»El Salvador ist bereits eine Diktatur«

Der geflüchtete Fotojournalist Víctor Peña über die Herrschaft von Nayib Bukele und dessen Geheimdeals mit Banden

Verschworene Gemeinschaft: Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele (l.) setzt beim Durchregieren auf die Militärs und den seit 27. März 2022 immer wieder verlängerten Ausnahmezustand.
Verschworene Gemeinschaft: Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele (l.) setzt beim Durchregieren auf die Militärs und den seit 27. März 2022 immer wieder verlängerten Ausnahmezustand.

Mehrere Journalisten der Internet-Zeitung »El Faro« sind aus El Salvador geflohen, weil sie Angst vor einer Verhaftung hatten, nachdem sie über geheime Absprachen krimineller Banden mit dem Präsidenten Nayib Bukele berichtet hatten. Sie sind einer davon.

Ja, ich bin einer der sieben Journalisten, die an der investigativen Recherche beteiligt waren, einer der drei maßgeblichen Produzenten dieses Videointerviews. Wenige Stunden nachdem wir die erste Episode am 1. Mai veröffentlicht hatten, bekamen wir alarmierende Warnungen, dass die Staatsanwaltschaft an Haftbefehlen gegen uns arbeite. Daraufhin unternahmen wir alles Notwendige, um so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Diese Informationen erhielten wir aus mehreren Quellen. Von daher gingen wir davon aus, in El Salvador nicht mehr sicher zu sein. Deswegen haben wir präventiv das Land verlassen, um von außen zu beobachten, wie sich die Lage im Land während der Veröffentlichung der folgenden Episoden entwickeln würde.

Was machte die Informationen in dem Interview mit einem Bandenchef so brisant für Präsident Bukele?

Bis zu diesem Interview kontrollierte Bukele stets das Narrativ im Land. In der Woche der Veröffentlichung verlor er jedoch die Deutungshoheit über das Geschehen. Erstens brach Ende April eine Autobahn zusammen, die drei Departamentos mit der Hauptstadt verbindet. Es entstand eine Transportkrise – viele Arbeiter konnten ihre Arbeitsplätze in der Stadt nicht erreichen, was Teile der Bevölkerung verärgerte. Zweitens wurde in derselben Woche in Panama ein Container mit Kokain entdeckt, versteckt in Kaffeeverpackungen aus El Salvador, die über einen salvadorianischen Hafen nach Belgien verschifft worden waren. Der Verteidigungsminister behauptete daraufhin, das Schiff sei erst auf hoher See gestoppt und mit dem Kokain beladen worden – und zwar von Personen, die El Salvadors Image schädigen wollten. Mitten in dieser Regierungskrise erschienen dann die ersten drei Episoden mit den beiden ehemaligen Führungsmitgliedern der Bande Barrio 18. Zwar gab es bereits zuvor Berichte über Bukeles Absprachen mit den Banden, doch diese Videos entfalteten eine durchschlagende Wirkung.

Interview

Der salvadorianische Fotojournalist Víctor Peña befindet sich mit seiner Familie im Exil in Frankfurt am Main, weil er massiven Repressionen in El Salvador ausgesetzt ist. Auslöser war ein Interview, an dem Peña beteiligt war, das unter anderem korrupte Machenschaften des Präsidenten Nayib Bukele aufgedeckt hat

Warum?

Zum ersten Mal erzählten zwei Anführer vor der Kamera, wie sie Bukele unterstützten. Und zwar seit 2014, damals kandidierte Bukele fürs Bürgermeisteramt der Hauptstadt San Salvador. Er gewann mithilfe von Todesdrohungen der Banden gegen Wähler, sollten sie nicht für Bukele und bei der Parlamentswahl für seine Partei FMLN stimmen. Als Gegenleistung erhielten die Bandenchefs eine Viertelmillion US-Dollar vom Wahlkampfteam Bukeles. Zudem gab es für inhaftierte Bandenmitglieder Hafterleichterungen und später auch vorzeitige Entlassungen von Bandenchefs, selbst nach dem 2022 offiziell wegen der Bandenkriminalität verhängten Ausnahmezustands, der bis heute immer wieder verlängert wurde. Es ist eine seltsame Politik. In den vergangenen drei Jahren hat die Regierung viele Mittel investiert, um die Kriminalität und die Banden selbst zu bekämpfen. Sie behauptet, sie zerschlagen zu haben. Aber inmitten all dessen hat sie Bandenführer freigelassen. Nur deshalb konnten wir sie überhaupt interviewen.

Die Interviews waren der letzte Beweis für die Abkommen, über die seit Jahren spekuliert wird?

Beweise gab es bereits zuvor. Ein Regierungsdokument belegt sogar, dass Bukeles Mitarbeiter wiederholt das Hochsicherheitsgefängnis betreten hatten, um mit Bandenführern Vereinbarungen zu treffen – sowohl über den Rückgang der Morde und die Verringerung der Straßengewalt als auch darüber, wie sich Berichte über die Verbindungen zwischen Banden und Regierung auf das Land auswirken. Bisher hatten diese Enthüllungen kaum Wirkung, auch weil »El Faro« normalerweise vor allem lange Online-Artikel publiziert. Jetzt aber sprechen im Video zwei Protagonisten vor der Kamera – einer zeigt sein Gesicht, der andere ist als historischer Anführer der Bande Barrio 18 bekannt. Das ist ein journalistischer Coup.

Bukele ist bereits seit 2019 Präsident. Kritische Journalisten werden seit Jahren bespitzelt und direkt angegriffen. Wie kann man in diesem Klima arbeiten? »El Faro« hat seinen Sitz in Costa Rica, aber es gibt Leute, die bis Mai noch in El Salvador gearbeitet haben, oder?

Wir haben immer in El Salvador gearbeitet. Der Firmensitz ist nur aus administrativen Gründen in Costa Rica, weil die Regierung ständig mit Razzien, Steuerprüfungen und dem Einfrieren unserer Konten drohte. Im September 2020 nutzte Bukele eine landesweite Fernseh- und Radioübertragung, um »El Faro« zu beschuldigen: Wir seien Geldwäscher, Komplizen von Banden und Steuerhinterzieher. Daraufhin folgte ein kollektiver Angriff mit Prüfungen und weiteren Verfolgungsmaßnahmen. 22 Mitglieder des »El Faro«-Teams wurden mit der israelischen Pegasus-Software abgehört – einer Spionagesoftware, die ausschließlich an Regierungen verkauft wird. Wir wurden verfolgt, in den sozialen Netzwerken angegriffen und diskreditiert – durch eine orchestrierte Kampagne von Pseudo-Intellektuellen und bezahlten Journalisten, die mit dieser Propaganda-Maschinerie zusammenarbeiteten, um unser gesamtes Werk zu diskreditieren. Das waren extreme Bedingungen unter dem Angriff eines ganzen Regierungs- und Propagandaapparates.

Trotzdem hat »El Faro« weitergemacht?

Ja. Wir haben die Korruption dieser Regierung angeprangert. Wir haben die Vereinbarungen mit den Banden angeprangert. Wir haben all diese Absprachen aufgedeckt, das sehr komplexe System der Korruption, das diese Regierung und ihre Abgeordneten betreiben. Nach dieser Veröffentlichung hat Bukele im Grunde seine Maske endgültig abgenommen. Er bezeichnet sich jetzt offener denn je als Diktator, ohne sich darum zu kümmern, was die Welt denkt. Er hat begonnen, offen viel mehr Gewalt gegen Journalisten, aber auch gegen Menschenrechtsverteidiger anzuwenden. Und gegen Menschen, die an der Basis für Gemeinschaften arbeiten und sie organisieren. Dagegen gab es Proteste. Und die Regierung reagierte erstmals seit dem Friedensabkommen 1992 mit dem Einsatz der Militärpolizei, einer Truppe, die rechtlich nicht für die Kontrolle der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zuständig ist, denn das ist eigentlich ausschließlich der Nationalen Zivilpolizei vorbehalten. Bukele hat damit unterstrichen, dass er bereit ist, die Repression immer weiter zu verstärken, dass er keine Kritik mehr zulässt. Das geht über alles hinaus, was vorher gemacht wurde.

Im Parlament verfügt Bukeles Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) seit 2024 über 54 der 60 Sitze. Die Abgeordneten nicken alle Gesetzesentwürfe ab, der Oberste Gerichtshof folgt dem Präsidenten, ohne ihn zu kontrollieren. Ist die Demokratie in El Salvador gestorben?

Die Demokratie in El Salvador starb schon am 9. Februar 2020, als schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten das Parlament besetzten. Sie begleiteten den Präsidenten, der versuchte, von den Abgeordneten der Opposition eine Zustimmung für weitere Kredite zum Ausbau des Sicherheitsapparats zu erzwingen. Dahinter stand eine Strategie: Es ging im Grunde nicht darum, die Abgeordneten der anderen Parteien direkt anzugreifen, sondern sein politisches Projekt bei den nächsten Wahlen im Jahr 2021 zu konsolidieren. Die bescherten seiner Partei eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Mit dieser Macht setzten sie die Richter des Verfassungsgerichts ab, die sich in der Vergangenheit gegen Bukele gestellt hatten. Sie besetzten den Obersten Gerichtshof neu und sie haben den Oberstaatsanwalt entlassen, der wegen mutmaßlicher Korruption in der Regierung ermittelt hatte. Schließlich legitimierten sie Bukeles Kandidatur für eine neue Amtszeit als Präsident im Jahr 2024, obwohl es sechs grundlegende Artikel in der Verfassung gibt, die eine Wiederwahl verbieten. Wir sehen nun den Verfall der Demokratie, vor dem wir gewarnt haben.

El Salvador ist auf dem Weg in eine Diktatur, und die Zustimmung für Bukele ist trotzdem weiterhin hoch. Wie lässt sich das erklären?

Meines Erachtens ist El Salvador bereits eine Diktatur, wir sind also nicht mehr auf dem Weg dahin. Wenn ein Präsident nach Belieben gegen alle demokratischen Normen verstößt und es schafft, an der Macht zu bleiben, egal was passiert, dann ist das eine Diktatur. Die offensichtlich zuverlässigsten Umfragen stammen von der Zeitung »La Prensa Gráfica« und von der Universidad Centroamericana. Sie geben immer noch einen Wert von über 80 Prozent Zustimmung für Bukele an. Anfangs lag der Wert sogar bei 97 Prozent. Was man anerkennen muss, ist, dass Bukele es geschafft hat, die Banden zu zerschlagen, die El Salvador in den vergangenen 30 Jahren unterdrückt hatten. Aber dieser Rückgang der Kriminalität und Gewalt beruht auch auf Hinterzimmer-Absprachen und dunklen Geschäften, die wir offengelegt haben. Es sind Absprachen, bei denen wirtschaftliche Vorteile gegen Wahlgewinne ausgetauscht werden, was wir anprangern.

Das zentrale Argument für Bukele ist die Sicherheit?

Selbstverständlich ist Sicherheit ein fundamentales Thema für die Gesellschaft in El Salvador, daran mangelt es seit Jahren. Deshalb hat sich die Gesellschaft daran gewöhnt, eine repressive Regierung zu haben, die es ihr theoretisch erlaubt, in Frieden zu leben. Die Fokussierung Bukeles auf das Hauptproblem des Landes hat ihm eine große Zustimmung verschafft. Deshalb äußern sich auch nur wenige über Menschenrechtsverletzungen, die Vertreibung von Journalisten oder offene Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger. Das lässt ihn sicher und entspannt regieren. Der Fokus auf die Sicherheitspolitik hat es Bukele auch ermöglicht, grundlegende Bedürfnisse wie Investitionen in Bildung und Gesundheit zu vernachlässigen. Hinzu kommt, dass viele Menschen nicht wissen, wie demokratische Normen funktionieren, eine Gewaltenteilung zum Beispiel, die für ein demokratisches Gleichgewicht sorgt. Bukele wird seine Machtfülle nicht freiwillig abgeben. Vielmehr wird er alles aus dem Weg räumen, was seinen Machterhalt gefährden könnte.

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