Berliner Register: Mehr Hetze gegen queere Menschen

Meldestellen verzeichnen für neun Berliner Bezirke deutlich mehr Vorfälle als noch im Vorjahr

Die Pride-Flagge am Boden: Das vermeintlich progressive Berlin hat große Probleme mit queerfeindlicher Gewalt.
Die Pride-Flagge am Boden: Das vermeintlich progressive Berlin hat große Probleme mit queerfeindlicher Gewalt.

In Berlin hat die Anzahl queerfeindlicher Angriffe in den vergangenen Monaten erheblich zugenommen. Das berichten die Meldestellen der Berliner Register, die rechte und diskriminierende Vorfälle erfassen, auf nd-Nachfrage. In neun Bezirken verzeichnen die Stellen aktuelle Fallzahlen, die deutlich über den Zahlen des ersten Halbjahres 2022 liegen. Einen großen Anteil machen Propagandafälle aus: Sticker der AfD-Kampagne »Stolzmonat« und der rechtsextremen Partei »III. Weg« hetzen demnach in ganz Berlin gegen den Pride Month und queeres Leben generell.

Besonders drastisch zeigt sich der Anstieg queerfeindlicher Gewalt in Treptow-Köpenick. Allein von Mai bis Ende Juli dieses Jahres dokumentierte das Register einen Angriff und elf Beleidigungen, Bedrohungen und Pöbeleien – im Gegensatz zu nur drei Vorfällen im gesamten ersten Halbjahr 2022.

Auch das Register Tempelhof-Schöneberg spricht von einer deutlichen Zunahme. 2022 zählte es im ganzen Jahr 14 Vorfälle gegen die LGBTIQ*-Community, für die ersten sechs Monate des Jahres 2023 meldet es bereits 19 Vorfälle. Eine Register-Mitarbeiterin hebt vor allem drei Zerstörungen von Pride-Fahnen hervor, zweimal davon an der Mittelpunktbibliothek des Bezirks. Außerdem sei ein Aufkleber der »Juni ist Stolzmonat«-Kampagne gefunden worden. »Diese Kampagne ist eine Gegenbewegung zum Pride-Monat«, erklärt sie die Bedeutung der Sticker, die statt Regenbogen einen schwarz-rot-goldenen Farbverlauf zeigen.

Das Register Reinickendorf meldete gleich fünf dieser Aufkleber. Zusammen mit einer Beleidigung und einer Sachbeschädigung weisen auch die Zahlen in diesem Bezirk für das vergangene halbe Jahr auf eine Zunahme queerfeindlicher Hetze und Gewalt hin. »Wenn es weiter bei der vergleichsweise hohen Zahl an Propaganda bleibt und uns wie üblich zum Jahresende Vorfälle nachgemeldet werden, können wir von einer weiteren Steigerung der Gesamtzahlen im Vergleich zum Vorjahr ausgehen«, erklärt Johanna Herzog vom Reinickendorfer Register. Sie rechne gar mit neuen Höchstzahlen.

In Charlottenburg-Wilmersdorf fanden sechs der elf dokumentieren Vorfälle laut Registerstelle im Juni, also im Pride Month, statt. Ein Abgeordneter der AfD Charlottenburg beteiligte sich laut Antonia Meißner vom bezirklichen Register an der »Stolzmonat«-Kampagne. Außerdem sei Charlottenburg ein Hotspot der »neuen Rechten«, wo etwa die Bibliothek des Konservatismus (BdK) rechte Veranstaltungen organisiere – oft mit LGBTIQ*-feindlichem Inhalt, betont Meißner. »So wird dort beispielsweise jegliche Abweichung von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexueller Elternschaft als ›unnatürlich‹ dargestellt und abgewertet.«

Die AfD und die BdK trügen in ihren Augen dazu bei, »dass sich Hass und Hetze gegen Queers auf der Straße gewaltförmig äußert«. Von den elf dokumentierten Vorfällen seit Anfang 2023 handelte es sich in zwei Fällen um Bedrohungen und Beleidigungen und in zwei Fällen um Angriffe. 2022 zählte das Register für das gesamte Jahr drei Bedrohungen/Beleidigungen und zwei Angriffe.

Marzahn-Hellersdorf berichtete gegenüber »nd« von bisher 15 gemeldeten LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen von Januar bis Juni 2023, »wobei wir momentan noch Nachträge aus dem ersten Halbjahr erhalten«. Im gesamten Jahr 2022 wurden 17 Vorfälle gezählt. Auch hier macht Propaganda den größten Anteil aus: Die rechtsextreme Kleinstpartei »III. Weg« falle mit Transparenten, Grafitti und Aufklebern auf.

Der »III. Weg« klebt nicht nur in Marzahn-Hellersdorf, sondern auch in Pankow, wie das dortige Register mitteilt. Zusammen mit »Stolzmonat«-Stickern macht Propaganda hier ebenfalls einen beachtlichen Anteil der wachsenden Fallzahlen aus.

Beunruhigende Nachrichten kommen ebenso aus Neukölln: Das Register verzeichnet bereits jetzt mehr queerfeindliche Vorfälle als im gesamten Jahr 2022. In Lichtenberg dasselbe, »und da sind noch nicht einmal die gemeldeten Vorfälle unserer Kooperationspartner*innen drin«, so Jana Adam vom Lichtenberger Register.

Friedrichshain-Kreuzberg kommt auf 34 gemeldete Vorfälle und überholt damit ebenfalls schon jetzt das Vorjahr. »Die Zunahme liegt leider im Berliner Trend, da jährlich mehr Vorfälle aus diesem Bereich gemeldet werden«, heißt es aus dem dortigen Register. Es sei jedoch unklar, ob die Gewalt tatsächlich zunehme oder sich Personen mittlerweile öfter an die Meldestellen wenden.

Alle Registerstellen betonen gegenüber »nd«, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegen müsse als die genannten Angaben.

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