- Berlin
- Stadterkundung
Großstadtsafari: Mit dem Touristenbus durch Berlin
Viele Touristen erkunden den Hauptstadtdschungel per Busrundfahrt – dabei können sogar waschechte Berliner noch etwas lernen
Ein Bus hält am Alexanderplatz und drei Leute mit Rucksack, Kamera und Basecap steigen hinzu.
»Einen schönen guten Tag«, grüßt der Busfahrer, und sein freundlicher Ton verrät, dass es sich um keinen BVG-Fahrer im Feierabendverkehrsstress handelt. Die Zugestiegenen zeigen ihre Fahrscheine vor, nehmen sich aus einer Plastikkiste jeweils ein kleines Päckchen mit Kabelkopfhörern und steigen die Treppe hinauf in die obere Etage des Doppelstockbusses, die an diesem warmen Spätsommertag mit geöffnetem Verdeck unterwegs ist.
»Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man für die BVG fährt oder Stadtrundfahrten macht, so wie ich«, erklärt der Busfahrer seine Stimmung. Er heißt Klaus. »Ich hab das Privileg, zu 99 Prozent mit Kunden zu fahren, die gerade im Urlaub sind. Die haben gute Laune und wollen Spaß haben«, führt er im Gespräch mit »nd« aus. Auch an diesem Samstagmorgen hat Klaus sich hinter das Steuer eines Hop-on-Hop-off-Busses von »City Sightseeing Berlin« gesetzt, um Touristen durch die deutsche Hauptstadt zu fahren. Gäste dieser Linie werden von einer Berliner Sehenswürdigkeit zur nächsten kutschiert; wenn es ihnen an einer der Haltestellen gefällt, können sie aussteigen und ihre Tour mit einem der anderen vielen roten Busse später fortsetzen.
Klaus fährt seine Passagiere zunächst einmal in Richtung Osten der Stadt. Vorbei am Kino International, dem Strausberger Platz und dem Computerspielemuseum. Die DDR-Bauten an der Karl-Marx-Allee seien eigentlich mal als Paläste für das Volk gedacht gewesen, erfahren die Wissbegierigen von einem Audioguide. »Damals war das bezahlbar für die Arbeiter, heute nicht mehr. Die Wohnungen kosten inzwischen das Doppelte der Durchschnittsmiete«, klingt es blechern aus den Kopfhörern. In 13 Sprachen ist die akustische Stadtführung verfügbar – immerhin würden ja auch Touristen aus aller Welt bei der Tour mitfahren: »Heute hatte ich Menschen aus Südafrika dabei, viele Engländer, Franzosen, Italiener. Es gibt keine Nationalität, die es in meinem Bus nicht gibt«, sagt Klaus.
Der Tross fährt inzwischen an einem der Highlights der Tour, dem Redaktionsgebäude des »nd« am Franz-Mehring-Platz, vorbei. Als beliebteres Fotomotiv der Touristen stellt sich jedoch ein kurz dahinter gelegener Technoklub heraus. Der Name des ehemaligen Kraftwerks setze sich aus den Namen der Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain zusammen, erfahren die Fahrgäste übers Ohr. »Berghain« also – noch nie davon gehört. An der Warschauer Brücke meldet sich auf einmal Klaus über sein Bordmikrofon: »So, Herrschaften, vor uns ist eine Demonstration, die werde ich jetzt mal umfahren.«
Über kleine Seitenstraßen manövriert der Fahrer seinen Bus an den Sehnsuchtsort feuchter Touristenträume: die East Side Gallery. »Wow, so viele Menschen«, staunt eine Frau aus Minden, als ihr Blick auf die unzähligen Selfies-schießenden Besucher vor dem Teilstück der Berliner Mauer zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke fällt. Touristen, die an Touristenorte fahren, um sich Touristen anzuschauen: »Mehr Berlin geht nicht!«, findet die Frau und ruft das auch ihrer Sitznachbarin zu.
Auf der Spree fährt derweil ein Partydampfer mit schrill gekleideten Tanzwütigen vorbei. Sie winken jubelnd herüber. Als im nächsten Augenblick ein Bierbike mit neun grölenden Männern an dem Doppeldeckerbus vorbeifährt, scheinen die Ausflügler ganz froh zu sein, dass sie sich das Großstadtspektakel aus einigen Metern Entfernung hinter sicheren Fensterscheiben anschauen können. Eine Rundfahrt durch die Hauptstadt ist wie eine Safari durch die Savanne Tansanias – bloß dass man dort in freier Wildbahn häufiger eine seltene Raubkatze als einen Ur-Berliner in seiner Innenstadt sieht. Vom Aussterben bedroht sind beide. Was auch an der Bebauung des Spreeufers mit Bürogebäuden statt Wohnhäusern liege, wie der unterhaltsame Audioguide daherberlinert: »Boah, da kann ick mich schon wieder uffregen.«
An Fernsehturm, Nikolaikirche, Siegessäule, Schloss Bellevue und Kudamm vorbei tuckert Klaus mit seinem Bus weiter durch die Stadt. »Ich bin waschechter Berliner. Hier geboren, aufgewachsen, meine erste Liebe erlebt. Hier werd ich sterben«, sagt Klaus. Trotzdem habe er durch die Stadtrundfahrt auch noch mal neue Orte kennengelernt, die er vorher noch nicht kannte, sagt er. Immer wieder steigen Fahrgäste ein und aus, Steuermann Klaus begrüßt und verabschiedet jeden Einzelnen davon freundlich. Die Rundfahrt mit einem Hop-on-Hop-off-Bus hat den Touristen einen guten Überblick über die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt gegeben – möchten sie jedoch die Berlinerinnen und Berliner kennenlernen, sollten sie beim nächsten Mal wohl eher die U-Bahn nehmen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.