Streit um Standort Würgassen

Entsorgungskommission des Bundes befürwortet ein Atommüllzwischenlager auf dem Gelände des ehemaligen AKW. Initiativen kritisieren den Standort als ungeeignet

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Von einem »Schlag ins Kontor« sprachen Umweltschützer und Kommunalpolitiker im Weserbergland, als die Entsorgungskommission (ESK) des Bundes gestern Vormittag ihre Empfehlung zum Bau eines großen Atommüllzwischenlagers in Würgassen veröffentlichte. Das Expertengremium kam zu dem Ergebnis, »dass ein Logistikzentrum für die optimierte Anlieferung an das Endlager Konrad erforderlich ist«. Den Standort Würgassen hält die ESK für »plausibel«.

Auf dem Gelände des stillgelegten AKW Würgassen, im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, will die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) eine 325 Meter lange, 125 Meter breite und 16 Meter hohe Halle bauen. Ab 2029 soll sie sämtlichen in Deutschland angefallenen schwach- und mittelradioaktiven Müll aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen ist – beispielsweise Pumpen, Rohre, Schutzkleidung, verstrahltes Abbruchmaterial aus den AKW, aber auch Abfälle aus Medizin und Forschung, insgesamt rund 300 000 Kubikmeter.

Zwischenlager kostet 450 Millionen Euro

In seinen geschätzt 30 Betriebsjahren wird das offiziell sogenannte Logistikzentrum Konrad (LoK) in Würgassen den Planungen zufolge quasi rund um die Uhr von Lastwagen und Zügen angefahren, die den strahlenden Schrott anliefern und, teils neu sortiert, wieder abholen und nach Salzgitter weitertransportieren. Die Kosten für die Errichtung des Zwischenlagers werden auf mindestens 450 Millionen Euro geschätzt.

Bürgerinitiativen, Bürgermeister und Kommunalparlamente in allen drei Anrainerbundesländern machen seit Jahren gegen das LoK mobil. »Atommüll aus der ganzen Republik soll nach Würgassen gekarrt werden«, sagte Dirk Wilhelm vom Verein Atomfreies 3-Ländereck dem »nd«. Die BGZ habe den potenziell durch Hochwasser gefährdeten Standort ohne ein vernünftiges Genehmigungsverfahren und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgedrückt. »Durch das Lager wird sich die Zahl der gefährlichen Atommülltransporte durch Deutschland deutlich vermehren, die vorhandene eingleisige Bahnlinie wird durch die Fuhren völlig überlastet«, kritisiert Wilhelm.

Völlig ungeklärt ist überdies, ob das Endlager Konrad überhaupt in Betrieb geht. Denn die Umweltverbände BUND und Nabu haben den Widerruf der Baugenehmigung beantragt. Die Kritik: Konrad entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik, es handelt sich um ein altes Bergwerk, es gab kein vergleichendes Auswahlverfahren. Außerdem wäre Konrad viel zu klein – für die Abfälle, die aus dem maroden Atomlager Asse geborgen werden sollen, und für die Rückstände aus der Urananreicherung gäbe es dort gar keinen Platz. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) will noch dieses Jahr über den Schacht-Konrad-Antrag entscheiden. Der TÜV stellte kürzlich in einer von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen beauftragten Studie infrage, ob ein vorgeschaltetes Logistikzentrum überhaupt benötigt wird. Die Landesregierung in Hannover positionierte sich ebenfalls gegen die Pläne.

Komission hält Standort für sicher

Die ESK kommt hingegen zu dem Schluss, »dass wesentliche Schlussfolgerungen der TÜV-Bilanzierungsstudie auf nicht ausreichend vollständigen, aktuellen und robusten Annahmen beruhen«. Nach einer genaueren Betrachtung des zu erwartenden Transportaufkommens bestehe auch keine Notwendigkeit für eine zweigleisige Anbindung. Die ESK sieht auf Grundlage der vorgelegten Gutachten »sowohl die Hochwasserfreiheit, die durch technische Maßnahmen erreicht wird, als auch die Sicherheit gegen Bergsenkungen als gegeben an«.

Das Bundesumweltministerium begrüßte das Votum der Kommission. Die Stellungnahme schaffe Klarheit und liefere einen wesentlichen fachlichen Beitrag für die weitere Entscheidungsfindung des Ministeriums, erklärte Staatssekretär Christian Kühn. Den Prozess wolle man nun in absehbarer Zeit abschließen.

Die BGZ sieht sich darin bestätigt, »dass nur mit dem Logistikzentrum eine schnelle und reibungslose Anlieferung an das Endlager Konrad erfolgen kann«. Der Generalbevollmächtigte für das LoK, Christian Möbius, sagte, die BGZ werde jetzt zuversichtlich auf eine endgültige Entscheidung aus Berlin warten. Die Planungsarbeiten liefen bis dahin wie bisher weiter.

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