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Argentinien: Vorwahl in der Einkommenskrise

Argentiniens Präsidentschaftskandidaten stehen von links bis rechts für eine Übergangsphase

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.

In Buenos Aires werden zwei Frachtmaschinen aus den USA erwartet. An Bord werden jeweils 300 Millionen Dollar in kleinen und großen Scheinen sein, mit denen der Bestand der argentinischen Zentralbank von 400 Millionen Dollar an Banknoten aufgestockt werden soll. Der Vorgang ist Teil der Regierungsvorbereitungen für die am Sonntag stattfindenden Vorwahlen. Das Paradox: Sollte die Regierung gut abschneiden, droht am Tag danach ein Run auf die Banken und die Dollareinlagen.

Dass das Szenario keineswegs absurd ist, zeigt die Entwicklung des Umtauschkurses der US-Währung in den klandestinen Wechselstuben. Am Mittwoch erreichte der Dollar zum ersten Mal die 600-Peso-Marke. Als der amtierende Präsident Alberto Fernández im Dezember 2019 das Amt antrat, kostete ein Dollar knapp 70 Pesos.

Rund 35 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, die Kandidat*innen für die anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Oktober zu bestimmen. Da die Stimmabgabe obligatorisch ist, geht es bei der Wahl auch um das Kräfteverhältnis zwischen der linksprogressiven Regierungsallianz Unión por la Patria (Union für das Vaterland) und der rechtsliberalen Oppositionsallianz Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wechsel). Doch diesmal steht mehr auf der Agenda.

»Argentinien befindet sich in einer Übergangsphase«, sagt Artemio López, Direktor des renommierten Sozialforschungsinstituts Equis, in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten. Die Tatsache, dass erstmals weder die amtierende Vizepräsidentin und ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner (2007–2015) noch der ehemalige Präsident Mauricio Macri (2015–2019) kandidieren, zeige, dass sich ein zwei Jahrzehnte dauernder Zyklus dem Ende zuneige, so López. Zusammen mit dem verstorbenen Ex-Präsidenten Néstor Kirchner (2003–2007) beherrschten sie zwei Jahrzehnte lang die politische Szene des Landes.

»2003 setzte Néstor Kirchner dem Neoliberalismus der Vorgängerregierungen ein Modell entgegen, das auf den sozialen Einschluss der Menschen gerichtet ist«, sagt er. Dies hat zu einer Polarisierung geführt, in der sich die politische Mitte nahezu aufgelöst hat. An den politischen Schaltstellen der Macht steht der Generations- und Führungswechsel bevor, auch wenn Cristina Kirchner und Mauricio Macri weiterhin im Hintergrund die Fäden ziehen.

Die aussichtsreichsten Anwärter*innen für eine Präsidentschaftskandidatur sind auf Regierungsseite Wirtschaftsminister Sergio Massa und bei der Opposition Horacio Rodríguez Larreta, Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, sowie die Vorsitzende der Macri-Partei PRO, Patricia Bullrich. Für eine Überraschung könnte der anarcho-libertäre Ökonom Javier Milei sorgen, der mit seiner neuen Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) bei den vergangenen Wahlen 2021 einen Achtungserfolg eingefahren hat.

»Noch haben alle nicht die politische Stärke von Cristina oder Macri«, sagt Artemio López. Zunächst sind sie nur Führungspersonen des Übergangs. Die politische Polarisierung werde sich jedoch fortsetzen, zumal mit dem libertären Javier Milei rechts von Juntos por el Cambio ein ernst zu nehmender Akteur aufgetaucht ist.

»Der Schlüssel zum Wahlerfolg ist, zu zeigen, wie die Einkommenskrise gelöst werden kann, vor allem in der mittleren und oberen Unterschicht«, sagt Artemio López. Der Kaufkraftverlust der Einkommen ist dramatisch. Nach Angaben des Produktionsministeriums liegt der Netto-Durchschnittslohn im formalen öffentlichen und privaten Sektor bei 207 000 Pesos. Der Wert des Basiswarenkorbes für eine vierköpfige Familie, der die Armutsgrenze in Argentinien markiert, beträgt 215 000 Pesos. Noch prekärer ist die Lage im informellen Sektor, der nahezu die Hälfte der argentinischen Wirtschaft ausmacht. Gegenwärtig leben 40 Prozent der 46 Millionen Argentinier*innen in Armut.

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Der Kaufkraftverlust, aber auch die Flucht aus dem Peso sind der immensen Inflation geschuldet. Nach dem am Montag vorgestellten Verbraucherpreisindex der Stadt Buenos Aires stiegen die Preise im Juli abermals um 7,3 Prozent im Vergleich zum Vormonat Juni. Damit klettert der Preisanstieg in den ersten sieben Monaten des Jahres auf 63 Prozent. Der Wert liegt bereits jetzt über den von der Regierung im Haushaltsgesetz für das gesamte Jahr 2023 veranschlagten 60 Prozent. Private Wirtschaftsforschungsinstitute sagen inzwischen eine jährliche Inflation von über 120 Prozent voraus.

Mit Wirtschaftsminister Sergio Massa hat die Regierungsallianz allerdings einen der politisch Hauptverantwortlichen für den ungebremsten Anstieg der Inflationsrate als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vorgeschlagen. Wenn es am Sonntag für die Unión por la Patria schiefgeht, ist der Schuldige dafür schnell ausgemacht. Massas Wahlkampfbotschaft könnte jedoch Wirkung zeigen: Bei einem Erfolg der Rechten und Liberalkonservativen droht nicht weniger als der Untergang des Vaterlandes.

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