Berliner Bibliotheken: Rechter Kulturkampf im Lesesaal

Immer mehr Bibliotheken werden zur Zielscheibe rechtsextremer Angriffe. Eine neue Broschüre soll im Umgang damit helfen

Als die zerstörten Bücher auftauchten, wusste Boryano Rickum: So geht es nicht weiter. »Das war eine andere Nummer als alles, was davor passiert war«, erzählt der Leiter der Bezirksbibliothek Tempelhof-Schöneberg am Montag bei einer Pressekonferenz der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Die Beratungsstelle präsentiert eine neue Broschüre, die Bibliotheken im Umgang mit rechtsextremen und rassistischen Angriffen schulen soll. »Alles nur leere Worte« heißt die Publikation, die zwei vorhergehenden Aufklärungsschriften zum rechten Kulturkampf in Theatern und an Gedenkorten folgt.

Rickum hat damit Erfahrung: Seit seiner Leitungsübernahme 2017 fand sein Team regelmäßig rechte Schmierereien in den WCs der Bibliothek, auch wurden rechte Broschüren ohne Autorisierung ausgelegt. »Wir haben uns um die Beseitung gekümmert und Anzeige erstattet«, erinnert sich Rickum. Aber 2021 zerstörten Unbekannte erstmals Bücher aus dem Bibliotheksbestand, die sich kritisch mit Rechtsextremismus auseinandersetzten oder sich mit dem Leben historischer linker Figuren wie Clara Zetkin befassten.

Rickum ging an die Öffentlichkeit. Doch nicht nur das: Er initiierte die Veranstaltungsreihe »Starke Seiten«, die es den Autor*innen der Publikationen ermöglicht, mit der Nachbarschaft in Kontakt und Austausch zu treten. »So passiert genau das Gegenteil von dem, was die Bücherzerstörung intendiert: Wir befassen uns mit den Themen.«

Der Kulturkampf von rechts hat schon längst die Bibliotheken erreicht. Die Projektleiterin von MBR, Bianca Klose, erklärt die Strategie dahinter: Um »kulturelle Hegemonie« zu erlangen, versuchten rechte Verlage gezielt, ihre Publikationen in öffentlichen Bibliotheken unterzubringen. Zugleich behaupteten rechte Akteur*innen, für Bibliotheken gelte ein »Neutralitätsgebot«, und griffen damit progressive Haltungen an. »Aber Neutralität ist nicht mit Werteneutralität zu verwechseln«, stellt Klose klar. Bibliotheken hätten eine demokratische Funktion. Und um sich derart zu positionieren, müssten Mitarbeitende den rechten Kulturkampf verstehen.

Bei antifaschistischen oder queeren Veranstaltungen müssten Bibliotheken mittlerweile mit Störungen und diffamierenden Kampagnen rechnen. Klose bezieht sich etwa auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus im Jahr 2021, die gegen die Kinder- und Jugendbuchausstellung »Der rote Elefant« als »linksextreme Ideologisierung« hetzte. »Das dient der Einschüchterung«, sagt Klose. Die Broschüre soll den Bibliotheken helfen, sich präventiv auf Angriffe vorzubereiten.

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) freut sich am Montag über die neue Broschüre: »Wir wollen diese Orte als Orte der Toleranz schützen.« Deshalb gelte es, Bibliotheken wehrhaft zu machen.

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