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Was die Muschelhügel verraten

Die Angehörigen der Sambaqui-Kultur verfügten über reichhaltige Nahrungsquellen und lebten in Frieden mit ihren Nachbarn

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.
Sambaquis sind Hügel aus Muscheln und anderem kalkhaltigen Material.
Sambaquis sind Hügel aus Muscheln und anderem kalkhaltigen Material.

Die Sambaqui-Hügel entlang der brasilianischen Südostküste erregten schon die Aufmerksamkeit der ersten europäischen Seefahrer. Platziert an Sandstränden entlang von Lagunen unweit der Meeresküste, erstrecken sich die einzelnen Muschelhügel oft über Hunderte Meter und erreichen eine Höhe bis zu 30 Metern. Archäologen schätzen, dass die Anlage dieser Hügel je nach Größe zwischen einigen Jahren und mehreren Jahrhunderten dauerte. Über 3000 Kilometer Atlantikküste von Bahia bis fast an die Grenze zu Uruguay erstrecken sie sich. »Sambaqui« bedeutet Muschelhügel und die Bezeichnung stammt aus der Tupi-Sprache. Doch die Tupi hatten nichts mit den Erbauern der Hügel zu tun.

Die Muschelhügel sind zwar menschliche Bauwerke, wurden aber auf natürlichen Sandbänken aufgebaut. Ihre Höhe erreichten sie im Laufe von imponierenden 7000 Jahren. Über die Jahrtausende hinweg versteinerten die Muscheln und anderes kalkhaltiges Material, das in den Hügeln verbaut wurde. In kolonialen Zeiten wurden Sambaquis als willkommenes Baumaterial betrachtet, während sie heutzutage in Gefahr sind, eingeebnet zu werden, um Platz zu schaffen für städtische Entwicklungen.

Genetisch unterschiedliche Gruppen

Die Sambaqui-Kultur existierte etwa zwischen den Jahren 8000 und 1000 vor unserer Zeitrechnung, bis sie abrupt verschwand. Eine Gruppe von Forschern der Universitäten Tübingen und São Paulo stellte sich die Frage, wer die Menschen waren, die die Hügel erbauten, und was aus ihnen wurde. Zu diesem Zweck wurden 34 DNA-Proben von Skeletten, die mit der Sambaqui-Kultur assoziiert sind, analysiert. Die erste Überraschung war, dass die Träger der Kultur in drei deutlich unterscheidbare Gruppen zerfielen. Genetische Unterschiede bestanden zwischen den Bewohnern der südlichen Küste und denen der südöstlichen sowie einer Sambaqui-Gruppe, die im Inland in der Gegend von Itaoca an Flussläufen lebte. Seniorautor Cosimo Posth erklärt diesen Unterschied damit, dass die Gruppen wahrscheinlich kaum mobil waren. Die Erklärung ist einleuchtend, denn die fisch- und muschelreichen Lagunen boten den Menschen ausreichend Nahrung. Ergänzt wurde die Diät durch die Jagd auf Seevögel und Landtiere sowie etwas Gartenbau. Die Nahrungsquellen sprudelten reichlich und es gab daher wenig Anreiz, die angestammten Gebiete zu verlassen, was wiederum zu einer der höchsten Bevölkerungsdichten des präkolumbianischen Amerika führte.

Die Forscher untersuchten auch das Genom von »Luzio«, einem Individuum, dessen Alter auf etwa 10 400 Jahre bestimmt wurde. Zwischen Luzio und den Skeletten der Sambaqui-Kultur liegen jedoch etwa 3000 Jahre und die DNA-Analyse zeigte, dass es keine direkte genetische Verbindung gibt. Die Forschergruppe unterstreicht jedoch, dass sowohl Luzio als auch die Sambaqui-Menschen ihre Wurzeln in der Einwanderung aus Nordostasien haben. Das deckt sich mit Forschungen des Kopenhagener Instituts für Geogenetics, denen zufolge die Vorfahren aller Indigenen Nord- und Südamerikas über Jahrtausende in Beringia – dem einstmaligen Übergang zwischen Ostsibirien und Alaska – eingeschlossen waren, bevor sie am Ende der letzten Eiszeit weiterziehen konnten.

Grabstätten und Markierungspunkte

Die Sambaqui waren nicht nur einfache, wenn auch hohe Abfallhaufen. Der Grund, warum verhältnismäßig viele Skelette ausgegraben werden konnten, ist, dass die Hügel über die Jahrtausende auch als Begräbnisstätten dienten. Bei der Analyse der Gräber zeigte sich, dass diese sorgfältig vorbereitet worden waren, Grabbeigaben enthielten und Feste zu Ehren der Verstorbenen abgehalten worden waren. Zwischen den Lebenden und den Toten bestand also eine enge mythologische Verbindung. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass ältere Gräber gelegentlich umgelagert und neu ausgestattet wurden.

Die Muschelhügel hatten aber nach Auffassung der Forscher noch eine andere Bedeutung: Sie dienten gleichzeitig der Abgrenzung gegenüber benachbarten Gruppen. Diese territoriale Markierung gegenüber den Nachbarn scheint ausreichend gewesen zu sein. Denn im Gegensatz zu späteren Kulturen konnten an Skeletten der Sambaqui-Kultur keine Verletzungen nachgewiesen werden, die auf einen gewaltsamen Tod hingedeutet hätten.

In der Schlussphase der Sambaqui-Kultur vor etwa 3000 Jahren lassen sich genetische Einflüsse einer anderen Gruppe, der sogenannten Proto-Jê nachweisen. Diese Gruppe wanderte aus dem Amazonas-Gebiet in Richtung Küste und die Studie deutet auf eine zumindest teilweise Vermischung beider Gruppen hin. Gleichzeitig änderte sich das Klima etwas und die Küstengebiete senkten sich weiter ab. Dies beeinflusste vermutlich die Produktivität der Lagunen und führte einen kulturellen Wechsel herbei, bei dem der Bau der Sambaquis aufgegeben wurde. Die Proto-Jê betrieben Gartenbau, setzten aber auch die Fischerei und das Muschelsammeln der Sambaqui in geringerem Umfang fort. Im Datenbankvergleich wies die Forschergruppe eine genetische Verbindung zwischen den Sambaqui und Jê-Völkern wie den Kaingang, Xonkleng und Laklãnõ nach, die auch heute noch in Südbrasilien leben. Die Träger der Sambaqui-Kultur verschwanden also nicht, sondern änderten ihre Kultur und vermischten sich mit den Neuankömmlingen.

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