Indigener Aufbruch in Kolumbien

Rechtsanwälte der Organisation Akubadaura kämpfen für die Rechte der indigenen Völker in Kolumbien und schaffen so Aufmerksamkeit für deren Anliegen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 10 Min.
Die Nasa gehören zu einer von zehn indigenen Ethnien der kolumbianischen Cauca-Region. In der Kreisstadt Piendamó befindet sich die logistische Zentrale der indigenen Genossenschaft des Cauca (Cencoic). Im dortigen Supermarkt ist gerade Reis im Angebot, in der Sprache der Nasa »Kwesx«genannt, was so viel bedeutet wie »Samen des Lebens«.
Die Nasa gehören zu einer von zehn indigenen Ethnien der kolumbianischen Cauca-Region. In der Kreisstadt Piendamó befindet sich die logistische Zentrale der indigenen Genossenschaft des Cauca (Cencoic). Im dortigen Supermarkt ist gerade Reis im Angebot, in der Sprache der Nasa »Kwesx«genannt, was so viel bedeutet wie »Samen des Lebens«.

Das moderne viergeschossige Gebäude steht im Stadtteil Bolivariano und rundherum geht es zu wie in einem Bienenkorb. Dutzende von Mopeds und kleinen Motorrädern stehen auf dem Parkplatz vor der Zentrale des Acin in Santander de Quilichao. Acin heißt die Organisation der 22 indigenen Territorien der indigenen Ethnie der Nasa im Norden des Cauca. Der Verwaltungsbezirk, gleich unterhalb von Call gelegen, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, zählt zu den gefährlichsten Gegenden des Landes, und davon zeugt das Plakat am Eingang. Es zeigt das Konterfei von José Miller Correa.

»Er war einer unserer wichtigsten Repräsentanten und wurde am 14. März letzten Jahres in der Nähe von Popayán erschossen aufgefunden«, erklärt Eldemir Dagua. Der 34-Jährige ist Journalist und arbeitet im dritten Stock der Acin-Zentrale. Dort hat die Kommunikationsabteilung ihren Sitz, die Dagua gemeinsam mit seiner Kollegin Dora Muñoz in den letzten Jahren ausgebaut hat. Drei moderne Aufnahmestudios, Büros und mehrere Schnittplätze zeugen davon. Über das Radionetzwerk des Acin, aber auch über die Homepage, die Facebook- und Whatsapp-Gruppen gingen Presseerklärung und Nachruf zum Mord an Miller in die Welt. Dagua hat sie gemeinsam mit seinem achtköpfigen Team aus vier Radiojournalist*innen, zwei Videospezialist*innen, einem Grafiker und einer Online-Kollegin erstellt. Die Welle der Gewalt gegen indigene Vertreter*innen war damals beispiellos. In den letzten Monaten ist sie abgeebbt, bleibt aber auf hohem Niveau.

Erst vor ein paar Wochen, Anfang Juli, wurden vier indigene junge Männer mutmaßlich von Farc-Dissidenten ermordet. Die sind im Norden des Cauca überaus präsent, so Dagua, zu erkennen auch an den Transparenten, die auf dem Weg in Orte wie Toribío gespannt sind, zum Beispiel am Todestag von Manuel Marulanda, des Farc-Gründers. Dagua ist jeden Tag in der Region um Santander de Quilichao unterwegs, begleitet indigene Autoritäten des Acin bei Visiten in der bergigen, teilweise extrem unzugänglichen Region, berichtet über ökonomische Projekte, die soziale Situation und derzeit hin und wieder auch über die politische der kolumbianischen Regierung. Die erhielt im Cauca die Mehrheit, unter anderem weil Francia Márquez, afrokolumbianische Umweltaktivistin und Vizepräsidentin aus dem Cauca, dort viele Sympathien genießt und medial überaus präsent ist. Dazu passt, dass die indigenen Verantwortlichen vor rund zehn Jahren begriffen haben, dass Kommunikation von strategischer Bedeutung ist, erklärt Dagua.

Er deutet auf den von Mikrofonen gesäumten Tisch im Aufnahmestudio. Das wurde erst im Dezember 2021 eingeweiht. Beiträge werden hier erstellt, Diskussionsveranstaltungen geführt, aber auch online mitgeschnittene Interviews ins lokale und regionale Radionetzwerk eingespeist. Vier Radiostationen, darunter die Emisora Jambalo, wo Eldemir Dagua journalistisch groß geworden ist, gehören zum Acin-Radionetzwerk; im gesamten Cauca sind es mehr als zehn indigene Radiosender.

Einer befindet sich im weiter südlich gelegenen Silvia, wo Diana Jembuel lebt. Sie wurde 2020 als Kolumbiens beste indigene Journalistin gekürt, und nachdem sie sich acht Jahre in Bogotá qualifiziert und ausprobiert hat, ist sie zurückgekehrt. Heute leitet sie das Cabildo, die Selbstverwaltung ihrer Gemeinde der indigenen Gruppe der Misak. Gewählt wurde die 38-jährige Mutter von zwei Kindern bereits zum dritten Mal. So ein Amt ist unbezahlte Ehre und Bürde zugleich, erklärt die resolute Frau in der traditionellen Tracht ihrer Gruppe an ihrem Schreibtisch.

Qualitäts- und Bewusstseinssprung

Für Jembuel, aber auch für Dagua haben indigene Berichterstatter*innen in den letzten Jahren einen immensen Qualitätssprung gemacht. Unterstützt von internationalen Organisationen, darunter die Deutsche Welle, wurde mit Seminaren, Kursen, Stipendien in die Ausbildung der indigenen Berichterstatter*innen investiert, aber auch in die Technik. Federführend dabei ist Dora Muñoz, die 2010 den ersten Kontinentalen Gipfel der indigenen Kommunikation mitinitiierte. Das war ein Wendepunkt, und seitdem sind indigene Organisationen wie der Acin oder der Regionale Indigene Rat des Cauca (Cric) deutlich sichtbarer geworden und verfügen über größere Medienabteilungen, die in den sozialen Netzen genauso wie beim Radio, dem wichtigsten Medium in indigenen Kontexten, überaus aktiv sind.

Genau dort, beim Cric in Popayán, aber auch beim Acin in Santander de Quilichao hat Diana Jembuel ihre ersten journalistischen Schritte gemacht. 2010, 2011 ist das gewesen. »Bevor dann 2012 das Stipendium der Universiät Externardo kam«, erinnert sich die versierte Journalistin und Netzwerkerin. »Schon als kleines Mädchen ist mir aufgefallen, wie diskriminierend über uns in den Medien berichtet wurde – wir waren die aus dem Dschungel. Das hat mich verletzt, und fortan habe ich mir gewünscht, eines Tages dazu beizutragen, dieses Stigma aufzulösen.«

Davon ist Kolumbien noch ein Stück weit entfernt, aber es hat sich einiges getan und das nicht nur auf medialer Ebene wie Jembuel aus ihrer Zeit bei Akubadaura aus eigener Erfahrung weiß. »Das ist eine Organisation indigener Jurist*innen, die indigenen Gemeinden in abgelegenen Regionen Kolumbiens zur Seite stehen, Konzepte entwickeln, sie beraten und bei Bedarf juristisch vertreten – zum Beispiel gegen eindringende Bergbaukonzerne, Holzunternehmen oder Landbesetzer«.

Für die in Bogotá ansässige, aber unter anderem in Silvia sowie im an der Grenze zu Panama gelegenen Verwaltungsbezirk Chocó und im dünn besiedelten Verwaltungsbezirk Guaviare präsente Organisation hat Diana Jembuel 2018 die Pressearbeit übernommen. Ausprobieren wollte sich die agile Journalistin, hat eng mit Direktorin Lina Marcela Tobón zusammengearbeitet, aber auch mit den Anwält*innen und einem wachsenden Kreis indigener Expert*innen – von der Geologin bis zur Sozialarbeiterin. »Akubadaura engagiert sich für die Aus- und Weiterbildung qualifizierter, engagierter indigener Frauen und zunehmend auch Männer. Die finden sich nach wie vor zu selten in unseren Strukturen. Das soll sich ändern, und dabei müssen wir unsere eigene authentische Sprache und unsere Identität bewahren«, meint Jembuel.

Diese Einschätzung teilt Lina Marcela Tobón im Büro in Bogotás Zentrum. »Wir haben derzeit Expert*innen aus neun indigenen Ethnien in unserer Hilfsorganisation, die vor allem aus Spenden aus dem Ausland finanziert wird. Doch der Bedarf ist enorm, denn in Kolumbien gibt es derzeit rund 80 indigene Völker, die von Bergbau- und Energiegewinnungsprojekten betroffen sind – da ist die vorherige Konsultation entscheidend«, so Tobón. Die ist verbindlich vorgeschrieben durch die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker, die Kolumbien unterzeichnet hat, was aber nicht immer eingehalten wird. Deshalb hat Akubadaura eine »Beobachtungsstelle Vorab-Konsultationen« eingerichtet, die angerufen werden kann und aktiv wird, wenn verbindliche Vorgaben nicht eingehalten werden. Das ist in Kolumbien immer wieder vorgekommen.

Beratung mit interkulturellem Hintergrund und teilweise in eigener Sprache, immer jedoch mit spezifischem Hintergrund ist ein Vorteil, den Akubadaura bietet. Das spricht sich unter den 115 indigenen Völkern Kolumbiens mit offiziell knapp zwei Millionen Einwohner*innen herum, ebenso wie unter der afrokolumbianischen Bevölkerung. Perfekt passt dazu die Bedeutung des Begriffs Akubadaura: Helfer.

Das ist der Anspruch der Organisation, die mit María Patricia Tobón, die für die Wahrheitskommission arbeitete, und der Richterin Ana Manuela Ochoa zwei hochrangige Jurist*innen hervorgebracht hat, aber auch in einer Reihe von Netzwerken vertreten ist. In Silvia ist Diana Jembuel ein Knotenpunkt; sie organisiert Online-Workshops für den journalistischen Nachwuchs und hat derzeit die Arbeit nur übergangsweise an ein Team engagierter Frauen weitergegeben. Die treffen sich online, um sich gegenseitig weiterzuqualifizieren. Nach ihrer einjährigen Auszeit in der Cabildo der Misak will Jembuel dann wieder dazustoßen und verstärkt journalistisch aktiv werden. Sie weiß schon, wo: in der ersten indigenen Journalist*innen-Agentur Agenda Propia.

Dass dabei auch Akubadaura eine Rolle spielen wird, ist der umtriebigen Frau klar, denn es braucht mehr Organisationen, die sich für die Qualifikation in den indigenen Gemeinden engagieren. »Wir brauchen mehr Qualifikation, mehr Eigeninitiative, um sichtbar zu werden: mit Initiativen im Unternehmenssektor, in der Medizin, im nachhaltigen Anbau«, meint die 38-Jährige und rückt sich ihren markanten Hut zurecht. Für sie ist die Mittagspause vorbei, es geht zurück an den Schreibtisch, um Entscheidungen für ihre Gemeinde und für den indigenen Aufbruch zu treffen.

Ein Supermarkt von unten

Cencoic heißt die Zentrale Indigene Genossenschaft des Cauca. 1980 mit dem Auftrag gegründet, den indigenen Gemeinden beim solidarischen Wirtschaften unter die Arme zu greifen, ist die Genossenschaft kräftig gewachsen. Neu ist die eigene Supermarktkette, die die indigene Eigenproduktion fördern soll. Das läuft gut an.

Antimilena Pérez nimmt ein Reispaket aus dem Regal und hält es dem Besucher hin: »Kwesx« steht darauf. Eine ganze Palette mit dem hellen Reis aus indigener Produktion steht in einem der Gänge des Supermarkts von Piendamó. Die Kreisstadt, etwa 30 Kilometer vor Popayán, der Hauptstadt des Cauca, gelegen, ist die logistische Zentrale der Cencoic. Die verfolgt als Hauptziel, die Produktion in den indigenen Gemeinden der Region zu stärken, so die pfiffige 28-Jährige. »Wir kaufen in den indigenen Territorien des Cauca die Erträge von Reis, Getreide, aber auch Bohnen, Mais und anderen Produkten auf, sortieren und verpacken diese und bieten sie mit eigenem Namen und Etikett an – eben Kwesx.« Das Wort stammt aus der Sprache der Nasa, eine von zehn indigenen Ethnien des Cauca, und bedeutet so viel wie »Samen des Lebens«.

Angebaut wird der Reis im Norden des Cauca, in Gemeinden wie Caloto. Die Gemeinde, rund 30 Kilometer weiter nördlich, produziert neben Reis auch Kaffee, der ein Regal weiter unter dem Namen »Áte-Sek en Gros« zu haben ist. Dutzende von Kaffeepackungen türmen sich im Regal, daneben in deutlich kleinerer Menge die Produkte anderer Hersteller, darunter auch Colcafé oder San Marcos. »Wir bieten ein vollwertiges Supermarkt-Sortiment, aber mit anderem, eigenem Schwerpunkt«, erläutert Antimilena Pérez die Cencoic-Strategie. »Es geht uns darum, eigene Produkte aus den indigenen Territorien des Cauca zu fördern, ihnen zur Marktreife zu verhelfen, Arbeitsplätze für unsere Leute zu schaffen.«

Das funktioniert. Das Konzept kommt an, wie die Umsätze der bisher drei Supermärkte unter dem Logo der »Economia Propia«, der eigenen Ökonomie, belegen. »Die sind vielversprechend«, so Hernán Castellanos, der die Kaffee-Abteilung bei Cencoic leitet und mitverantwortlich ist für die Produktion von mehr als 3000 indigenen Kaffee-Kleinbäuer*innen. Die produzieren im Schnitt auf weniger als einem Hektar Fläche Kaffee, und meist sind die aromatischen Bohnen der wichtigste Geldbringer. In den letzten Jahren haben es die Cencoic-Kaffeeberater geschafft, die Qualität zu steigern, obwohl die Wetterkapriolen den indigenen Cafeteros zu schaffen machen. Auch ein Grund, weshalb der lokale Verkauf der eigenen Áte-Sek-Kaffeeröstung nicht nur bei den Produzenten gut ankommt, sondern auch die eigene Identität fördert.

Das ist die Strategie des Teams um Castellanos und Cencoic-Geschäftsführer Juan Carlos Guampe, die die Arbeit von 130 Mitarbeiter*innen koordinieren. Das funktioniert immer besser. Dafür sorgt auch der intelligente Einkauf von Produkten wie Speiseöl, das zentral angekauft und unter dem Namen »Minga«, Einheit, angeboten wird. Dabei wird versucht, wenn irgend möglich, Kleinbäuer*innen zu unterstützen. Das gelingt bei anderen Produkten wie dem eingekochten Zuckerrohrsaft, »Panela«, besser als bei Speiseöl, das nur partiell selbst hergestellt wird.

»Bei Panela sind es rund 600 Produzenten aus dem Cauca, die uns beliefern«, so Antimilena Pérez. Das läuft bei etlichen Produkten so. Ganz am Anfang stehen noch die Kooperativen, die Kosmetik produzieren. Viel Handarbeit und viel Vertrauen in die eigenen Strukturen sind Programm, und auch dort weisen die Absatzzahlen in die richtige Richtung.

Neu sind hingegen die Edelstahlvitrinen, die für den Verkauf von Milch- und Fleischprodukten erst vor ein paar Tagen aufgestellt wurden. »Wir wollen den Weg zum Vollsortiment, das wir in den beiden anderen Supermärkten in Santander de Quilichao und Popayán schon realisiert haben, auch hier weiterverfolgen«, skizziert Pérez das Vorgehen. Lokale Spezialitäten wie Erdnüsse mit Chili oder Cocamehl sowie die Erfrischungsbrause »Coca-Sek« runden das Angebot des etwas anderen Supermarkts ab. Der unterscheidet sich auf den ersten Blick ohnehin nicht groß von der Konkurrenz. Erst auf den zweiten Blick fällt das etwas andere Angebot auf – und dass deutlich weniger Werbung aushängt. Das soll auf lange Sicht dazu beitragen, die Ernährungssicherheit in indigenen Gemeinden zu stärken. Eine Zielsetzung, die auch Kolumbiens Nationalregierung ausgerufen hat. Das könnte Cencoic alsbald weiteren Rückenwind bringen.

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