zu, dass »niemand, auch kein Polizist, über dem Gesetz steht«. Macron hat den Innenminister Gérald Darmanin, der ihn auf seiner Pazifikreise begleitete, vorzeitig wieder zurück nach Frankreich geschickt, um unter den Polizisten für Ruhe zu sorgen.

Dort hatte inzwischen Laurent Martin de Frémont von der Polizeigewerkschaft Unité SGT Police die Meinung seiner Kollegen in kurzen Worten zusammengefasst: »Diese Haft gegen einen der Unseren ist der Tropfen, der das Fass der Frustration zum Überlaufen bringt. Wir sind nicht bereit hinzunehmen, dass Polizisten im Gefängnis sitzen und Ganoven frei herumlaufen.«

Kaum war Innenminister Darmanin zurück in Paris, hat er dort – in Begleitung der extra hinzugeladenen Medien – ein Polizeirevier besucht. Doch anstatt die Boykott-Aktion der Polizisten zu kritisieren, erklärte er: »Ich verstehe diese Emotionen, diese Wut, diese Niedergeschlagenheit.« In Bezug auf den Grund der Aktion griff er die Argumentation der Polizeigewerkschaften auf und sagte: »Die Polizisten dürfen nicht die einzigen Personen in Frankreich sein, für die die Unschuldsvermutung nicht gilt und durch eine Schuldvermutung ersetzt wird.« Gleichzeitig räumte er ein: »Wenn erwiesen ist, dass einer von ihnen einen Fehler gemacht hat, muss er bestraft werden.«

Über den Polizeigeneraldirektor Veaux, dessen Ablösung die linken Oppositionsparteien fordern, weil er seine Untergebenen in ihrer gesetzwidrigen Aktion praktisch noch bestärkt hatte, sagte Innenminister Darmanin: »Er ist ein ausgezeichneter Generaldirektor. Er hat gegenüber seinen Polizisten so gesprochen, wie man das von einem Chef erwartet. Ich unterstütze ihn voll und ganz.« Gleichzeitig mahnte der Minister, »die Polizei und die Justiz nicht gegeneinander auszuspielen«.

Die Vertreter von zwölf Polizeigewerkschaften, die der Innenminister zu einer Aussprache empfing, zeigten sich danach fast durchweg zufrieden. Der Minister habe ihnen bereits zugesagt, dass der Staat die Anwaltskosten für jeden Polizisten übernimmt, dem Vergehen in Ausübung seines Dienstes vorgeworfen werden. Über weitere Forderungen der Gewerkschaften, beispielsweise nach einem grundsätzlichen Ausschluss von Untersuchungshaft für Polizisten, soll bei einem bereits vereinbarten Treffen Anfang September gesprochen werden. Der Minister zeige sich jedoch »sehr offen«.

Die linken Oppositionsparteien reagieren uneinheitlich auf die Polizeiproteste. Während sie durch die meisten Partner der Parteienallianz Nupes in einer gemeinsamen Erklärung pauschal verurteilt wurden, zeigt die Kommunistische Partei Verständnis für die um sich greifende Frustration. »Wir können die wachsenden Schwierigkeiten nachempfinden, denen die Ordnungskräfte bei ihrer tagtäglichen Mission zum Schutz der Bürger ausgesetzt sind.« Doch das treffe auf viele Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes zu, deren Arbeitsbedingungen sich seit Jahren verschlechtern, stellt die FKP fest und betont: »Aber diese Schwierigkeiten rechtfertigen in keiner Weise, die Justiz und den Rechtsstaat infrage zu stellen, wie das einige Polizeigewerkschaften tun.«

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