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  • Album »Speisekammer des Weltendes«

Drei-Sterne-Imbiss

Die Band Erregung Öffentlicher Erregung denkt auf ihrem zweiten Album mittels kulinarischer Versatzstücke über die Gegenwart nach

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 3 Min.
Halten sich die Hitparaden weiter vom Leib: Erregung Öffentlicher Erregung
Halten sich die Hitparaden weiter vom Leib: Erregung Öffentlicher Erregung

Es war im Jahr 2017, da hatte man für einen kurzen Moment das Gefühl, dass Annette Humpe ihren jahrelangen musikalischen Irrtum namens Ich + Ich hinter sich gelassen und sich im fortgeschrittenen Alter auf ihre musikalische Kernkompetenz besonnen hätte.

»Gut so, Annette!«, wollte man da schon fast ausrufen, und: »Es ist nie zu spät!«, bevor der flüchtige Blick auf das Handydisplay verriet, dass der kecke Track mit dem Titel »Wo soll ich hin?«, den man da gerade auf den Ohren hatte, keine psychedelisch-krautige Reinkarnation von Humpes Ex-Band Ideal aus frühen Westberliner Zeiten war, sondern von einer Band namens Erregung Öffentlicher Erregung stammte.

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Der Track war auf ihrer ersten offiziellen EP »Sonnenuntergang über den Ruinen von Klatsch« zu finden, und wenn man den einschlägigen Streaming-Portalen dieser Welt glauben darf, ist es bis heute der Hit der Band. Doch sollte man dabei nicht unterschlagen, dass diese auf den beiden Nachfolgern »TNG« und »EÖE« seitdem viele weitere hitverdächtige Songs veröffentlicht hat.

Titelnamen wie »Kacke in der Jacke«, »Kein Bock auf Frühstück« oder »Ich tanze rüber« verraten dabei, wessen Geistes Kind EÖE sind: Neben den bereits erwähnten Ideal wecken Text und Vortragsweise von Sängerin Anja Kasten Erinnerungen an Female-Fronted-Punk-Bands aus den frühen 80er Jahren wie etwa Hans-A-Plast, Nichts, Malaria und Östro 430 – also jene Bands, deretwegen der Begriff »NDW« für eine kurze Zeit für Gegenkultur statt Hitparaden-Einöde stand. Ebenso wie damalige Protagonistinnen wie Martina Weith oder Annette Benjamin spricht und ruft Kasten mehr, als dass sie singt, wodurch sie die Hitparaden wohl auch weiterhin auf sichere Distanz halten wird.

Nun kehren Erregung Öffentlicher Erregung nach dreijähriger Abstinenz mit ihrem zweiten Longplayer »Speisekammer des Weltendes« zurück. Und auf den ersten Blick hat sich im Gesamtgefüge des in Hamburg und Berlin beheimateten Sextetts nicht sonderlich viel verschoben: Denn noch immer ist der Stakkato-Sound der Band geprägt von schnellen Drums, repetitiven Bassläufen, verspielten Gitarren und den spitzen und verhallten Rufen Kastens.

Thematisch auffällig präsent ist dabei dieses Mal die Kulinarik. »Ich bin so gern bei dir / Bei dir schmeckt es so gut«, heißt es in der vorab veröffentlichten Single »Top Jeff« etwa. Doch muss bei EÖE nicht stundenlang der Kochlöffel geschwungen werden, wie der darauffolgende Track »Viele Pommes« unter Beweis stellt. Im Song »Suppe« heißt es wiederum: »Ich koche über«. Und dass EÖE den 80er-Jahre- und Ideal-Vergleichen nicht wie so oft abwehrend und leugnend, sondern affirmativ und spielerisch begegnen, unterstreichen sie mit der anspielungsreichen Zeile: »Dein Bohnen-Chili ist phänomenal / Dein veganes Curry macht mich so sentimental«.

Doch sind all die kulinarischen Versatzstücke und Zitate auf »Speisekammer des Weltendes« jeweils nur Sprungbretter, um in die Zentren der großen Gegenwartsthemen zu gelangen: Einsamkeit, Fragilität, Sinnsuche, Nervosität und Ohnmacht dominieren als Grundgefühl. Der Blick wird dabei zumeist nach innen gerichtet, doch je mehr er zu erhaschen vermag, desto mehr erfahren wir über den äußeren Gesamtzustand dieser Welt. Und sagen wir so: Es sieht schlecht aus. Aber mit EÖE lässt sich das zumindest vorübergehend etwas besser ertragen.

Erregung Öffentlicher Erregung: Speisekammer des Weltendes (Schlappvogel Records)

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