Denunziation und Diffamierung

Gerhard Oberkofler entlarvt die feindselige Haltung von Österreichs Spitzendiplomaten gegenüber Chile unter Salvador Allende

Santiago de Chile, 1972: Das Volk jubelt seinem Präsidenten Salvador Allende zu.
Santiago de Chile, 1972: Das Volk jubelt seinem Präsidenten Salvador Allende zu.

In den Salpeterwüsten, in den unterseeischen Kohlebergwerken, auf den schrecklichen Höhen, wo das Kupfer liegt, das die Hände meines Volkes in unmenschlicher Arbeit fördern, entstand eine Befreiungsbewegung von grandiosem Ausmaß», schrieb Pablo Neruda dereinst. Der österreichische Historiker und ehemalige Leiter des Innsbrucker Universitätsarchivs Gerhard Oberkofler zitiert eingangs seiner Studie diese Hommage des chilenischen Dichters auf die Unidad Popular (UP), ein Wahlbündnis linker Parteien und Gruppierungen, deren sozialistischer Präsidentschaftskandidat Salvador Guillemo Allende Gossens die Parlamentswahlen am 4. September 1970 mit 36,3 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Am 3. November zog Allende in die Moneda, den Präsidentenpalast ein, und begann sogleich mit Enthusiasmus, Elan und Energie das Programm der Volksfront zu erfüllen, Chile im Sinne von «demokratischem Pluralismus, Freiheit und Gleichheit» umzugestalten.

Tatsächlich fand ein großer Aufbruch landauf, landab statt, der auf ganz Lateinamerika ausstrahlte und in Washington sofort verketzert und verdammt wurde – weil dieser, wie Henry Kissinger in seinen Memoiren festhielt, «gegen die fundamentalen nationalen Interessen der Vereinigten Staaten» verstoßen habe. Das Sakrileg der Regierung der Unidad Popular in Santiago de Chile bestand in der Verstaatlichung der Banken und Kohlegruben, der Nationalisierung ausländischer Unternehmen in Schlüsselindustrien und der Enteignung der großen Latifundien im Zuge einer Bodenreform. Zugleich wurden ein ambitioniertes Bildungsprogramm für Kinder aus ärmeren Schichten und soziale Umverteilung in Angriff genommen.

Die UP konnte sich in den ersten Monaten durchaus der Zustimmung der Mittelschichten sicher sein, die jedoch im Zuge der stärker werdenden Hetze und Sabotage in- und ausländischer reaktionärer Kräfte sukzessive schwand. Ein Streik von Fuhrunternehmern im Oktober 1972 legte Verkehr und Versorgung lahm. Dennoch konnte die UP bei den Parlamentswahlen im März 1973 einen Zugewinn verzeichnen, erhielt 43,4 Prozent der Stimmen. Woraufhin die Reaktion einen Streik des ingenieurtechnischen Personals der staatlichen Kupfermine El Teniente initiierte und die Bundesrepublik Deutschland einen zugesagten Kredit von 45 Millionen DM sperrte.

Am 11. September 1973 putschte das konservative Militär um Augusto Pinochet und ertränkte das Land in Blut. «Mehr als die Wut über den Verlust des chilenischen Kupfers und des Einflusses auf die chilenische Politik war es die Furcht der USA und ihrer Verbündeten, durch die Beispielwirkung ganz Lateinamerika – bisher als ›Hinterhof der USA‹ in der Weltpolitik bekannt – zu verlieren, die sie kein Mittel scheuen ließ, um das Rad der Geschichte in Chile doch noch einmal zurückzudrehen. Die faschistischen Generale Chiles besorgten ihnen das schmutzige Geschäft», lautet das Fazit Oberkoflers.

Nach dem historischen Überblick wendet sich der Autor seinem eigentlichen Thema zu: der Haltung der österreichischen Diplomatie gegenüber Chile unter Salvador Allende. Kanzler der Bundesrepublik Österreich war damals Bruno Kreisky von der SPÖ (und er sollte der dienstälteste Bundeskanzler werden, bis 1983 im Amt); zuvor hatte er das Amt des Außenministers bekleidet. Der neue Chefdiplomat unter seiner Regierung hieß Rudolf Kirchschläger (parteilos), 1967 bis 1970 Botschafter in Prag.

Österreichs Botschafter in Santiago de Chile war damals Adolf Heinrich Hobler, promovierter Jurist, der 1938 mit der «Heimholung» seiner Heimat ins Nazi-Reich keine Probleme hatte. «Den Mantel in den Wind hängend», trat er dem «Reichsbund der Deutschen Beamten» und dem «Nationalsozialistischen Rechtswahrbund» bei, diente im Krieg in der deutschen Wehrmacht und befehligte noch im Frühjahr 1945 ein letztes Aufgebot von 1200 Fahnenjunkern gegen die in Wien einrückende Rote Armee, wie auch sein späterer Chef, Kirchschläger.

Oberkofler präsentiert Berichte, die Hobler aus Chile an sein Ministerium nach Wien schickte. Angesichts seiner Vita überrascht deren Tonart nicht. Am 28. Februar 1973 schreibt er über Allende: «Vor allem hält sich der Staatschef selbst in vieler Hinsicht weder an die von ihm beschworene Verfassung noch an die Gesetze.» Über die Antrittsrede des wiedergewählten UP-Kandidaten vor dem Parlament am 21. Mai 1973 vermerkt Hobler: «Seine Rede war eine politische Brandrede gegen Imperialisten, Kapitalisten, multinationale Unternehmen, die alte Oberschicht, Ausbeuter ...»

Gemäß der alten politischen Spielregel, was nicht genehm ist, wird denunziert, wirft der Botschafter der Unidad Popular Wahlbetrug vor. Der KP Chiles seien «falsche Stimmen zugeteilt» worden, während man Gegnern Allendes diese gestohlen habe. Und wieder über den UP-Präsidenten: «Er lügt weiter ein ungeheures ihm bezeigtes Vertrauen vor.» Dass das Versprechen von Volksdemokratie, volksdemokratischer Wirtschaft und volksdemokratischer Schulpolitik Unterstützung im Volke fand, kommt Hobler nicht in den Sinn.

Selbst die freiwilligen Arbeitseinsätze («Trabajos voluntarios», im realsozialistischen Osteuropa Subbotnik genannt), um Arbeiter- und Bauernsiedlungen zu sanieren, Kanäle, Parks und Kinderspielplätze anzulegen, werden vom österreichischen Staatsdiener diskriminiert. Aus seiner Sicht wären hierzu «in erster Linie die großen arbeitsscheuen Massen Chiles zwangsmäßig heranzuziehen ... und nicht Leute, die eine volle Arbeitswoche hinter sich haben». Das lässt tief blicken, dem Diplomaten sind Zwangsarbeitslager einleuchtender als zivilgesellschaftliche oder sozialistische Eigeninitiative.

Der heimtückische Staatsstreich wird von Hobler bejubelt, während Allende der Anzettelung eines Bürgerkrieges bezichtigt und beschimpft wird, dass er wenige Minuten nach Beginn des Putsches «in unverantwortlicher Weise die Arbeiter aufgefordert hat, die Fabriken zu besetzten und zu verteidigen». Pinochet und Konsorten hätten «den Plan der UP, ein Gemetzel durchzuführen», vereitelt und «die Einführung einer marxistischen Diktatur in Chile» verhindert.

Zum Glück dachten nicht alle Österreicher wie dieser Diplomat. «Nach dem Putsch ist es in ganz Österreich zu einer sehr breiten Solidaritätsbewegung für die vor dem Militärregime flüchtenden Chilenen und zu Interventionen zugunsten der in den Gefangenenlagern zu Tausenden unter widrigsten Bedingungen inhaftierten Chilenen gekommen», erinnert sich Oberkofler. Und er informiert darüber, dass sich Kreisky, der aus einer jüdischen Familie stammte und vor den Nazis ins schwedische Exil hatte fliehen müssen, persönlich für Verfolgte einsetzte. Am 3. Oktober 1973 wandte er sich an Pinochet per Telegramm: «Den humanitären Traditionen folgend und ohne mich in die inneren Angelegenheiten Chiles einmischen zu wollen, bitte ich Sie, von einer Exekution Luis Corvaláns abzusehen und Gnade walten zu lassen.»

Das ist schon beachtenswert: Ein Sozialdemokrat setzt sich für einen Kommunisten ein. Corvalán war Generalsekretär der KP Chiles und wurde unmittelbar nach dem Putsch auf die berüchtigte KZ-Insel Dawson verschleppt. 1976 wurde er in Zürich gegen den sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski ausgetauscht, lebte in der Sowjetunion und kehrte nach Ende der Pinochet-Diktatur 1988 in seine Heimat zurück. Kreiskys Außenminister Kirchschläger wiederum wies die österreichische Botschaft in Santiago de Chile an, vom Tode Bedrohten Zuflucht zu gewähren.

Explizit würdigt Oberkofler die Solidarität der DDR mit dem chilenischen Volk. Der ostdeutsche Geheimdienst hatte Corvalán und Allende vor dem Putsch gewarnt, die sich jedoch nicht vorstellen konnten, so der Autor, dass die Armee sich gegen eine demokratisch gewählte Regierung erheben würde. «Die letzten Worte von Salvador Allende wurden nach einer Tonbandaufzeichnung im ›Neuen Deutschland‹ abgedruckt», vermerkt Oberkofler. Am 1. Oktober 1973.

Auch diese Tonbandaufzeichnung war von einem DDR-Bürger außer Landes geschmuggelt worden, von Johnny Norden, zu jener Zeit Kulturattaché an der Botschaft der DDR in Chile. Was für ein Kontrast zur antihumanen Einstellung des Spitzendiplomaten eines kapitalistischen Staates, dessen vertrauliche Berichte hier erstmals veröffentlicht sind. Man wünschte sich eine solche Studie respektive Dokumentation auch zur Diplomatie der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem kurzen chilenischen Traum unter Salvador Allende.

Gerhard Oberkofler: Österreichs Spitzendiplomatie vor Ort. Das Beispiel Chile 1973. Trafo-Verlag, 86 S., br., 13,80 €.

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