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Simbabwe: Informell überleben oder das Land verlassen

Die wirtschaftliche Lage in Simbabwe ist desaströs und Armut weit verbreitet

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 3 Min.

Vier Jahre war der Simbabwe-Dollar komplett verschwunden. Von 2015 bis 2019 verzichtete die simbabwische Regierung auf eine eigene Währung und gab den hoffnungslos scheinenden Kampf gegen die Hyperinflation auf. Jeder Bürger und jede Bürgerin musste selbst zusehen, wie er/sie an US-Dollars, Euros oder Südafrikanische Rands rankam, die schon Jahre zuvor als offizielles Zahlungsmittel zugelassen wurden.

Seit 2019 zirkuliert wieder ein neuer Simbabwe-Dollar, doch die Probleme mit der Hyperinflation sind geblieben. Auch der neue Simbabwe-Dollar wird wie eine heiße Kartoffel weitergereicht und findet keine Akzeptanz bei den Bürger*innen, weil es ihm schlicht an Stabilität mangelt, um ihn als Wertaufbewahrungsmittel nutzen zu können. In Simbabwe-Dollar zu sparen, ist ein unkalkulierbares Risiko.

5000 Simbabwe-Dollar kostete Anfang Juni ein Laib Brot in Simbabwe, inzwischen kostet er schon mehr als 15 000 Simbabwe-Dollar. Das entspricht laut offiziellem Wechselkurs rund 14 Dollar und selbst inoffiziell noch sieben US-Dollar. Und das in einem Land, in dem fast 40 Prozent der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag überleben müssen, sage und schreibe rund 6 Millionen Menschen.

Die bereits hohe Inflationsrate liegt inzwischen bei über 200 Prozent. Der hohe Wertverlust trifft am stärksten die Landbevölkerung und damit auch die Wählerschaft, in der die regierende Zanu-PF die größte Unterstützung genießt. Aufgrund der prekären Lage der ländlichen Bevölkerung befürchten Expert*innen, dass die Situation von politischen Parteien ausgenutzt werden könnte und diese sich durch Lebensmittelausgaben Stimmen erkaufen könnten – wie es die Zanu-PF bereits in früheren Wahlen getan hat.

Die einst blühende kommerzielle Landwirtschaft Simbabwes liegt ebenso wie die Industrie am Boden. Im Zuge einer Landreform Ende der Neunzigerjahre wurden zudem viele großbäuerliche Betriebe zerschlagen und Ackerflächen neu verteilt. Damit büßte das Land an Produktivität ein. Arbeitslosigkeit und Ernährungsunsicherheit prägen nun den Alltag. Knapp ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren sind mangelernährt.

Immer mehr junge Menschen sehen in kleinbäuerlicher Landwirtschaft keine Perspektiven mehr und begehen Landflucht. Erfolgsgeschichten kleinbäuerlicher Betriebe sind die Ausnahme. Die Flucht in die Stadt bietet freilich weniger Chancen als früher, denn seit dem wirtschaftlichen Niedergang Anfang der 2000er-Jahre schrumpfen dort die Einkommensmöglichkeiten.

In der tiefen Krise 2008 waren die Supermärkte leer und es gab nichts zu kaufen. 2023 sind die Regale der Supermärkte zwar voll, doch den allermeisten Menschen fehlt es an Kaufkraft, um dort einzukaufen. Ein normales Lehrer*innengehalt beträgt 200 US-Dollar im Monat, auch das einer Krankenschwester liegt in dieser Dimension. Die sogenannte Mittelklasse ist fast komplett verschwunden.

Einem aktuellen Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entfallen 76 Prozent der Arbeitsplätze in Simbabwe auf den informellen Sektor, das heißt auf den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen ohne Registrierung bei den Behörden. Die informelle Wirtschaft, die massiven Bankgebühren und das Misstrauen gegenüber dem Bankensektor führen dazu, dass die Simbabwer lieber mit Bargeld oder mobilem Geld handeln.

Von den schätzungsweise 5,2 Millionen Händlern in Simbabwe, die in der informellen Wirtschaft tätig sind, sind 65 Prozent Frauen. Die Regierung will diesen wachsenden Wirtschaftszweig im Rahmen einer nationalen Strategie zur Erhöhung der Steuereinnahmen formalisieren. Sie geht rigoros gegen Kleinunternehmen vor und schickt Strafverfolgungsbeamte, die Handelslizenzen überprüfen und Geldstrafen gegen diejenigen verhängen, die sich nicht an die Vorschriften halten. Da verwundert es wenig, dass in den sozialen Medien eine Redewendung die Runde macht: Der simbabwische Traum ist es, Simbabwe zu verlassen.

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