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Patt in der Ukraine

Jürgen Angelow plädiert für eine diplomatische Beilegung des Krieges

  • Jürgen Angelow
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Krieg in der Ukraine ist an einem strategischen Patt angelangt und es ist höchste Zeit, politische Schlüsse zu ziehen. Es gibt zwei Möglichkeiten: einen langwährenden Abnutzungskrieg zu führen, den voraussichtlich keine Seite für sich entscheidet. Oder einen gemeinsamen Ausweg aus dem Konflikt zu suchen und den Weg für zukünftige kooperative Lösungen zu bereiten. Im Schach ist das ein Patt, bei dem beide »Damen« allerdings noch im Spiel sind: die annektierten Gebiete und die Nato-Mitgliedschaft. Es gilt jetzt, einen Wendepunkt zu setzen.

Denn Russland wird die annektierten Gebiete, einschließlich der Krim, nicht ohne weiteres räumen. Die Stärke der russischen Verteidigung lässt ein Anrennen der ukrainischen Seite sehr verlustreich und kaum wirksam sein. Zudem werden die russischen Verbände, solange sie nicht aus einer unerwarteten Richtung operieren, aufgrund der deutlich gestärkten ukrainischen Verteidigungspotenziale nicht so einfach in den Angriffsmodus umschalten können.

Der Krieg ist aller Voraussicht nach mit konventionellen Mitteln nicht zu entscheiden. Erweitert man das Blickfeld, ergibt sich das gleiche Bild. Während Russland gegenüber den westlichen Sanktionen weitgehende Resilienz zeigt, stößt seine hybride Kriegführung, Cyber-Operationen, Geheimdienstaktivitäten und Desinformationskampagnen an Grenzen. Die Weltgemeinschaft ist durchaus uneins, obwohl die Verletzung des Völkerrechts durch Russland eigentlich mehr Einigkeit nahegelegt hätte. Auch hier besteht ein Patt.

Aus diesem Patt die richtigen Schlüsse zu ziehen, bedeutet, den Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden. Hierfür braucht es die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten und den Druck der hinter den Akteuren stehenden »großen Player«. Waffenlieferungen des Westens für die Ukraine sollten nicht an die Fortsetzung des unsinnigen Abschlachtens geknüpft werden, sondern an die Bereitschaft Kiews, in Verhandlungen ohne Vorbedingungen einzusteigen. Kiew wird erst dann dazu bereit sein, wenn die USA und Europa kein Interesse an einer Fortsetzung des Krieges mehr haben. Umgekehrt wird Russland nicht einlenken, solange nicht China sein Gewicht gegen die Fortsetzung des Krieges ins Spiel bringt. Die USA und China haben den Schlüssel in der Hand, doch sie haben es nicht eilig. Aus einer komfortablen Position heraus können sie abwarten, wie sich Europa als politischer Handlungsrahmen und Wirtschaftsstandort marginalisiert.

Deutschland kann hier nicht gleichgültig bleiben, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Es muss mehr Fairness beim Austarieren der transatlantischen Belange fordern, denn die Kosten-Nutzen-Relation ist innerhalb des westlichen Bündnisses ungleich verteilt. Im wohlverstandenen Eigeninteresse muss Deutschland eine Fortsetzung kooperativer Ansätze weltweit anstreben.

Alternativen hierzu gibt es im Grunde nicht. Selbst wenn die Ukraine größere Gebiete zurückerobern würde, hätte auch Russland die Möglichkeit, konventionell zu eskalieren. Seine Rüstungsindustrie ist robust und wird gerade auf längerfristige, ausgeweitete Materiallieferungen vorbereitet. Und auch die atomare Option steht noch im Raum.

Um diese Gewaltspirale zu verhindern, muss eine Verhandlungslösung angesteuert werden. Da eine kooperative Logik die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht erfordert, könnte auf sie verzichtet werden. Im Gegenzug müsste sich Russland bereiterklären, alle seit 2014 besetzten Gebiete wieder zur Disposition zu stellen, was durch eine international überwachte Volksabstimmung geregelt werden könnte. Damit wären beide »Damen« aus dem Spiel und die Partie beendet. Und die Welt würde vor der Aufgabe stehen, das irritierte Völkerrecht ausnahmslos wieder in Kraft zu setzen und wirksamere Regeln zu entwickeln als die jetzigen, um potenzielle Störer abzuschrecken. Wer auch immer sie sein mögen.

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