Berlins Artenvielfalt: Nachtigallen, Otter und Biber zurück

Für den Artenschutz in der Hauptstadt ist es wichtig, Grünflächen zu erhalten.

In keiner anderen Stadt gibt es so viele Nachtigallen wie in Berlin.
In keiner anderen Stadt gibt es so viele Nachtigallen wie in Berlin.

»Wenn Sie jetzt genau hinhören, dann können Sie den Gesang der Nachtigall erkennen!« Derk Ehlert hält den Finger an die Lippen und schaut angestrengt von der Spree in den Treptower Park. Der Wildtierexperte der Senatsumweltverwaltung ist an Bord der »Spree-Comtess« und erzählt rund 300 Besucher*innen vom vielfältigen Tierleben in der Hauptstadt. Es ist die Eröffnungsfahrt des Langen Tags der Stadtnatur, veranstaltet von der Stiftung Naturschutz Berlin. Am Samstag und am Sonntag fanden in Berlin 500 Veranstaltungen an 120 Orten zum Artenreichtum der Berliner Flora und Fauna statt.

Ende April sei die beste Zeit, um die Nachtigallen singen zu hören, sagt Ehlert. Dann würden sie mit langen komplizierten Liedern um die Aufmerksamkeit der Weibchen buhlen. Jetzt höre man nur kurze Strophen – das sei der Sing-Unterricht für die frisch geschlüpften Vögelchen. »Wenn ich das höre, weiß ich sofort: Das ist ein Männchen und es hat Nachwuchs, also eine erfolgreiche Saison. Das kommt nächstes Jahr wieder.« Im Treptower Park gebe es besonders viele der Singvögel, sagt Ehlert. Generell habe Berlin hohe Nachtigall-Zahlen vorzuweisen. »Keine andere Stadt hat so viele Nachtigallen.«

Doch nicht nur diese Vögel fühlen sich wohl in der Hauptstadt. Auf einem Steg in der Spree auf der Höhe des Osthafens sitzen Großmöwen und Kormorane. Auch Mauersegler, Nebelkrähen, Mäusebussarde, Graugänse, Silberreiher lassen sich auf der anderthalbstündigen Spreefahrt vom Märkischen Ufer am S-Bahnhof Jannowitzbrücke bis zum Plänterwald und wieder zurück erblicken. Wildtierexperte Ehlert liefert Informationen zu den gesichteten Tierarten. Die Mauersegler zum Beispiel sind als Gebäudebrüter in der ganzen Stadt verteilt und flattern ausgesprochen viel durch die Luft: 150 000 Kilometer können sie innerhalb eines Jahres zurücklegen, sagt Ehlert. »Und das mit gerade mal 50 Gramm.«

»Wenn sie hier jagen lernen, dann bleiben sie in der Stadt. Die Berliner Habichte sind ortstreu.«

Derk Ehlert Wildtierexperte der Senatsumweltverwaltung

Zu den besonders an die Großstadt-Bedingungen angepassten Vögeln zählen Habichte. In Berlin gebe es mit 120 Brutpaaren mehr davon als in jeder anderen Stadt Europas, sagt der Experte. Sie fangen Tauben – zusammen etwa 10 000 im Jahr – und haben dabei ihr Jagdverhalten an die Stadt angepasst. »Die Stadthabichte sind Überraschungsjäger«, sagt Ehlert. Sie fliegen von Hinterhof zu Hinterhof und lassen sich dort plötzlich hinabfallen in der Hoffnung, dort auf eine Taube zu treffen, die dann kaum eine Fluchtmöglichkeit hat. Dass sei ein anderes Jagdverhalten als auf dem Land, weshalb die hier aufgewachsenen Habichte auch immer wieder in die Großstädte zurückkehren zum Brüten. »Wenn sie hier jagen lernen, dann bleiben sie in der Stadt. Die Berliner Habichte sind ortstreu.«

Für den Artenschutz in der Hauptstadt ist es wichtig, Grünflächen zu erhalten. Aktuell gebe es in Berlin einen Grünflächen-Anteil von 40 Prozent, und etwa 17 bis 18 Prozent der Landesfläche sei Schutzgebiet, so Ehlert. Das weltweite Artensterben mache sich allerdings auch in der Hauptstadt bemerkbar, sagt Stefan Richter, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutz. Er bleibt dennoch optimistisch: »Wir sehen, dass Artenschutz und die Wiederherstellung von Flächen wirksam sind.« Das merke man beispielsweise daran, dass sich einige Arten in Berlin wieder ansiedeln, die es zuvor lange nicht in Berlin gegeben habe. Biber und Fischotter zum Beispiel gibt es wieder in der Hauptstadt, und auch zahlreiche Insektenarten werden wieder gefunden – Richter nennt etwa den Kleinen Heldbock. »Sie sind wieder da, weil wir renaturieren.«

Dass gerade in den vergangenen Jahren zahlreiche Insektenarten wieder entdeckt wurden, ist vor allem der engagierten Stadtgesellschaft zu verdanken, sagt Derk Ehlert. Denn seit 2018 gibt es den »Artenfinder« der Stiftung Naturschutz – ein Citizen-Science-Projekt, also Wissenschaft durch Bürger*innen. In einer Datenbank können Naturschutzinteressierte ihre Funde – im Garten, auf dem Balkon oder im Grünstreifen auf der Straße – eintragen. So wurde etwa 2024 zum ersten Mal seit 1986 der Eichen-Zackenradspinner in Berlin gefunden. Und der seit 100 Jahren in der Hauptstadt als verschollen gegoltene Glänzendschwarze Furchenstirn-Prachtkäfer. Seit 2018 sind über 70 000 Meldungen von etwa 2900 Arten eingegangen.

Ehlert zeigt sich begeistert von dem Projekt. »Da, wo wir mitmachen, womit wir uns identifizieren, das wollen wir auch beschützen«, sagt er nach der Spreefahrt zu »nd«. Denn die Artenvielfalt der Stadtnatur sei eine Lebensgrundlage für die menschlichen Berliner*innen. Deswegen ist es ihm besonders wichtig, dass sich die Anwohner*innen auch selbst dafür einsetzen, diese zu erhalten. »Selbst ist die Stadtgesellschaft«, sagt Ehlert.

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