300 Liter Erbsensuppe

Museyroom (Teil 8): Das Museum Eisenheim in Oberhausen erinnert an die älteste Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf dem Boden des Museums ist die Möblierung einer Arbeiterwohnung nachgezeichnet.
Auf dem Boden des Museums ist die Möblierung einer Arbeiterwohnung nachgezeichnet.

In der St.-Antony-Hütte im Ruhrgebietsort Osterfeld floss 1758 erstmals Roheisen aus einem Hochofen. Rund 80 Jahre später erlebte die Eisen- und Stahlproduktion einen sprunghaften Aufschwung. Die Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen gründete ab 1846 für ihre Belegschaft auf einem isoliert gelegenen, sumpfigen Weide- und Ackerland die Siedlung Eisenheim – die erste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Trotz einer Straßenbahnlinie (1897) und des Ausbaus des Straßennetzes (schon vor 1910 sogar mit Fahrradwegen) blieb Eisenheim in einer Randlage. In den ersten Jahren zogen Arbeitskräfte aus dem Siegerland, dem Bergischen Land oder der Eifel nach Eisenheim. Um 1900 ließen sich viele Bergleute aus den preußischen Ostprovinzen, dem heutigen Polen, nieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Arbeitsmigranten aus Südeuropa und der Türkei.

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

Anfangs arbeiteten die meisten Bewohner auf der »Alten Walz« an der Emscher, rund 30 Minuten Fußweg entfernt. Mit dem Aufschwung des Hüttenwesens setzte Mitte der 1860er Jahre ein zweiter Bauabschnitt ein, und zwischen 1897 und 1903 wurde die Siedlung dann ein drittes Mal erweitert. Zu dieser Zeit machte der Bergbau die Anwerbung und Ansiedlung von neuen Arbeitern notwendig. Insgesamt entstanden in drei Bauphasen 51 Häuser, von denen 38 heute noch erhalten sind. Unterschiedliche Bautypen prägten die Siedlung, zuerst Doppelhäuser mit zwei Wohnungen, später dann eineinhalbgeschossige Häuser mit vier Wohnungen. Durchzogen wurde und wird die Siedlung von einem öffentlichen Wegenetz sowie Gärten und Ställen. Bereits 1911 wurde ein Werkskindergarten eröffnet.

Zur Zeit der Jahrhundertwende lebten etwa 1200 Menschen in Eisenheim. Erst 1929 wurde Osterfeld von Oberhausen, das als Prototyp der Industrieagglomeration gilt, eingemeindet. Der Niedergang der Siedlung begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als die zerstörten Häuser nur halbherzig wieder aufgebaut wurden. Bereits 1920 waren während des Ruhraufstands Granaten in der Siedlung eingeschlagen. Ende der 1950er Jahre beschloss die neue Besitzerin, die Hüttenwerke Oberhausen AG, die gesamte Siedlung abzureißen. Dieses Vorhaben verzögerte sich über beinahe zwei Jahrzehnte und traf letztlich auf den erbitterten Widerstand der Bewohner, die dabei von einer Projektgruppe der Fachhochschule Bielefeld unter der Leitung von Roland Günter unterstützt wurden. Günter hatte bereits als Mitarbeiter des Landeskonservators auf die Bedeutung von Eisenheim hingewiesen. Die mit den Einwohnern von Eisenheim ins Leben gerufene Arbeiterinitiative und ein 1974 etablierter Quartierrat setzten durch, dass die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wurde. Damit wurde Eisenheim zum Symbol für einen jahrelangen Kampf einer Bewohnerinitiative um den Erhalt ihrer Siedlung. Wim Wenders drehte für seinen Film »Alice in den Städten« von 1974 unter anderem in Eisenheim.

Bis Anfang der 1980er Jahre erfolgte unter tatkräftiger Mithilfe der Bewohner die Modernisierung der Häuser. Heute ist Eisenheim ein Wohnquartier mit gemischter Nachbarschaft. Hüttenarbeiter und Bergleute sind wie überall im Ruhrgebiet von heute eine sehr rare Spezies.

Als letztes der drei 1952 gebauten Waschhäuser wurde das 1968 außer Betrieb genommene Waschhaus am Hofweg zwischen den Häusern Berliner Straße Nr. 10 und Nr. 12 durch die Bewohner Eisenheims Ende der 1970er Jahre zu einem kleinen »Museum für Arbeiterwohnen« umgebaut. Das Museum wurde 1990 in das Rheinische Industriemuseum eingegliedert und erhielt eine neu konzipierte Ausstellung: »Eisenheim. Gründung und Ausbau, Niedergang und Neubeginn der ältesten Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet«. Heute besteht das Museum Eisenheim aus dem Waschhaus, für das die Konzeption von 1990 leicht modifiziert beibehalten wurde, und einer gegenüber gelegenen Wohnhaushälfte, in der die beengten Wohnverhältnisse für die oft kinderreichen Familien veranschaulicht werden. Je nach Haustyp standen lediglich 40 bis 55 Quadratmeter zur Verfügung. Die Schlafkammern lagen unter dem Dach und hatten schräge Wände. In der Regel waren sie 12 Quadratmeter groß. Darin standen so viele Betten wie möglich. Meist waren es größere Betten, in denen mehrere Personen nebeneinander schliefen. Wohnungsnot und niedrige Löhne verstärkten die Enge. Vor allem das Kost- und Quartiergängerwesen breitete sich stark aus. Trotz des strengen Verbots wurden in Eisenheim 1898 bis zu acht Kostgänger in einem Haus festgestellt.

Im Museum Eisenheim werden die ökonomischen Verhältnisse der Arbeitersiedlung näher beleuchtet: »Neben der Arbeit mussten wir noch unseren Garten bestellen, damit wir überhaupt auskamen. Der Lohn reichte doch nie.« Bis zu 400 Quadratmeter groß und umgeben von niedrigen Hecken durchzogen Gärten die Siedlung. Angebaut wurden Kartoffeln, Obst und vor allem Kohl, der zu Sauerkraut verarbeitet, und Gurken, die eingemacht wurden. Jeder Bergmann hatte Schweine, weil er bei der Maloche fett essen musste. Der Schlachter ging in der ganzen Kolonie herum. Fotos aus den 1970er Jahren zeigen die Schweinehaltung, das Schlachten und die Wurstherstellung. Ein Rezept für 300 Liter Erbsensuppe aus 90 Pfund Erbsen, 50 Pfund Kartoffeln, zehn Stangen Porree plus Fleisch liegt zum Mitnehmen im Museum aus: »Zunächst haben wir zwei Schweine geschlachtet. Dann wurde Wurst gemacht und Fleisch fürs Mett und fürs Eisbein weggelegt. Ein Teil des Fleisches wurde einen Tag vorher für die Erbsensuppe vorgekocht.«

War die Lohnarbeit vorbei, hielt der Alltag in der Siedlung weitere Aufgaben und Pflichten bereit, vor allem für die Frauen. Sie kümmerten sich um den Haushalt und die Kinder, häufig auch um die Pflege des Gartens. Anstrengend waren die Waschtage, die bis weit in die 1950er Jahre manuell zu bewältigen waren: »Schlechtes Wetter war schlecht … Da hamm sie die Wäsche sogar inne Küche aufgehangen.« Weitere Fotos zeigen, dass sich das Leben bei gutem Wetter vor den Häusern abspielte. Die Bank vor dem Haus war und ist wichtiger Treffpunkt für die ungezwungene Konversation: »Wenn jemand hier durchkam, ist er stehen geblieben. Alle saßen vor der Tür.«

Die Exponate und Texte im Museum erfahren ihre Erweiterung durch die Informationstafeln, die im Rahmen des Projektes »Sprechende Straßen – erklärte Baudenkmäler« an den Siedlungshäusern angebracht sind. Eine dieser Tafeln gilt der »initiativen Frau« Ulrike Schmitz, die sich einst im Quartierrat engagierte: »Sie war es auch, die samstags immer dabei war, um andere Siedlungsinitiativen im Ruhrgebiet, die ebenfalls vom Abriß bedroht waren, aufzusuchen und zu unterstützen. ›Für mich war diese Zeit sehr wichtig. Ich kam raus. Dadurch habe ich gelernt, mich durchzusetzen. Ich bin freier geworden. Selbstbewusster. (…) Die Bürgerinitiative hat mein Leben verändert. Ich kann mich durchsetzen.‹«

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