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Zeitenwende am Fliegerhorst
Umstrittenes Schlüsselvorhaben der Brandenburger Regierung: Das israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3 kommt zuerst nach Holzdorf
Am 16. Mai besuchte Elbe-Elster-Landrat Christian Jaschinski (CDU) den an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt gelegenen Fliegerhorst Holzdorf. Er besichtigte dort mehrere Baustellen und informierte sich über die geplanten Investitionen in Höhe von 900 Millionen Euro. Ab 2027 will die Bundeswehr hier 47 neue Transporthubschrauber stationieren und das Raketenabwehrsystem Arrow 3, »das künftig eine Schlüsselrolle in der deutschen Luftverteidigung spielen soll«, wie die Kreisverwaltung meldete. Das bringe 1000 neue Dienstposten und dazu 100 zusätzliche Arbeitsplätze bei der Firma Airbus Helicopters, die vor Ort ein Zentrum für die Wartung und Instandhaltung der Militärhubschrauber plane. Bisher dienen am Standort 2200 Soldaten. »Die Investitionen in Holzdorf sind ein Gewinn für den Landkreis Elbe-Elster und die umliegenden Gemeinden«, schwärmte Landrat Jaschinski.
Größter Rüstungsexport Israels
Die Lieferung des Raketenabwehrsystems aus Israel hat bereits begonnen. Gerade erst übernahm Luftwaffen-Inspekteur Generalleutnant Ingo Gerhartz vom Hersteller IAI in Tel Aviv erste Teile – das zentrale Kommunikationselement des Waffensystems. 3,6 Milliarden Euro wollte sich die Bundeswehr Arrow 3 ursprünglich kosten lassen. So hieß es, als im November 2023 der Liefervertrag unterschrieben wurde. Der Deal gilt als das größte Rüstungsexportgeschäft in der Geschichte Israels. Das Geld soll aus dem Sondervermögen für die Aufrüstung fließen. Zunächst 100 Milliarden Euro waren schnell locker gemacht worden, als der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 von einer »Zeitenwende« sprach.
Ab 2030 soll das Raketenabwehrsystem voll einsatzfähig sein. Holzdorf ist der erste von drei Standorten, an denen es installiert werden soll. Am 3. Juni trafen sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Innenstaatssekretär Frank Stolper (parteilos) mit Oberstleutnant André Megow. Seit 19. März in Holzdorf Kommandeur des Führungsdienstes der Luftwaffe sei Megow verantwortlich für »die Sicherheit und Souveränität des deutschen Luftraums«, hieß es in der Einladung der Staatskanzlei zum Fototermin. Bei diesem Termin nicht vorgesehen waren Äußerungen des Ministerpräsidenten und der beiden Offiziere – Staatssekretär Stolper diente von 1990 bis 2002 bei der Bundeswehr. Die Potsdamer Staatskanzlei veröffentlichte hinterher weder Fotos noch eine Pressemitteilung. Was bei Megows Antrittsbesuch besprochen wurde, ließ sich auch auf Nachfrage nicht in Erfahrung bringen.
In der Einladung zum Fototermin stand aber der bedeutsame Satz: »Vor dem Hintergrund der großen militärischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen Deutschland und seine Verbündeten derzeit stehen, ist der Ausbau des Bundeswehrstandorts Schönwalde/Holzdorf mit dem Raketenabwehrschirm Arrow 3 und der Stationierung von Transporthubschraubern ein Schlüsselvorhaben der Brandenburger Landesregierung.«
SPD-BSW-Koalition wackelte
Dabei hatte Arrow 3 Ende 2024 die Bildung der neuen Landesregierung in Gefahr gebracht. Denn der Landtagsabgeordnete Sven Hornauf (BSW) erklärte seinerzeit, er könne Woidke nicht zum Ministerpräsidenten wählen, wenn dieser an dem Waffensystem festhalte. Noch mindestens eine Fraktionskollegin von Hornauf soll da ebenfalls Bauschmerzen gehabt haben.
Ausgelöst hatte dies der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke). Am 4. November, als die Koalitionsverhandlungen von SPD und BSW starteten, hatte Görke gesagt, das BSW öffne mit seinem Bekenntnis zu Bundeswehrstandorten wie Holzdorf eine Hintertür für die Aufrüstung. Zwar bezahlt der Bund Arrow 3. Daran lässt sich auf Landesebene wenig ändern. Doch es sollten zusätzlich 100 Millionen Euro aus Landesmitteln umgelenkt werden, die eigentlich für den Strukturwandel im Lausitzer Braunkohlerevier vorgesehen waren, sagte Görke. Auch wenn diese 100 Millionen nicht für Waffen, sondern für den Bau von Truppenunterkünften und Offizierswohnungen verwendet werden, so gehöre das doch zum Gesamtpaket Aufrüstung. Das BSW gebe den »heroischen Friedensapostel«. Wo es konkret werde, stelle sich die Sache nun anders dar.
Nun hat aber die Koalition aus SPD und BSW nur eine Mehrheit von zwei Stimmen und Ministerpräsident Woidke keine andere Wahl, als sich auf das BSW zu stützen. Die einzige rechnerisch mögliche Alternative ist praktisch ausgeschlossen: Eine Koalition der SPD mit der AfD. Doch der Bundestagsabgeordnete Görke hat letzten Endes ein Bekenntnis zum Bundeswehrstandort Holzdorf im Koalitionsvertrag nicht verhindert und auch nicht die Koalition an sich. Dietmar Woidke fiel im Landtag zwar im ersten Wahlgang durch. Die Abgeordneten bestätigten ihn dann aber im Dezember im zweiten Wahlgang doch noch als Regierungschef.
Die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht hatte ihren Segen gegeben: Sie kenne die Diskussionen um Bundeswehrstandorte. »Aber wir sind nicht die Partei, die sagt: Wir brauchen keine Bundeswehr.« Die Milliarden für Arrow 3 wären sicher anders besser investiert, gab Wagenknecht zu. Aber: »Es sind keine Angriffsraketen.« Das sei der fundamentale Unterschied zu den US-Mittelstreckenraketen, deren Stationierung in Deutschland das BSW ablehnt.
»Arrow 3 ist sinnlos und teuer«, sagte BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders im Januar, nachdem das Zittern um Woidkes Wahl ein Ende hatte. Aber Fakt sei: »Auf Landesebene können wir dieses Raketenabwehrsystem nicht verhindern.« Auch Lüders bezeichnete Arrow 3 als »Verteidigungswaffe«.
Mit Angriff und Verteidigung ist es aber so eine Sache. Das lässt sich nicht klar trennen. Beispiel: Das Sternenkriegsprogramm SDI von US-Präsident Ronald Reagan aus dem Jahr 1983. Anfliegende sowjetische Atomraketen sollten teils vom Weltraum aus unschädlich gemacht werden, bevor sie Reagans Heimat erreichen. Wer aber in der Lage wäre, einen Vergeltungsschlag abzuwehren, könnte auch einen Erstschlag in Erwägung ziehen.
Waffengeschäfte seit 1957
Rüstungsgeschäfte zwischen Deutschland und Israel haben derweil eine lange Geschichte. Sie begannen schon 1957 im Verborgenen. So kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah war das in Israel ein heikles Thema. Doch Israels Streitkräfte brauchten Flugzeuge, Hubschrauber, Panzer und Geschütze sowie U- und Schnellboote, um nicht von den arabischen Nachbarn überrannt zu werden. Umgekehrt erhielt die Bundeswehr schon bald israelische Uzi-Maschinenpistolen. Der Journalist Werner Sonne beschreibt das anschaulich in seinem lesenswerten Buch »Israel und wir«. Die Waffenlieferungen in beide Richtungen halten bis in die Gegenwart an.
Der BSW-Landtagsabgeordnete Hornauf bleibt am Thema Holzdorf dran. Im Innenausschuss stellte er dazu immer wieder Fragen, bis ihn seine Fraktion im Mai aus allen Ausschüssen abzog. Er hatte bei der Beratung des Doppelhaushalts 2025/26 für einen Antrag der AfD gestimmt, die Mittel für den Verfassungsschutz zu kürzen.
Im Landtag steht Hornauf ziemlich allein. Doch im Kreis der Unterstützer des BSW gibt es auch andere, die mit der Stationierung von Arrow 3 nicht einverstanden sind. Nach nd-Informationen haben sie schon eine Blockade von Holzdorf erwogen, falls sich dort ein Prominenter ansagt. Arrow 3 hat eine Reichweite von 2400 Kilometern. Moskau liegt 1900 Kilometer entfernt.
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