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Abriss oder Denkmal? Wieder lieb gewonnener Beton in Berlin
Erstmals öffnet das Internationale Kongress Zentrum (ICC) am Tag des offenen Denkmals seine Türen
»Jetzt hat auch Berlin (West) seinen Palast«, hieß es in der »Westfälischen Rundschau« 1979. Das Internationale Congress Centrum (ICC) lud zur Eröffnung. Da stand es also: Das an ein Raumschiff erinnernde, damals größte Kongresszentrum der Welt. Es war bis dahin mit fast einer Milliarde D-Mark das teuerste Bauwerk Nachkriegsdeutschlands. Zugleich war es die Antwort West-Berlins auf den drei Jahre zuvor im Ostteil der Stadt eröffneten Palast der Republik. 2014 schloss das ICC dann schon wieder – bei Prestigebauten liegen Hybris und Verfall am Ende oft nah beieinander.
Zum Tag des offenen Denkmals, am 9. und 10. September, öffnet das ICC dieses Jahr erstmals auch seine Türen. 200 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche misst das Areal – das sind 28 Fußballfelder. Es ist 313 Meter lang, 89 Meter breit und hat 80 Räume. Der größte Saal, entworfen nach dem Vorbild des Moskauer Kreml, bietet 5000 Menschen Platz. Man kann ihn aber auch mit dem benachbarten Saal um 2000 Plätze auf ein Amphitheater erweitern.
Das Architektenpaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte entwarf das Gebäude mit seiner Aluminiumfassade im Stil der damals angesagten Hightech-Architektur. Prägend dafür war das Experimentieren mit neuen Baustoffen, wie beim ICC mit Neoprenlagern, sowie der Fokus auf möglichst viel Technik.
Diskussionen, ob der Bau überdimensioniert ist, gab es von Beginn an. Wirklich nutzbar von der gesamten Fläche waren auch nur 15 Prozent. In seiner Eröffnungsrede für das Kongresszentrum machte der damalige Bundespräsident Walter Scheel darauf aufmerksam, dass hinter dem ICC »der gute alte Funkturm wie eine mittlere Hausantenne erscheint«.
Zukunft ungewiss
Scheel wagte 1979 eine kühne Prognose: »Beton ist extrem haltbar, und so hat dieses Kongresszentrum gute Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheops-Pyramide möglicherweise schon verwittert ist.« Die Berliner hätten also »genügend Zeit«, sich mit dem kolossalen Bau anzufreunden. Tatsächlich zählte das ICC bis 2014 mehr als elf Millionen Besucher.
Doch unter dem ICC moderte es dahin. Im Keller ist die gesamte Technik inklusive zwei Turbinen untergebracht. Diese müssen ausgetauscht werden, wozu aber die Betondecke aufgerissen werden müsste. Außerdem wurde bereits 2010 Asbest festgestellt. Es nützte nichts: 2014 wurde das ICC stillgelegt. Ohnehin eröffnete in der Nachbarschaft mit dem City Cube eine neue Messehalle. Der damalige scheidende Messechef sprach sich gegen einen Abriss und für eine alternative Nutzung des ICC aus, für die man einen Investor brauche. Das Kongresszentrum sei zwar ein erhaltenswertes Unikat, aber eins, »das heute nicht mal mehr ein Scheich bauen würde«.
Die Auseinandersetzung mit der Frage, was mit dem ICC passieren soll, hält an. Bisher gab es nur Zwischennutzungen für das Raumschiff an der A100. Einmal wurde es als Notunterkunft für Geflüchtete genutzt, das andere Mal als Corona-Impfzentrum. Der Abriss ist vom Tisch. Seit 2019 steht das ICC unter Denkmalschutz.
Im Haushalt ist vorgesehen, die offene Frage zu klären: Nach der Sommerpause soll Geld für ein 2024 beginnendes Konzeptverfahren bereitgestellt werden, das die künftige Nutzung des Gebäudes auslotet. Viele hoffen, dass aus dem ICC ein Kulturort ähnlich dem Centre Pompidou in Paris wird. Mit dem Kunstfestival »The Sun Machine Is Coming Down« wurde der Kongress-Maschine 2021 bereits Leben eingehaucht.
Doch für eine dauerhafte Nutzung braucht es weiterhin eine umfangreiche Sanierung. Es wurde bereits von über einer halben Milliarde Euro ausgegangen. Gleichzeitig kostet auch der Betrieb des stillgelegten Kongresszentrums seit 2014 jährlich zwei Millionen Euro.
Das ICC ist nicht das einzige ikonische Gebäude aus der Feder der bereits verstorbenen Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, das brachliegt. Auch das »Bierpinsel« genannte Turmrestaurant in Steglitz steht seit 2006 an der Schloßstraße, aber leer. Der 1976 eröffnete futuristische Bau diente anfangs der Gastronomie. Seinen Namen trägt er, weil der Bau an einen Rasierpinsel erinnert – und wegen des ausgeschenkten Getränks.
Auf Dauer blieb aber bereits in seinem ersten Leben kein Restaurantbetreiber. Als in den 2000ern schon ein großer Instandsetzungsbedarf erkennbar war, zog kurze Zeit noch ein Club ein. Danach kam erst einmal nichts mehr. Der Versuch der privaten Eigentümerfirma, den Bierpinsel zu verkaufen, scheiterte zunächst. Nach einem Verkauf 2021 sollen dann irgendwann Co-Working-Spaces im Turm entstehen.
Der Bierpinsel steht seit 2017 unter Denkmalschutz. Er ist eine Ikone des Baustils der 70er Jahre. Viele Gebäude aus dieser Zeit sind bereits den Abrissbaggern zum Opfer gefallen. Auch weiterhin werden Zeitzeugen des brutalistischen Bauens abgerissen. Erst Anfang des Jahres rückten die Bagger in der Rathenower Straße an. Ein Ensemble, in dem früher das Jugendzentrum Moabit untergebracht war, weicht trotz Protesten einem Neubau.
Die Internetseite #SOSBrutalism macht analog zu Listen gefährdeter Tierarten auf vom Abriss bedrohte Zeitzeugnisse aufmerksam. Und in den vergangenen Jahren hat sich einiges verändert. Die von manchen als »unschön« angesehenen Gebäude gelten vielen mittlerweile wieder als ein Hingucker, zumindest aber als schützenswert. Die Ausstellung »Suddenly Wonderful« in der Berlinischen Galerie, die Popkultur und Brutalismus zusammenbringen will, ist Ausdruck dieser wiedergewonnenen Liebe zu den Geschichtszeugnissen der Betonbauten.
Erfolg hatten die Architekturschützer beim sogenannten Mäusebunker, dem bekanntesten brutalistischen Bauwerk Berlins, das auch international geliebt wird. Als Versuchslabor in den 70ern neben dem Charité-Campus in Lichterfelde gebaut, diente es noch bis 2020 für Experimente und der Aufzucht von Versuchstieren – daher rührt der Name. Auch hier veranlassten der Ausblick auf Havarien und die Asbestbelastung des Gebäudes die Charité 2015 dazu, mit einem alternativen Neubau zu beginnen. Als dieser dann fertig war, wurde der pyramidenförmige Mäusebunker, von dem man von außen vor allem Sichtbeton und die aus der Fassade heraustretenden Belüftungsrohre sieht, stillgelegt.
Als die Pläne der Charité bekannt wurden, hatte längst eine Abrissdebatte eingesetzt. Petitionen und offene Briefe wurden verfasst. Auch der Galerist Johann König wollte den Mäusebunker kaufen und zu einem Kulturzentrum umbauen.
Von den Abrissplänen wurde schließlich Abstand genommen und ein Modellverfahren gestartet, an dessen Ende der Mäusebunker nun unter Denkmalschutz gestellt wurde. Eine Nachnutzung muss damit umgehen, dass die Innenräume sehr klein sind und nur wenig Licht in den Bunker dringt. Man stehe mit der Umnutzung und dem Schutz des ehemaligen Tierversuchslabors sowohl technisch als auch finanziell vor großen Herausforderungen, sagt Landeskonservator Christoph Rauhaut. »Der Mäusebunker steht beispielhaft für einen Gebäudebestand aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der hoch technisiert und für sehr spezifische Funktionen gebaut wurde.«
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