Humboldt-Forum Berlin: Probezeit mit System

Nach Datenschutzverstößen soll das umstrittene Museum 215 000 Euro Bußgeld an das Land Berlin zahlen

  • Christian Lelek
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Humboldt Forum Service GmbH (HFS) soll 215 000 Euro zahlen. Einen entsprechenden Bußgeldbescheid habe die Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp verhängt, hieß es am Dienstag in einer Pressemitteilung aus ihrem Hause. Im Auftrag der damaligen Geschäftsführung soll vom März bis Juli 2021 eine Liste mit Namen und Informationen von Mitarbeiter*innen angelegt worden sein, um »mögliche Kündigungen zum Ende der Probezeit vorzubereiten«.

Unzulässigerweise dokumentiert worden sei neben persönlichen Äußerungen, dem Gesundheitszustand und der regelmäßigen Teilnahme an Psychotherapien auch ein mögliches Interesse an der Gründung eines Betriebsrats. Laut »Spiegel« und »Frontal 21« sei zudem wörtlich für einige Arbeiter*innen »sehr sozial eingestellt«, »Sprecher der Armen« und »kommuniziert offen über Missstände« vermerkt worden.

Auf der Liste hätten alle Angestellten gestanden, die sich in der Probezeit befanden. Ein Sprecher der Berliner Datenschutzbeauftragten konkretisierte gegenüber nd: »59 Namen«, also mehr als ein Viertel der Belegschaft. 2021 waren bei der HFS laut Jahresabschlussbericht im Schnitt 217 Mitarbeiter beschäftigt. Für wiederum elf von ihnen sei eine Beschäftigung über die Probezeit hinaus mit »kritisch« bis »sehr kritisch« kommentiert worden.

Die HFS ist eine hundertprozentige Tochter der Stiftung Humboldt-Forum, die das gleichnamige Museum betreibt. Nach eigenen Angaben ist die HFS für die Belange Besucherservice, Sicherheit und Reinigung zuständig. In einer Reaktion teilt die Stiftung Humboldt-Forum selbst mit, dass die Vorwürfe »im engen Kontakt mit den Betroffenen und der Datenschutzbeauftragten aufgeklärt und aufgearbeitet« worden seien. Verschiedene Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes seien ergriffen worden. Laut dieser Pressemitteilung hatte die HFS selbst die Beschwerde gestellt und die Geschäftsführerin »von ihren Aufgaben in der HFS entbunden«. Ihr Vertrag sei mittlerweile ausgelaufen.

Einige Beschäftigte der HFS haben sich inzwischen in einer Betriebsgruppe zusammengeschlossen. Seit Anfang 2022 gibt es auch einen Betriebsrat. Andreas Kuhn betreut für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi diese Organisierungsprozesse. Zum Schutz der aktiven Beschäftigten könne er keine Ansprechpartner vor Ort nennen, erklärt er auf Anfrage von »nd«, meint aber zur Situation: »Dieser Datenschutzverstoß scheint aus unserer Sicht nicht der einzige Verstoß zu sein.«

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An der Stimmung unter den Beschäftigten scheint sich indes nicht viel geändert zu haben. 2021 hätten einige von ihnen aufgrund des Arbeitsklimas den Job verlassen. Für heute konstatiert Gewerkschafter Kuhn, dass, wer offene Kritik übe, mit einer Kündigung rechnen müsse. Auch wenn es die dieser Tage sanktionierte Liste so nicht mehr geben dürfte, scheint sich die Kultur an der HFS nicht grundlegend geändert zu haben: »Über die Konstrukte der Probezeit und Befristung wird bei der HFS geheuert und gefeuert und das in Zeiten von Fachkräftemangel«, schließt Kuhn.

Eine Sprecherin der HFS ließ gegenüber »nd« verlauten, dass man ein »wertschätzendes und gutes Arbeitsumfeld« anstrebe. Es werde daran gearbeitet, »eventuell noch bestehende Missstände abzustellen«. 106 der aktuell 257 Mitarbeiter*innen seien befristet beschäftigt, 18 von ihnen in der Probezeit.

Während der Probezeit bedürfen Kündigungen keiner spezifischen Begründung. Ist ein Betriebsrat vorhanden, so muss dieser aber angehört werden. Ein Auslaufen befristeter Verträge ist ebenfalls ohne Angabe von Gründen zulässig.

Noch ist der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig. Die HFS hat zwei Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen. Die betroffenen Beschäftigten selbst würden ohnehin wenig davon haben. Bußgelder fließen der öffentlichen Hand zu.

In der ursprünglichen Version hieß es in der Bildunterschrift fälschlicherweise, dass am Humboldt-Forum eine Befristungsquote von »knapp 60 Prozent« herrsche.

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