Olympische Spiele in Berlin: Eine Frage der Ideologie

Das Abgeordnetenhaus diskutiert die Berliner Olympia-Bewerbung

Die Olympischen Ringe am Berliner Olympiastadion
Die Olympischen Ringe am Berliner Olympiastadion

Olympische Spiele an der Spree. Eine Chance für die Hauptstadt und ihre Bewohner*innen oder ein aus der Zeit gefallener Gigantismus? Eine Frage, die der Berliner Senat mit seiner Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2036, 2040 oder 2044 bereits eindeutig beantwortet hat. Die Berliner*innen sind diesbezüglich gespalten. Laut einer Umfrage finden 46 Prozent die Bewerbung um eine Austragung der Olympischen Spiele 2036, 2040 oder 2044 eher gut, 43 Prozent finden das eher schlecht.

Auch im Berliner Abgeordnetenhaus diskutiert man die Bedeutung, mögliche Auswirkungen sowie Chancen und Risiken ähnlich polarisiert. Im Sportausschuss stellte der Senat sein beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eingereichtes »Grobkonzept« zum ersten Mal ausführlich vor. Dabei präsentierte er mögliche Spiele unter dem Motto »Berlin+ A Celebration of Unity« als Allzweckwaffe. Sie sehe vor allem das Potenzial, erklärte Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD), für den Sport, für Inklusion, für Stadtentwicklung und für Nachhaltigkeit. »Ich möchte meine Begeisterung zum Ausdruck bringen: Ich brenne dafür, der Bürgermeister, der Senat brennen dafür. Wir sind Bundeshauptstadt. Wir sind Sportmetropole«, sagte die Senatorin.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Berlin bewirbt sich gemeinsam mit den Ländern Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen beim DOSB um eine Entsendung in das Wettbewerbsverfahren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Noch ist nicht bekannt, für welches Jahr der DOSB Olympische Spiele in Deutschland anstrebt. Auch wenn sich Berlin in einem Länderverbund bewirbt, so wäre bei einem Zuschlag die Hauptstadt der zentrale Austragungsort.

Die bisherige Planung bestimmt bereits, an welchen Standorten welche Wettbewerbe stattfinden sollen. Der Senat hebt hervor, dass 90 Prozent der Sportstätten hierfür bereits vorhanden seien und dass die ganze Stadt und alle Bezirke in die Spiele einbezogen würden. Im Olympiastadion sollen die Leitathletik-Wettkämpfe stattfinden, der ehemalige Flughafen Tempelhof soll als Urban Sportshub inszeniert werden: mit 3x3 Basketball, Skateboarden und Bouldern. Für einzelne Highlights wie Beachvolleyball ist das Brandenburger Tor vorgesehen. Der Europasportpark soll die Schwimmwettbewerbe, die Uber-Arena (Rollstuhl-)Basketball, die Max-Schmeling-Halle Volleyball und der Mellowpark BMX-Racing unterbringen. Auf die anderen Bundesländer werden nur wenige Wettbewerbe verteilt, in Leipzig soll beispielsweise Fußball gespielt werden.

Um die Stadt fit für die Olympischen Spiele zu machen, will der Senat auf eine isolierte Planung verzichten und »in bestehende Strategien eingreifen«. Das sagte Gabriele Freytag, Ableilungsleiterin Sport in der Senatsinnenverwaltung. So soll ein neu entstehendes Wohnquartier am sogenannten Stadteingang West nahe dem Messegelände zuvor als Olympisches Dorf für 16 000 Athlet*innen fungieren. Danach will die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge hier 2500 Wohneinheiten vermieten. Allerdings war ein Fertigstellungstermin bisher »nicht vor 2045 zu erwarten« gewesen. Für eine Nutzung vor Ende der 2030er Jahre müsse das Planungs- und Bauverfahren beschleunigt werden, antwortete der Senat auf eine Anfrage des Abgeordneten Julian Schwarze (Grüne), von der die »Taz« berichtete.

»Natürlich stellt sich die Frage, warum wir uns gerade jetzt für Olympische Spiele bewerben«, sagte Senatsmitarbeiterin Freytag. »Das ist aber genau der Punkt, dass wir in einer gesellschaftlichen Situation des Auseinanderdriftens und der Polarisierungen etwas brauchen, das die Menschen wieder zusammenführt.«

Kritiker*innen führen hingegen an, dass insbesondere aufgrund der Haushaltskürzungen bei gleichzeitigem Sanierungsstau bei der Sportinfrastruktur Ausgaben für ein singuläres Großprojekt das falsche Investment seien. Die Linksfraktion etwa will mit einem Antrag an das Abgeordnetenhaus den Senat zum unverzüglichen Stopp des Bewerbungsverfahrens veranlassen. Die bisher hierfür freigegebenen Gelder sollten besser für den Breitensport ausgegeben werden.

Darüber hinaus haben sich die Linken mit Organisationen wie Grünen, Jusos und Naturschutzbund zum Bündnis Nolympia zusammengeschlossen. Das Bündnis will die Olympiapläne des Senats mit einem Volksbegehren stoppen. In Hamburg ist ein Volksentscheid zur Olympia-Bewerbung gesetzlich vorgeschrieben, München will seine Bewerbung freiwillig mit einer Volksbefragung absichern.

»Was sehen wir in der Realität: insgesamt keine positiven Effekte auf die Wertschöpfung und die Beschäftigung.«

Oliver Holtemüller Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle

Zu den Befürwortern einer Olympiaausrichtung gehören der Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband und der Landessportbund Berlin (LSB). Sportbundpräsident Thomas Härtel beziffert den Investitionsstau für Berliner Sportstätten auf 1,2 Milliarden Euro. »An alle, die sich für eine Sanierung einsetzen: Zeigt mir auf, wie das gelingen kann«, sagte Härtel am Freitag. »Alleine aus dem Berliner Haushalt schaffen wir das angesichts der Notlage nicht.« Deshalb bräuchte es Partner aus der Wirtschaft und aus dem Bund. Da diese die notwendigen Gelder nur über ein Großevent wie die Olympischen Spiele für die gewünschten Zwecke zuleiten würden, unterstütze der LSB die Bewerbung.

Im vergangenen Jahr hatte die Finanzverwaltung die Kosten für die Ausrichtung von Olympischen Spielen in Berlin auf 16 Milliarden Euro geschätzt. Wie sich diese Ausgaben am Ende und langfristig in der Bilanz darstellen, lässt sich kaum vorhersagen. Allerdings sei die Datenlage für vergangene Events recht eindeutig, erklärt Oliver Holtemüller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Es gebe zwar die Ausnahmen der Spiele 1992 in Barcelona und 2002 in Salt Lake City. Aber: »Was sehen wir in der Realität? Insgesamt keine positiven Effekte auf die Wertschöpfung und die Beschäftigung.« Die Kosten würden häufig auch deswegen unterschätzt, weil Beteiligte gerne positive Entscheidungen herbeiführen wollen.

Zustimmung erhält Holtemüller von dem Investigativjournalisten Jens Weinreich, der sich seit Jahren mit dem System der Olympischen Spiele und mit dem IOC beschäftigt. Auch er wird am Freitag vom Ausschuss angehört. Weinreich sagt, die Olympia-Bewerbung sei eine ideologische Bewerbung, »verordnet von oben nach unten« und »eine Mischung aus Naivität und Irreführung der Steuerzahler durch Intransparenz«. Tatsächlich will die Senatsverwaltung das ausformulierte Grob-Konzept nicht veröffentlichen. Sie verweist auf den laufenden Wettbewerb. Weinreich sagt weiter, dass es quasi keine festen Parameter zur Berechnung der Kosten gebe. In der Regel entstünden am Ende durch die Ausrichter schöngefärbte Bilanzen. Weinreich betrachtet die Olympischen Spiele als ein »Geldbeschaffungsprogramm« für den DOSB.

Der Journalist weist zudem auf eine Person aus dem DOSB-Vorstand hin, die in Deutschland die Olympiabewerbungen verantworte und ebenfalls Mitglied im IOC sei. Diese Person sei Inhaber und Geschäftsführer von Unternehmen im Umfeld des Reitstandorts in Aachen. Aachen ist im Berliner Olympia-Konzept Austragungsort für die Reitdisziplin. Die Person dahinter sei »Schiedsrichter, Lobbyist und Beteiligter in einer Person«.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.