S-Bahn Berlin: Eine Ausschreibung, die keine ist

Ein Weiterbetrieb des S-Bahnnetzes durch die Deutsche Bahn wird immer wahrscheinlicher

  • Christian Lelek
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Wettbewerb um den Betrieb einer Teilstrecke der S-Bahn zieht sich weiter in die Länge. Die Bewerbungsfrist habe sich noch einmal bis zum 19. Oktober verlängert, berichtete am Dienstagabend der »Tagesspiegel«. Zunächst war eine Frist bis 27. Juli vorgesehen. Grund für die Fristverlängerung ist die Klage des französischen Zugherstellers Alstom gegen die Gestaltung der Ausschreibung. Das seit 2021 laufende Verfahren ist in die nächste Instanz gegangen.

Neben der Deutschen Bahn (DB) bewirbt sich Alstom mit dem Eisenbahnunternehmen Transdev für den Betrieb der Strecke samt Bereitstellung der Züge. Das Unternehmen soll Beschwerde eingelegt haben, da der Zeitraum zwischen Erteilung des Zuschlags und Betriebsübernahme zu kurz sei. Das Konsortium aus DB und den Zugherstellern Siemens und Stadler genießt einen enormen Wettbewerbsvorteil, da Züge aus ihrem Hause bereits auf den Schienen Berlins unterwegs sind. Alstom müsste jene erst entwerfen.

Trotz einer Verschiebung der Frist will der Senat über den Zuschlag im ersten Quartal 2024 entscheiden. Eine Sprecherin des zuständigen Kammergerichts in Berlin teilte »nd« jedoch mit, dass noch nicht absehbar sei, wann mit einem Gerichtsbeschluss gerechnet werden könne. Ein Verhandlungstermin sei noch nicht anberaumt.

Bereits 2017 war der Vertrag über den Betrieb des S-Bahnnetzes zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg und der DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH ausgelaufen. In einem Vergabeverfahren für den Betrieb des Rings blieb nach dem Rückzug mehrerer Konkurrenten als einzige die S-Bahn Berlin GmbH übrig. Seit 2021 ist diese für den Betrieb der Strecke und die Beschaffung der Züge verantwortlich. Das Netz ist dabei in drei Teile gegliedert. Neben dem Ring sind das die Nord-Süd-Verbindung und die von Ost nach West verlaufende Stadtbahn.

Für die letzten beiden droht nun ein ähnliches Szenario wie für den Ring: eine faktische Direktvergabe. Und es gibt Kritik an den politisch für das Vergabeverfahren Verantwortlichen. So meint Florian Müller, Geschäftsführer des Berliner Fahrgastverbands Igeb im Gespräch mit »nd«: »Es zeichnet sich ab, dass am Ende des Ausschreibungsverfahrens, so wie es angelegt und ausgeführt wurde, es unwahrscheinlich ist, dass das Konsortium um die DB den Zuschlag nicht bekommt.«

Die vorgesehene Inbetriebnahme liegt mit Juni 2029 für die Stadtbahn und Juni 2030 für die Nord-Süd-Strecke 17 beziehungsweise 30 Monate hinter den ursprünglichen Terminen. Währenddessen gilt seit 2017 ein Interimsvertrag, wonach die DB weiterhin die alten Züge fahren darf. Eine Beschaffung neuer Züge wäre erst Bestandteil des neuen Vertrags, der 15 Jahre laufen soll. Dazu meint Müller: »Die Länge des Verfahrens ist für die Bahn dahingehend günstig, dass ein potenzieller Zuschlag eines Konkurrenten später erfolgt und die Bahn so selbst länger das ganze Netz betreiben kann.« Er könne sich vorstellen, dass der Interimsvertrag aufgrund der damaligen Notsituation auskömmliche Bedingungen für die Bahn enthält.

Die Igeb präferiert laut Müller keinen Wettbewerber. Im Vordergrund stehe die Qualität für die Fahrgäste. Auch die DB habe mit zehn Jahren S-Bahnkrise bewiesen, dass sie es nicht könne. Mit Blick auf das Verfahren führt er noch an: »Man müsste mal durchrechnen, wie viel Aufwand und Geld das bisher gekostet hat, was Anwälten und Planungsbüros zukam, und was man damit stattdessen für guten Verkehr hätte tun können.«

Alstom bekundete auf Anfrage von »nd« lediglich ein grundsätzliches Interesse an der Ausschreibung, wollte sich aber zum laufenden Vergabeverfahren nicht äußern.

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