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Im Fußball liegt Musike drin

Von Schlager bis Punk: Gunnar Leue hat ein Buch über die Geschichte der Hymnen des Rasens geschrieben, bei dem kein Fanauge trocken bleibt

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Musik spielt in den Stadien der Welt eine große Rolle, wie bei den Fans des FC Liverpool und ihrer Hymne »You'll Never Walk Alone«.
Musik spielt in den Stadien der Welt eine große Rolle, wie bei den Fans des FC Liverpool und ihrer Hymne »You'll Never Walk Alone«.

Wohl jeder Fußballfreund und jede Fußballfreundin dürften in ihrem Fandasein hin und wieder aus voller Kehle trällern, wenn im Stadion Fußballgesänge im Chor erklingen. Mal wird die Mannschaft gefeiert, mal werden Niederlagen beklagt, Gegner verhöhnt oder bestimmte heroische Eigenarten der lokalen Fankultur inbrünstig besungen. Musik gehört zum Fußball wie das Fladenbrot zum Döner. Das haben zu allen Zeiten auch Musikanten wahrgenommen und entsprechendes Liedgut entwickelt. Um die eigene Fanseele zum Klingen zu bringen oder den Geldbeutel zum Klingeln. Als Anfeuerungsritual, als Labsal. Fußballirre Popstars, ganze Nationalmannschaften und Vereinsmeierinnen jeder Couleur, beim Singen kennt niemand Gnade und tiriliert oft und gern bis zum Abwinken.

Jede Art von musikalischer Subkultur wird sofort in die Stadien getragen und von jungen Fans in vereinsnahes Liedgut umgesetzt. Schlager, Punk, Hip-Hop, Pop, kein Genre ist vor sangeswütigen Fans sicher, um nicht geplündert, verballhornt oder umgewidmet zu werden. Gunnar Leue schreibt seit vielen Jahren für diverse Zeitungen und Magazine über Musik, Fußball und verwandte kulturgeschichtliche Themen. Der Spirit des Fußballs liegt ihm in den Knochen. »Fußball und Musik beschäftigen mich journalistisch seit vielen Jahren. Ich schreibe im 1.-FC-Union-Berlin-Programmheft regelmäßig darüber, unter dem Motto: Der Sound des Fußballs.«

Hunderte Fußballschallplatten aus aller Welt stapeln sich in seinem trauten Heim in Berlin. Es sind zumeist Singles, die Leue bei seinen Fischzügen auf Trödelmärkten, Sammlerbörsen und auf diversen Plattformen im Internet erbeutet hat. »England, Kuwait, Chile, Nigeria, Argentinien, Südafrika, um nur einige Länder zu nennen. Meine erste Fußballschallplatte war ein Flohmarktfang.« Leues Buch unter dem programmatischen Titel: »You’ll Never Sing Alone: Wie Musik in den Fußball kam«, vereinigt Sportgeschichte mit amüsanten Anekdoten. In einer Timeline von sieben Kapiteln beleuchtet er die Fußballmusik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart und erschafft eine nerdige Fleißarbeit, die kein Fanauge trocken lässt. Wunder über Wunder packt Leue auf den Gabentisch. So jodelte bereits 1880 ein gewisser J. C. M’Donald sein »The Dooley Fitba’ Club« ins Publikum. In Glasgow hält man seitdem das Lied für den Urtitel aller Fußballsongs. Doch bereits in Norwich regt sich Widerstand, »On the Ball, City« sei der einzig wahre erste Fußballsong, und nicht diese Glasgower Gaunerei, die zudem aus der Feder eines eingewanderten Iren stammt. So wahnsinnig der Fußball, so irre die Welt der Fußballlieder.

Harold Adrian Walden war der erste singende Fußballer, ein Brite mit indischen Vorfahren. Nach Deutschland schwappte die Fußballliedwelle in den Goldenen Zwanzigern aus England rüber und breitete sich gleichzeitig in aller Welt aus. Fußball begeistert die Massen, mit Fußball lässt sich vortrefflich Geld machen, wenn man die richtigen Schalter umlegt und die Musik sofort in den Bauch geht. Leue sagt: »Mein Lieblingslied stammt von Hans Pirkner. Das ist ein österreichischer Fußballer aus den 80er Jahren, der auch mal bei Schalke 04 gespielt hat. Er hat im schönen Wienerlied-Stil eine Single herausgebracht, mit den Titeln «Ein Fußballer ist auch ein Mensch» und «Tuat’s net schimpfn über mi …».

Ein echtes Schmankerl ist die feinnervige Gestaltung des 254-Seiten-Schmökers. Eine Vielzahl an wunderschönen Covern, die von supergut bis abgrundtief peinlich alle Facetten der Coverkunst abbilden, machen das Buch zu einem kleinen Bilderfeuerwerk. Leue hat zudem ein paar sehr prägnante Fotos untergebracht, nebst Interviewschnipseln, in denen er Fachkräfte aus der Fußballwelt in knappen Einlassungen zu Wort kommen lässt. Doch er stellt auch die Frage nach dem Kern der Fußballkultur: Sind Stadien bedeutende Orte, an denen sämtliche Milieus einer gespaltenen Gesellschaft zueinanderkommen und gemeinsam singend agieren? Oder doch nur weitere Arenen des Entertainments, in denen sich passive Konsumenten berieseln lassen? Die Antwort ist im knorken Buch nachzulesen, das ich Freunden der Musikgeschichte, wie sangesfreudigen Fanatikern wärmstens empfehlen kann. Aber welches Lied soll auf seiner Beerdigung gespielt werden? Leue: «Monty Pythons »Always Look On The Bright Side Of Life«, mit dem Cover, auf dem die strange Ulknudeltruppe als Tischkicker abgebildet sind.»

Gunnar Leue: You’ll Never Sing Alone. Wie Musik in den Fußball kam. Ventil-Verlag,‎ 256 S., geb., 28 €. Eine musikalische Lesung mit Gunnar Leue, moderiert von Andreas Ulrich (Radio Eins), findet am 27. September um 19.30 Uhr in der Manchester-Bar «Posh Teckel» in der Pflügerstraße 4 in Berlin-Neukölln statt. Eintritt: 5 €.

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