Werbung

Margit Bendokat: Wahrhaftig getrieben

Zum 80. Geburtstag der Schauspielerin Margit Bendokat

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Witztraurige: Margit Bendokat probt eine Szene für »Krankenzimmer Nr. 6« am Deutschen Theater Berlin, 2010.
Eine Witztraurige: Margit Bendokat probt eine Szene für »Krankenzimmer Nr. 6« am Deutschen Theater Berlin, 2010.

Diese Schauspielerin erleben: Das ist ein Sehen, bei dem auch das Hören nicht wieder vergeht. Es schleift, es kratzt, es leiert – in betörender Unablässigkeit. Das Klageweibliche hat wie das Skurrile einen sehr besonderen Platz in Margit Bendokats Kunst-Wesen. Sie kann melancholisch werden und gleichzeitig knochentrocken bleiben. Zwischen Kopf und Hirn und Seele und Körper scheint sie auf der Kippe zu irrlichtern. Lächelnd im ganz Eigenen – einem Reich des »Alles oder nichts«. Frei, offen. Freiheit ist Schmutz, und Offenheit reißt dich in Stücke – die das Theater dann aufführt.

Technische Zeichnerin war Margit Bendokat, 1943 geboren in Templin, sie wollte unbedingt zur Bühne. Seit 1965 arbeitete sie am Deutschen Theater Berlin. Vertrackte Aufsässigkeit, schreikräftiges Überspanntsein, stille wie nervquälende Bodenständigkeit. Sie spielte kaum Titel- oder Hauptrollen, aber sie ist eine Hauptspielerin geworden; wenn sie auf der Bühne steht, muss jemand neben ihr gehörig was tun, um weiter als protagonistisch zu gelten. Die Regisseure? Vor allem Alexander Lang (»Stella«, »Dantons Tod«, »Sommernachtstraum«) – Theater mit Ausschließlichkeitsansprüchen, irgendwo zwischen Kafka und Kleinem Prinzen.

Ihren Namen fand man zunehmend, wie sie selber sagte, bei den »Verrückten«. Den Zornsanften, den Witztraurigen, den Gossefeinen. Deshalb ist sie auch Spielerin Einar Schleefs gewesen. Die russische Revolutionärin Spiridonowa, weit oben, in einer Art Fensteröffnung im riesigen weißen Rundhorizont, im Wuchtwerk »Verlorenes Volk«: ein monologischer Halbstundentext, von Margit Bendokat gleichsam durchwühlt, durchpflügt, monoton hochgezogen, als sei der Rote Oktober eine Dichtung Homers. Im brachial stolzesten Sinn: langatmig.

Nicolas Stemann sagt, seine Inszenierungen teilten sich in Phasen vor und nach Bendokats Auftritt. In seiner Inszenierung der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« spielte sie die Proletarierin Luckerniddle, mit Trainingsanzug und Lidl-Beutel: leidende Ausgebeutete, kernige Agitatorin, lederne Ideologin. Da wird ein Weibsherz gleichsam zum kalt keifenden Parteiorgan.

Bendokat tat dem Brecht gut. Denn ein Teil seines Werkes sagt bekanntlich wahr, und wir nicken. Mit dem Kinn voran zur Brust. Weil wir über dem Pädagogik-Metronom der Lehr(er)-Stücke sanft eingenickt sind. Noch das Schnarchen soll dann als Ruf nach einem politischen Theater gelten, das unbedingt gebraucht würde. Bendokat tut mit ihrer Art allen Dichtern gut, als fielen Textblätter herab, und es scheppert.

Konstanze Lauterbach inszenierte Genets »Die Zofen«. Mit Simone von Zglinicki als Claire, Margit Bendokat als Solange. Und Inge Keller als Gnädige Frau. Die Zofen: Zwei Strickjacken auf Beinen tapsen durch ritualisierte Abläufe einer traurigen Maskerade. Sie spielen Übernahme der Herrschaft, als sei es der wirkliche Aufstand. Ein Gleichnis: Wer Revolutionen durchspielt, hält sie lebendig; wer sie durchführt, verrät sie. Die Inszenierung war dicht bei Hölderlin, der nur in den Verzweifelten die wahrhaftigen, weil getriebenen Spieler sieht.

In Dimiter Gotscheffs »Persern« gab Bendokat eine tief getroffene Botin des Gemetzels, die um Fassung ringt, dann selber eine Hörende der schlimmen blutigen Berichte – wellengleich durchjagt ein Erzittern ihren Körper. Eine Gestählte und Gewalkte.

Bei diesem knurrdunklen Regisseur des so menschennah Bitteren war sie auch die Linda Loman in Arthur Millers »Tod eines Handlungsreisenden«, Ehefrau eines trostlosen Vertreters: großartig in ihrem Einfaltsschicksal, in dem die Emanzipation nicht mal seufzen darf. Aufwühlend, wie die Bendokat dann plötzlich doch aus einem glühenden Kern der Liebe heraus ihren Mann gegen die hassenden Söhne verteidigt. Wie sich eine heiße Herzsprache auf Wegen zur Zunge in Lava verwandelt.

Ein Spiel an der Seite von Christian Grashof, einem anderen Großen des legendären DT-Ensembles, der in diesen Tagen ebenfalls 80 wurde. Der Schauspieler grandios als plusternd-trotziges Akrobatlein der Nichtigkeit. Bendokat, wie Grashof auch, repräsentiert einen Schönheitsbegriff der Abweichung. Es ist nämlich schön, wenn sich etwas nicht einfügen lässt. Vielleicht ist der Preis, den solche Sperrigkeit kostet, das Schönste an der Schönheit. Am Leben.

Bendokats Spiel erzählt böse (das wird man in dieser Welt) oder möglichst irre (das wird man an dieser Welt) oder möglichst sanft (das wünscht man dieser Welt). Sie spielt, dass Kunst nicht klug ist, sondern umhertappt in den Fallen vielstimmig gesammelter Erfahrung. Fallen so, wie Licht einfällt: schräg.

An diesem Sonnabend wird die Schauspielerin 80 Jahre alt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal