- Kultur
- Politische Korrektheit
Verstehen Sie noch Spaß?
Wo vor Humor gewarnt werden muss, haben die Spießer das Sagen
Wenn es um das Verständnis von Geschichte geht, sind wir alle Marxisten. Wir glauben, dass sich die Menschheit in Schüben weiterentwickelt und dass wir auf diese Weise einer besseren Welt Stück für Stück näher kommen. Also blicken wir verächtlich auf das »finstere Mittelalter« herab und mokieren uns über Hexenverfolgungen. Dumm nur, dass diese ein Phänomen der Neuzeit sind. Erst mit der vermeintlich so gebildeten, kulturell wertvollen Renaissance begann die wahllose Ermordung unschuldiger Frauen. Und das Abschlachten indigener Völker in Mittel- und Südamerika. Das Mittelalter war in vielerlei Hinsicht die humanere Epoche.
Über das 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts reden wir besser erst gar nicht. Den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg des Bürgertums bezahlten die Arbeiter, die unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten. Es folgte ein Weltkrieg, Faschismus in großen Teilen Europas und noch ein Weltkrieg. Danach war den Europäern die Lust auf heiße Gefechte vergangen, weshalb man sich die folgenden Jahrzehnte mit einem Kalten Krieg begnügte. Immerhin.
Und wie steht es um Freiheit und Demokratie? Auch in dieser Hinsicht ist Historie keine Treppe nach oben, sondern ein abenteuerlicher Dschungelpfad, auf dem stetig Fallstricke lauern. Gerade in Deutschland. Die Menschen des Jahres 1924 hatten definitiv mehr Freiheiten als die des Jahres 1934 oder gar 1944. Sie hatten sogar mehr Möglichkeiten, sich zu entfalten, als jene, die 1954 in der BRD oder DDR groß wurden. Das Berlin der wilden 20er war in puncto Selbstverwirklichung liberaler als das der 50er, ein Jahrzehnt, das an seinem Mief zu ersticken drohte.
Erst ab den 60ern erkämpften sich junge Menschen mehr Freiräume. Auch in der DDR. Zwar gab es keine politisch agierende 68er-Bewegung, doch im Privaten gelang es, sich von den Altvorderen zu emanzipieren. Die nunmehr entspanntere Sexualmoral machte nicht vor der Mauer halt und ließ sich von keinem IM kontrollieren. Der Film »Die Legende von Paul und Paula« dokumentiert dies ausdrucksstark. Als die Puhdys sangen, »Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen«, brachten sie das Lebensgefühl junger Menschen, die keine Grenzen kannten, auf den Punkt. Das war im Frühling 1973. Wenige Monate später fanden in Ost-Berlin die Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Selbst 4000 eingesetzte Stasi-Mitarbeiter konnten nicht verhindern, dass dieses neuntägige Festival zum »Woodstock des Ostens« wurde.
Die Botschaft war eindeutig: Bloß nicht werden wie die alten Säcke! Freiheit war daher auch die Freiheit, unverschämt zu sein. Sich danebenzubenehmen. Den Respektspersonen den Respekt zu verweigern. Ob diese Honecker oder Kohl hießen, machte keinen Unterschied – aus Sicht junger Menschen war alles ein Kaliber.
Diese Grundhaltung war bis in die 90er Jahre hinein anzutreffen. Man muss sich vor Augen halten, dass das öffentliche Leben – Politik, Berufswelt, gesellschaftliche Debatten – noch immer von Menschen mitgestaltet wurde, die ihre kindliche Prägung im »Dritten Reich« erhalten hatten. Diese Leute mochten sich als Demokraten fühlen und die Spielregeln der Demokratie beherrschen, doch ihrer Sozialisation nach waren sie autoritäre Charaktere, die Hochachtung einforderten.
Damit waren sie bei Herbert Feuerstein genau an der richtigen Adresse. Der Sohn eines NSDAP-Kreisgeschäftsführers und einer Blockwartin hatte seine eigene Art, mit der braunen Vergangenheit seiner Eltern fertigzuwerden – er verweigerte dem Establishment jede Art von Ehrerbietung. Als Student kritisierte er in einer Rezension eine Komposition seines Hochschuldirektors. Damit war seine akademische Laufbahn zu Ende. 1960 ging er mit seiner Frau, einer Hawaiianerin, nach Amerika und schlug eine journalistische Laufbahn ein.
Diese nahm nach seiner Rückkehr eine kuriose Wendung. In den 70er und 80er Jahren war Feuerstein Chefredakteur des deutschen Ablegers der US-Zeitschrift »MAD«. In Ermangelung eines besseren Begriffs wird »MAD« häufig als »Satirezeitschrift« bezeichnet – was sie nie war. Hier wurde nicht subtil mit dem Florett gefochten, nein, hier schlug man beherzt mit der Dachlatte zu. Der »MAD«-Humor war infantil, anarchisch und ungehobelt – die Blaupause für »Schmidteinander«, das ab 1990 die behäbige deutsche Fernsehwelt durcheinanderwirbelte.
In Harald Schmidt fand Feuerstein seinen kongenialen TV-Partner. Denn Schmidt verkörperte genau die Art Humor, die Feuerstein 20 Jahre lang zu Papier gebracht hatte. Schmidt war die Respektlosigkeit in Person. Allein mit seinem dreckigen, unverschämten Grinsen hat er als Schüler vermutlich manchen Lehrer zur Weißglut getrieben. Schmidt war die Verbindung aus Flegel und Primus, rüpelhaft, doch zugleich schlagfertig und gebildet. Dieser Kombi war niemand gewachsen. Bei ihm bekamen alle ihr Fett ab. Zuschauer wie prominente Gäste – und Feuerstein als Watschenmann vom Dienst sowieso. War das grausam? Eine Form von Mobbing?
Natürlich! Aber in seiner gut gelaunten Bösartigkeit eben auch hochgradig unterhaltsam. Nie wieder kam deutscher Humor so nah an den britischen heran. In seinen besten Rubriken – die »Sprichwortforschung« und die »Zuschauerfrage«, bei der die Lösung stets »N« lautete – erreichte »Schmidteinander« die Absurdität von »Monty Python’s Flying Circus«. Dann wiederum gab man sich – wie in »Feuerstein und Fozzi-Bär« – hemmungslos pubertärem Unterleibshumor hin. Wer da auf geschockt oder beleidigt machte, bewies nur, dass er ein kleinkarierter, engstirniger Spießer war. Und eine Mimose sowieso.
Das war der Preis der Freiheit: Man musste es aushalten können, verhöhnt zu werden. Ja, es war eine Auszeichnung, von Schmidt niedergemacht zu werden, weil dies nur jenen Personen und Gesellschaftsgruppen zuteilwurde, die er als relevant genug erachtete.
30 Jahre später schickt der WDR, der seinerzeit die insgesamt 50 Folgen produzierte, seinen »Schmidteinander«-Wiederholungen einen Warnhinweis voran: »Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung.« Soll das ein Witz sein? Zumindest hat es Harald Schmidt gewohnt doppelbödig so kommentiert: »Weltklasse! Ein echter ›Schmidteinander-Gag‹. Nur schade, dass der selige Feuerstein das nicht mehr erlebt hat.«
Doch wenn man sich die Geisteshaltung dahinter ausschaut, erscheint die Sache weniger lustig, ja, sogar ziemlich traurig. Denn dieser Warnhinweis richtet sich nicht an Kinder, sondern an erwachsene Menschen, die eigentlich über die intellektuelle und seelische Reife verfügen müssten, den Anarcho-Humor von Feuerstein und Schmidt richtig zu interpretieren. Bloß traut der WDR genau das seinen Zuschauern nicht mehr zu.
»Wir ordnen das Format dementsprechend ein« muss als Begründung für den Warnhinweis herhalten. Da kommt einem Kurt Tucholsky in den Sinn: »Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.« Offenbar rechnet der WDR – anders als Anfang der 90er – mit vielen Übelnehmern.
Das ist der Augenblick, in dem einem dämmert, dass Freiheit keine Einbahnstraße ist. Dass der Weg auch mal zurückgehen kann – wie so oft in der Geschichte. Und so befinden wir uns mental 200 Jahre zurück. In einer Zeit, in der vor Humor gewarnt werden musste. Oder wie es der revolutionäre Dichter Ludwig Pfau formulierte: »Schau, dort spaziert Herr Biedermeier/ und seine Frau, den Sohn am Arm;/ sein Tritt ist sachte wie auf Eier,/ sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.