Kraftwerk in Karlsruhe: Vor der Computerisierung

Vergangenen Samstag spielten Kraftwerk ihr einziges Deutschlandkonzert in diesem Jahr in Karlsruhe – und erinnerten dabei an einstige technologische Versprechen

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 5 Min.

Baden in Ideen – seit zehn Jahren ist das erholsame Innovationsgebot offizieller Slogan der barocken Fächerstadt Karlsruhe, Zentrum der nebenschwäbischen Region mit Namen Baden. Kallsruh heißt so, weil Gründer Markgraf Karl von Baden auf dem Marktplatz in einer Pyramide begraben liegt. Symbolisch steht tote Herrschaft im Zentrum des semiurbanen Lebens. Andererseits: Gustav Landauer wurde hier geboren. Die RAF erschoss in Karlsruhe Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Am Hauptbahnhof existierte lange ein besetztes Haus. Immer noch läuft Querfunk, ein experimenteller Radiosender, um der Verblödung durch SWR3 etwas entgegenzusetzen.

Für jüngere Leute sind aber in der Regel zwei ortsansässige Hochleistungsinstitutionen wichtiger als diese linke Geschichte: Da gibt es zum einen die Universität, das Karlsruhe Institute of Technology, kurz KIT, was an das MIT in Cambridge, Massachusetts, erinnert. Und es gibt die Hochschule für Gestaltung, die sich mit dem weltberühmten Zentrum für Kunst und Medientechnologie eine leere Fabrik teilt. Das ZKM steht weit oben in den Listen der wichtigsten Museen. Anfang des Jahres verstarb der langjährige Leiter Peter Weibel. Der Legende nach hat er es vor seinem Tod noch zustande gebracht, Ralf Hütter davon zu überzeugen, bei den diesjährigen Karlsruher Schlosslichtspielen das einzige Deutschland-Konzert von Kraftwerk zu geben. Das letzte aktive Gründungsmitglied der vermutlich einflussreichsten deutschen Musikgruppe aller Zeiten widmete »seinem wunderbaren Künstlerfreund« Weibel die rund zweieinhalbstündige Multi-Media-Installation am zwölften August vor beziehungsweise am Karlsruher Schloss.

Kraftwerk ließen gerne Puppen an ihrer Stelle auf der Bühne Ärmchen und Köpfchen bewegen; auch das Schloss ist eine Art Attrappe. Im Krieg vollständig ausgebrannt, wurde die Fassade historisch rekonstruiert; während man drinnen in neuen Räumen das Badische Landesmuseum residieren lässt, das passenderweise bis Februar 2024 eine Ausstellung über das popmusikalische Referenzjahrzehnt, die Achtziger, zeigt. Kraftwerk veröffentlichten damals zwei Alben: »Computerwelt« 1981 und »Electric Café« 1986. Das Museum stülpt sich nach außen. Kraftwerks High-Tech-Versprechen und eigenartige Germanness bei allem internationalen Erfolg passen zur Stadt. Die 16 000 Konzerttickets für faire 55 Euro waren innerhalb von 24 Stunden ausverkauft.

Wer die Security-Schranke vor dem Schlossplatz passiert, ist Essen und Trinken los und muss sich an einem der Stände etwas genehmigen. Nordbadische Locals und aus der Ferne angereiste Fans, die örtliche Hoteliers glücklich machen, verwandeln den barocken Plangarten in ein Kurzzeit-Festivalgelände. Irgendwo ist das ein Fortschritt, stellt man sich vor, wie hier dereinst der sogenannte Reichsverweser Max von Baden auf und ab ging. Das Publikum ist trotz schauriger Unwetterwochen gekommen und trotzt auch an diesem Abend Regen.

Kraftwerk beginnen das Konzert mit etwas Verzögerung. Hütter und seine drei Mitmusiker stehen auf dem Balkon des Schlosses, wo sonst höchstens politische Reden gehalten werden, sind verpackt in Neoprenanzüge, die in sich abwechselnden Farben leuchten. Aus der Distanz lässt sich nicht sagen, wie viel die vier hinter ihren Synthesizern live gemacht haben; abgesehen von Hütters fragilem Gesang. Darauf kommt es aber auch nicht an, denn Kraftwerks Musik funktioniert nicht durch ausgestellte Virtuosität, sondern, im Prinzip entpersonalisiert, als klangraumgreifende Großinstallation. Speziell für dieses Konzert wurde eine Lichtshow entwickelt, bei der jedes Stück mit anderen Projektionen – nur zum Teil angelehnt an die alten Musikvideos – auf der Schlossfassade begleitet wird: Das Gebäude wird zu einem barocken Bildschirm, auf dem japanische und russische Schriftzüge, Zahlenkolonnen aus den inneren Vorgängen des Computers, Vitaminpillenregen, unruhige Sinuskurven, animierte Modellmenschen aus dem Editor vorbeiziehen.

Kraftwerk spielen 150 Minuten lang eine Werkschau, beziehungsweise lassen sie vom Band, und schauen hinter ihren Synthesizern aus wie vier leuchtende Kreuze. Zu »Neon Licht« fliegt alte Neonreklame über die Wände, »Das Modell« wird illustriert von Modenschauen in Schwarz-Weiß. Die Installation zappt sich durch die Musikgeschichte, zoomt weit hinaus ins Weltall, tief ins Geschehen der Maschinen. Illustrationen einer Welt, die allmählich darauf kommt, dass sie elektrifiziert ist; deren Bewohner zwischen Bildern wandeln, die zum Konsum anweisen, mit dem Steuern von Kräften beschäftigt sind, die sie nicht mehr verstehen und alles – »Radio Aktivität/ Wenn’s um unsre Zukunft geht« – in die verschmutzte Luft jagen könnten.

Dabei machen Kraftwerk eher Musik mit elektronischen Mitteln als elektronische Musik, wie Wolfgang Sequenza, Ex-Ton Steine Scherben, mal meinte. Ralf Hütter sprach in einem Interview davon, er verstehe Kraftwerks Musik als spirituelle Angelegenheit. Wissenschaftliches Umwälzen von Hörgewohnheiten ist das wohl nicht, sondern vornehmlich kalter, aber doch um die Welt besorgter Pop. Das kommt aus einer Zeit, als Arbeit, Büroalltag, das sogenannte Privatleben noch nicht vollständig computerisiert waren. Die Blackbox im Rechner verspricht einen unbekannten Kosmos, einen Möglichkeitsraum: Man träumt von einer erleichterten Zukunft. All die gealterten Wünsche haben etwas Unschuldiges im Angesicht von Big Data, Social-Media-Mobbing, entgrenzter Arbeit online. Kraftwerks Musik gängelt die Menschen nicht so sehr zu einem auslaugenden, uniformen Tanz – das Publikum bewegt sich wenig –, sondern nutzt die aus dem Krieg und sonstig garstiger Industrie geborenen Maschinenmittel für eine entspannte wie unheimliche Andacht an technologische Versprechen. Das ist auch 53 Jahre nach der Band-Gründung eine einnehmende ästhetische Erfahrung. Die aufwändige Video-Show gab einem dabei in Karlsruhe immer wieder das Gefühl, selbst in einem grellen Computer zu sitzen, der zwischendurch von Models und Tour-de-France-Strecken träumt. Fragt sich nur, wer überhaupt aus dem Gerät ausbrechen will.

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