Zwar kein Schloss, aber Riegel

In Berlin-Neukölln sind an fünf Standorten Schließfächer für obdachlose Menschen geplant

  • Hannah Blumberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie hier in Reinickendorf zu sehen, gibt es nun auch in Neukölln Schließfächer für Obdachlose.
Wie hier in Reinickendorf zu sehen, gibt es nun auch in Neukölln Schließfächer für Obdachlose.

»Es ist auf der einen Seite ein Grund zu feiern, weil es sie gibt, auf der anderen Seite kein Grund, weil es sie braucht«, sagt Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU). Mit diesen Worten weiht er am Donnerstag in der Teupitzer Straße 22 neue Schließfächer für obdachlose Menschen im Berliner Bezirk Neukölln ein. Denn Eigentum wie ein Schlafsack oder wichtige Dokumente sind im Leben dieser Menschen selten sicher. Immer wieder werden wohnungslose Männer und Frauen Opfer von Übergriffen und müssen ihre gesamte Habe mit sich führen. Erstmals werden nun in Berlin vom Senat geförderte Schließfächer angeboten, an denen niedrigschwellig persönliche Gegenstände gelagert werden können. An künftig fünf Standorten soll es sie geben.

Wie eine der vielen Paketstationen sehen die neuen Schließfächer aus, die auf dem Gelände der gemeinnützigen Kubus gGmbH zu finden sind. Manche von ihnen sind klein und etwa für Papiere gedacht, andere haben Platz für einen Rucksack. Alle haben eine Lademöglichkeit für Mobiltelefone, wie Thomas Mertens von der Firma Home & Care Nothilfe GmbH erklärt. Sonst betreibt diese GmbH Unterkünfte für Obdachlose. Nach dem Märkischen Viertel in Reinickendorf, wo es Anfang 2024 die ersten dieser Schließfächer gab, und dem Hafenplatz in Friedrichshain ist dies der bereits dritte Schließfachstandort in Berlin. Allerdings habe man solche Schließfächer bisher aus Spenden finanziert. Für die in Neukölln kommt der Senat auf. Hergestellt werden die Schließfächer in Österreich von der Firma Variocube.

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Sie können kostenfrei und unbefristet benutzt werden. Es gibt eine persönliche Pin. Für den Fall, dass die Nummer vergessen wird, ist ein Foto hinterlegt und ein Name. »Den überprüfen wir nicht«, sagt Mertens. Man habe sich bewusst dagegen entschieden, den Namen zu überprüfen, auch gegen die Vergabe der Schließfächer per QR-Code und Mobiltelefon. Denn dann wäre so ein Mobiltelefon erforderlich.

Vom Firmensitz bei Dortmund wird die Nutzung der Boxen rund um die Uhr überwacht. Ob Drogen oder verderbliche Lebensmittel gelagert werden, wird kontrolliert. »Jeder, der so ein Fach anmietet, muss sich nicht legitimieren, aber muss sich dazu bereiterklären, dass wir es jederzeit öffnen«, erklärt Mertens.

Erste Zwischenberichte zu den Schließfächern in Reinickendorf und Friedrichshain seien vergangene Woche eingegangen, berichtet Mertens. Demzufolge seien die bisherigen Standorte »hervorragend ausgelastet«. Es gebe keinerlei Vorkommnisse und keinen Missbrauch. »Die Boxen werden als das wahrgenommen, was sie auch sind.« Mittlerweile haben andere Städte Interesse angemeldet, darunter Bremen, Dortmund, Saarbrücken, Leipzig und Zürich. Hier sei man derzeit in Gesprächen über die Finanzierung, anders als in Neukölln nicht von staatlicher Seite. Im Gegenzug für Spenden von Unternehmen gebe es dafür dann aber neben der Spendenbescheinigung womöglich einen Verkauf der Namensrechte.

Die in Berlin bewilligten 250 000 Euro für fünf Standorte in Neukölln begrüßt Sozialstadtrat Rehfeldt. »Das wäre aus bezirklichen Mitteln nicht möglich gewesen«, sagt er. Im November wurden die Standorte von der Bezirksverordnetenversammlung einstimmig beschlossen. »Da haben viele, unabhängig von welcher Farbe gesagt: Ja, wir wollen das.« Man sehe hier, sagt Rehfeldt, dass in Berlin auch bei schwierigen Themen Fortschritte erzielt werden. Doch handle es sich bei den Schließfächern lediglich um ein Hilfsinstrument, nicht um eine Lösung des Obdachlosenproblems. Da stimmt ihm Thomas Mertens zu.

»Es ist auf der einen Seite ein Grund zu feiern, weil es sie gibt, auf der anderen Seite kein Grund, weil es sie braucht.«

Hannes Rehfeldt Sozialstadtrat

Mit zwölf durch einen Sozialarbeiter betreuten Wohnboxen für obdachlose Menschen ist in Neukölln eine weitere Übergangslösung geschaffen. »Viele der Menschen, die da jetzt untergebracht sind, haben zum ersten Mal eine Krankenversicherung«, sagt Rehfeldt. Weitere Wohnboxen seien in Arbeit.

Die Schließfächer an der Teupitzer Straße stehen auf dem Grundstück, auf dem die Kubus gGmbH auch eine Suppenküche, eine Kleidertauschbörse und eine Kältehilfe unterhält. Seit vergangener Woche gibt es dort auch noch eine neue Anlaufstelle für obdachlose Menschen: die Hitzehilfe. Täglich um die zehn Besucher*innen verzeichne man bereits trotz mäßiger Hitze, und ohne bisher für die Anlaufstelle geworben zu haben, sagt Gernot Zessin von der Kubus gGmbH. »Wäre natürlich günstig, wenn wir danach noch Schlafplätze anbieten könnten«, sagt Zessin, nachdem er sich Brettspiele und Tageszeitungen erbeten hat. Stadtrat Rehfeldt stimmt im Prinzip zu. Aber ganzjährige Notunterkünfte seien ein größeres Thema.

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